Neil Rowe ist Doppelgänger des englischen Nationaltrainers. In Köln kann er sich vor Fotowünschen kaum retten.
Southgate-Double in Köln110 Selfies am Alter Markt: „Supercool, dass der vor dem Spiel hier mit den Fans redet“
Bei der Europameisterschaft in England hatten die Fans ihm noch zugejubelt: „Du bist der Richtige! Du machst mich an wie am ersten Tag! Ich will ein Kind von dir! Southgate, give us a song!“ Dieser Tage aber hat es Neil Rowe nicht leicht. Die englische Nationalmannschaft hat nicht gut gespielt in den ersten zwei EM-Spielen, der teuerste Kader mit den talentiertesten Spielern tritt ein wenig pomadig auf. Uninspiriert, zu defensiv, schreiben die Journalisten.
In der britischen Presse wird schon lange über eine Ablösung von Nationaltrainer Gareth Southgate diskutiert, jetzt werden die Schlagzeilen deftiger, nach dem 1:1 gegen Dänemark verwies Southgate ein wenig hilflos auf das Fehlen eines Spielers, der schon lange nicht mehr für die „Three Lions“ aufgelaufen war — und erntete Spott.
Neil Rowe ist Doppelgänger von Gareth Southgate. Am Montag habe ihn seine Mutter angerufen und ihm geraten, am Dienstag lieber inkognito zum Spiel in Köln zu gehen, sagt er. „Die Fans werden sauer auf Southgate, du musst auf dich aufpassen.“ Am Abend dann tatsächlich die Nachricht: „Wir können uns zu einem Interview treffen, aber ich werde nicht als Southgate in die Innenstadt gehen.“
Am Dienstagmorgen sieht die Welt wieder freundlicher aus: Rowe sieht von seinem Hotelzimmer am Heumarkt die friedlichen Fans den ersten Bierdurst löschen, in der Lobby empfangen ihn jubelnde slowenische und englische Fans. Rowes Kumpel Rob whatsappt: „Neil denkt, er könnte doch als Southgate gehen.“
Der zehnjährige Jordan erklärt, wie Southgate zu spielen habe: Mit Cole Palmer und viel offensiver
Knapp neun Stunden vor dem Anpfiff steht Rowe umringt von einer Traube England-Fans auf dem Alter Markt und lässt sich vom zehnjährigen Jordan erklären, wie er – Southgate – zu spielen habe: Mit Cole Palmer, einem jungen Stürmer von Chelsea („Warum spielt der bei dir nicht immer?“) neben Harry Kane, dem Superstar, der beim FC Bayern spielt, „Phil Foden in die Mitte und insgesamt viel, viel offensiver. Oder hast du keinen Mut?“ Rowe nickt, „wahrscheinlich hast du recht, Jordan, aber England fängt heute erst richtig an“. Ein Selfie mit Jordan, eine geballte Faust, die nächsten Fans warten.
Southgate-Double in Köln: Ähnlichkeit zum Original ist sehr groß
Dem 49-jährigen Neil Rowe fehlen zwar die etwas schiefe Nase und das individuelle Gebiss des englischen Nationaltrainers, die Ähnlichkeit ist trotzdem groß: Rowe ist drahtig wie Southgate, Gesichtszüge, Augenfarbe, Frisur, alles ähnlich, meist trägt er die gleiche Wollweste wie Southgate und den gleichen Anzug, er hat alle Krawatten und Pullover im Kleiderschrank, die Southgate regelmäßig trägt, den Bart färbt er mit Schminke etwas nach, sein Friseur kennt die Southgate Frise aus dem Effeff. Heute hat Rowe sich für kurze Hose und Sakko entschieden, Southgate-light sozusagen, „mit Anzug ist es noch realistischer“, sagt er, „aber auch anstrengender. Hier ist es ja noch sehr, sehr ruhig gerade.“
Ruhig, das heißt in einer Dreiviertelstunde auf dem Alter Markt rund 110 Selfies (ungefähr gezählt), mit volltätowierten Oben-Ohne-Fans, Kindern, blondierten Müttern, Familien, oder Igor, einem slowenischen Fan, der nach dem Foto strahlt: „Supercool, dass der hier vor dem Spiel auftaucht und mit den Fans redet.“ Dazu ein längeres Interview mit Channel 3 (ITV), einem der größten englischen Fernsehsender, das so abläuft wie die Gespräche mit den Fans: Erst ein paar Fragen an Southgate, den Trainer, Taktik, Aufstellung, Selbstkritik, Prognose, dann ein paar an Neil, den Flugzeugpiloten, Fußballfan und Entertainer, wer bist du privat, wie gefällt dir Deutschland, wer wird gewinnen.
Southgate-Double war schon bei der WM 2006 in Köln
„Ich war schon 2006 bei der WM in Köln, England gegen Schweden, eine riesengroße Party“, erzählt Rowe beim Kölsch im Löwenbräu, als die Fotobitten der Fans dort befriedigt sind. „Viele Engländer haben damals auch in Köln erfahren, dass Deutschland auch herzlich, weltoffen und cool sein kann.“ Er auch.
Eine Combo mit Geige, Gitarre und Kontrabass spielt „Sweet Caroline“ von Neil Diamond vor dem Löwenbräu, Crowe stimmt mit den englischen Fans ein, zwei Fans mit Plastikpokal haben ihn entdeckt und vereinnahmen ihn kurz, Umarmungen, Fotos, jubelnd, mit Cup. „Danke Southgate!“ Als Trainer sei er nicht top, „aber als Mensch“.
„Nur mit dem Titel wird Southgate vielleicht als Teammanager weitermachen“, sagt Rowe. „Wahrscheinlich ist es also auch meine letzte Meisterschaft als Doppelgänger.“ Seine Kumpels Matt und Rob haben ihn schon Mitte der 1990er Jahre im Studium „Southgate“ genannt. Als Gareth Southgate Nationalspieler wurde, bei der EM 1996 einen Elfmeter gegen Deutschland verschoss, „wurde es mehr. Southgate hätte nicht schießen dürfen, aber er hatte immerhin den Mut“.
Bei der WM 2018 in Russland habe es auf dem Roten Platz eine groteske Szene gegeben, erinnert sich Rowe: „Nach ein paar Fotos mit Fans wurde ich plötzlich umringt von Fernsehsendern, Al Jazeera, Sender aus Australien und Kolumbien, alle wollten von mir die Taktik gegen Kroatien wissen – irgendwann kam die Polizei und meinte, sie müsse mich in Sicherheit bringen, es könnte außer Kontrolle geraten.“ Richtig gefährdet gefühlt habe er sich allerdings noch nie.
Klar, auch auf dem Alter Markt rufen ein paar Fans „Hey Southgate, lass die Jungs mal richtig Fußball spielen“ oder „Southgate, wird langsam Zeit für dich“. Könnte sein, dass es nach ein paar Bier mehr bei 30 Grad auch mal etwas rüder wird. Ein paar Bier hat Rowe aber dann auch, „und wir Engländer sind immer gut in Sarkasmus und Ironie“.
„Neil war schon immer ein Typ, der Spaß hatte, die Leute zu unterhalten“, sagt Rob, der Studienfreund, der schon lange in Köln lebt. „Er findet es cool, wenn die Leute Spaß haben, plötzlich singen und tanzen.“ Ihm selbst wäre das zu anstrengend. „Guck mal, nach einer Stunde mehr als 100 Selfies. Es ist heiß und er trägt Strickshirt und Sakko. Und der Tag hat gerade erst angefangen!“
In England ist Neil Rowe eine kleine Berühmtheit. Die Yellowpress berichtet immer wieder über ihn, er hat Nationaltrainer Southgate dreimal selbst getroffen („Netter Kerl, ist wirklich so bodenständig wie er wirkt“), er kennt die Ex-Stars David Beckham und Gary Lineker, lässt sich immer wieder mit englischen Nationalspielern und Prominenten ablichten.
Fotos mit Boris Johnson, Quentin Tarantino, Lewis Hamilton, Rafael und Nadal – und Gareth Southgate
Rowe mit Star-Regisseur Quentin Tarantino und Ex-Premier Boris Johnson, mit Tennisstar Rafael Nadal, Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton und Ex-Nationalspieler Frank Lampard, eine Fotogalerie ist auf Social Media zu besichtigen. Mit der Girls-Band Atomic Kitten hat er in einem Video zum Song „Southgate you’re the One – Football’s coming home again“ mitgemacht, kürzlich mit seinem Idol John Barnes, Ex-Nationalspieler aus Liverpool, ein Lied eingespielt. „Das war eine Riesenehre – Liverpool ist mein Verein.“
In erster Linie, sagt Neil Rowe, verstehe er sich als „fast fanatischen Sportfan“. Fußball, Cricket, Rugby, er habe auch Karten für die Olympischen Spiele in Paris. Die Southgate-Nummer habe sich „wegen der Ähnlichkeit so ergeben, es macht mir Spaß, aber es ist kein Problem, wenn es damit nach dieser Europameisterschaft ein Ende haben sollte“.
Ein Problem ergebe sich nur, wenn die Gerüchte stimmten und Gareth Southgate im Sommer Trainer von Manchester United werden sollte. United ist der Erzrivale des FC Liverpool. „Dann“, sagt Neil Rowe, „muss ich über ein paar Schönheitsoperationen nachdenken, damit man keine Ähnlichkeit mehr erkennt.“