„frank&frei“Große Bögen zur Religion in Kölner Gesprächsreihe
Köln – Es sollte um die Chancen der Religion in der Welt von heute gehen. Doch am Anfang stand die Unmöglichkeit eines auf Repression und Gewalt gestützten „Gottesstaates“. Navid Kermani, der preisgekrönte Kölner Schriftsteller und Orientalist mit iranischen Wurzeln, gab in der Karl-Rahner-Akademie seiner Bewunderung für den Freiheitswillen der Menschen im Iran Ausdruck, aber auch seiner Sorge, dass die Proteste gegen das Mullah-Regime wie schon 2009 und 2017 niedergeknüppelt werden könnten.
„Geschichte wird aus Unwahrscheinlichkeiten gemacht“, sagte Kermani hoffnungsvoll. Er setze auf den Sieg der Freiheit, wie sie etwa von mutigen Mädchen symbolisiert werde, die jüngst einen Militärvertreter mit „Freiheit, Freiheit“-Rufen vom eigenen Schulgelände vertrieben. Scharfe Kritik äußerte Kermani an der Haltung der Bundesregierung, die viel zu spät und verhalten zur Gewalt des Regimes in Teheran gegen das eigene Volk Stellung bezogen habe.
„Geschichte wird aus Unwahrscheinlichkeiten gemacht“
In der Talkreihe „frank&frei“ des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit knapp 200 Teilnehmenden im Saal und online diskutierte der Kölner Theologieprofessor Hans-Joachim Höhn mit Kermani über dessen Buch „Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen“. Zu den Vorgängen im Iran sagte Höhn, ein Gott, in dessen Namen Menschen umgebracht würden, könne immer „nur so groß sein, wie der Schrecken, der in seinem Namen verbreitet wird“.
Einig waren sich der Katholik Höhn und der Muslim Kermani, dass die Weitergabe des Glaubens an die junge Generation heute nicht darin bestehen könne, Dogmen und verbindliche Deutungen vorzugeben, sondern Fragen zu stellen. Kermanis Buch nimmt genau diese Haltung ein: Der Ich-Autor versucht auf Bitten seines Vaters, seiner zwölf Jahre alten Tochter zu erklären, was es mit Gott und dem Glauben auf sich hat.
Die Schauspielerin Ines Marie Westernströer (Schauspiel Köln, „Tatort“ Saarbrücken), die in der von KStA-Chefkorrespondent Joachim Frank moderierten Runde Passagen aus Kermanis Buch rezitierte, gab ihren Eindruck wieder, dass die Religionsvertreter den Menschen mit ihren Fragen nach Gott zu wenig zutrauten. Sie wünschte sich „mehr Komplexität“.
Kermani schloss sich dem an. Schon Kinder – und gerade sie – stellten Fragen nach Gott, die die vermeintlichen Religionsexperten in Erklärungsnot brächten. Zwar seien in seinem Buch einige Fragen der Zwölfjährigen an ihren Vater eine literarische Fügung, aber gerade jene Fragen, die „alle Journalisten“ für garantiert erfunden gehalten hätten, weil sie zu komplex für ein Kind sind, habe seine Tochter original so formuliert. Der Gestus eines „Herunterbückens“ auf ein vermeintlich kindliches Niveau sei jedenfalls unangebracht.
„frank&frei“: Weniger Dogmen bitte
Alle auf dem Podium beklagten letztlich die aktuelle Sprachlosigkeit des Religiösen. Ob das scheinbar Fremde, Altertümelnde in der Sprache des Korans oder der Bibel gerade das zeitlos Frische ist? Auf diesen Gedanken konnte man jedenfalls kommen, als Westernströer einige Koranstellen, die Kermani in seinem Buch zitiert, mit kunstvollem Vortrag zum Leuchten brachte.
Kermani trat dem Eindruck entgegen, seine Auffassung von Religion speise sich aus der Naturmystik des 19. Jahrhunderts oder verlange den Sprachgestus der Erhabenheit. Sehr wohl könne auch das Freche oder Schnoddrige der Rede von Gott dienlich sein, sagte Kermani zu einem von Höhn zitierten Gedicht der Lyrikerin Nora Gomringer. Was er ablehne, sei lediglich die Banalisierung Gottes in Gedanke und Wort.
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Am Ende des Abends blieb der Eindruck einer Diskussion, die mutig große Bögen spannte – im Wissen, dass auch sie keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit haben. Und das müssen sie auch gar nicht.
Zur Lektüre:
Hans-Joachim Höhn: In Gottes Ohr. Von der Kunst poetischer Gottesrede, Verlag Herder, 176 Seiten, 22 Euro.
Navid Kermani: Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen. Fragen nach Gott, Verlag Hanser, 238 Seiten, 22 Euro.