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„frank & frei“ zum Thema Selbstbestimmung„Die Demokratie steht unverkennbar unter Druck“

Lesezeit 4 Minuten
Joachim Frank (rechts) im Gespräch mit Prof. Frauke Rostalski (Mitte) und Prof. Markus Gabriel (links).

Joachim Frank (rechts) im Gespräch mit Prof. Frauke Rostalski (Mitte) und Prof. Markus Gabriel (links).

Frauke Rostalski sprach bei der Talkrunde „frank & frei“ auch über ihr neues Buch „Die vulnerable Gesellschaft“.

Wie frei sind wir wirklich? Um diese Frage ging es bei der 36. Ausgabe der Talkrunde „frank & frei“ in der Karl Rahner Akademie am Dienstagabend (9. April). Neben Joachim Frank, Chefkorrespondent des „Kölner Stadt-Anzeiger“, diskutierten auch Philosophieprofessor Markus Gabriel sowie die Rechtswissenschaftlerin Frauke Rostalski mit.

Die fand deutliche Worte zu dem Thema: „Schon allein die Diskussion um Selbstbestimmung und alles, was mit dem entsprechenden Gesetz einhergeht, entspricht meinem Bild dieser vulnerablen Gesellschaft. Der Staat sieht: Selbstbestimmung – das ist gut! Also müssen wir es besonders schützen, weil es so vulnerabel ist. Und schon dadurch wird der individuellen Freiheit eine klare Grenze gesetzt“, kommentierte Rostalski.

Erst kürzlich erschien ihr Buch „Die vulnerable Gesellschaft: Die neue Verletzlichkeit als Herausforderung der Freiheit“, in welchem sie anschaulich und bestimmt Beispiele analysiert, die eine Werteverschiebung und Ausdehnung des Risikoempfindens in der Gesellschaft sichtbar machen.

Diskussion bei frank & frei: Müssen Regeln eine Freiheitsbeschränkung sein?

Vulnerabilität beschreibt laut Rostalski im weitesten Sinne das Gegenteil von Widerstandsfähigkeit. Man tendiere dazu, sich in einer risikoreicheren Situation für unfähig zu halten und statt sich ihr zu stellen. Stattdessen werde jemand vorgeschickt, vorzugsweise der Staat, so Rostalski in ihrem Buch.

Markus Gabriel hält die Vulnerabilität dabei für unterdefiniert, sie verspreche eine „Schein-Ethik, in der jeder plötzlich wissen muss, was der Fall ist“. Da dieser Umstand aber keinesfalls gegeben sei, komme schon mit dem umschreibenden Begriff eine Willkür ins Spiel, die eine intensive Auseinandersetzung mit den jeweils unterschiedlichen Anliegen dringend erfordere.

Ohne Zögern schloss sich Rostalski diesem Punkt an: „Klar, man müsste die Vulnerabilität faktisch untermauern und füttern, aber wenn Sie mich fragen, würde der Begriff dann auch seine Sexiness verlieren.“

Markus Gabriel bei frank & frei: „Wie messen Sie denn Freiheit?“

Ähnlich unzureichend fängt die Schärfung des Begriffs bereits einige Schritte zuvor an. Aus dem philosophischen Blickwinkel ging Gabriel tiefer in die Materie und fragte provokant: „Wie messen Sie denn Freiheit? Anhand welcher Kriterien bin ich frei? In einem Diskurs wie diesem halte ich mich an kommunikative Regeln, mit denen ich sozialisiert wurde. Diese Regeln schränken mich aber nicht ein. Viel mehr noch: Sie befähigen mich erst zu dem, was ich tue.“

Frauke Rostalki

Frauke Rostalki sprach bei „frank & frei“ zum Thema „Die vulnerable Gesellschaft“

„Ein ganz wesentliches Stichwort ist die Eigenverantwortung. Bei jeder Entscheidung, die uns vom Außen abgenommen wird, wird uns abgesprochen, diese eigenständig treffen zu können. Ein eigenverantwortliches Denken wird den vulnerablen Gruppen, denen besonderer Schutz zukommen müsse, nicht zugemutet. Und so bleibt es eine Entscheidung des Stärkeren gegenüber den Schwächeren“, fasst Rostalski zusammen. Im nächsten Schritt führe jener Schutz, alle Vulnerabilität in der Gesellschaft zu einer Diskursvermeidung – das gefährde aber langfristig das wichtigste Gut der Demokratie.

Durch die Corona-Pandemie sei das Verständnis von Vulnerabilität in der breiten Masse angekommen. Ein Begriff, der sich aus der juristischen Wissenschaft und Psychologie herausentwickelte, findet plötzlich überall dort statt, wo Menschen besondere Beachtung finden müssten oder besonderen Schutzes bedürften. Für den privaten Kontext hieße das laut Rostalski: „Aus Angst vor der Verletzlichkeit des Gegenübers bleiben Themen unausgesprochen, werden gar nicht mehr angepackt. Sollen sich andere drum kümmern ist die Devise und so verliert der Mensch seine Resilienz.“

Auch bei der Frage nach den tatsächlichen und vermeintlichen vulnerablen Gruppen tappen die Mitdiskutierenden im Dunkeln. In der Diskussion um das Recht auf Abtreibung etwa sei keine Gruppe so 100 Prozent vulnerabel wie das ungeborene Kind, wirft Joachim Frank in den Raum. Auch wenn es bei der zu berücksichtigende Gruppe tendenziell eher um die Frau gehe, deren Freiheit durch die Grenzen des Paragrafen 218 beschränkt werde, wirft Frauke Rostalski ein.

Letztlich werde es in der Thematik rund um die Vulnerabilität in der Gesellschaft eine ewig notwendige Abwägung bleiben, so Gabriel: „Wer sind die Vulnerablen? Was ist der Antagonist zur Vulnerabilität? Und wie kann eine Überregulierung unserer Gesellschaft verhindert werden, ohne Sicherheitsaspekte des Staates aufgeben zu müssen?“