Gentrifizierung in KölnDie Veränderung im Veedel messen
Köln – Neben einem „Raum für Selbstheilung“ und einem Spezialisten für „Küchen aus Beton“ verkaufen Läden „Kitsch Deluxe“, „Retro-Möbel“ oder „Industriekultur für zu Hause“: Wer ein Gefühl dafür bekommen möchte, was Wissenschaftler und Politiker mit dem zur Zeit in allen Großstädten diskutierten Phänomen der Gentrifizierung meinen, muss einmal durch die Körnerstraße in Ehrenfeld gehen. Früher hätten sich die Kleinunternehmer, die hier heute in Ladenlokalen Dinge anbieten, die man nicht unbedingt zum Leben braucht, nicht in diese Straße getraut. Vielleicht wären sie sogar verprügelt worden, meint ein alteingesessener Ehrenfelder. „Hier ging es noch vor fünfzehn Jahren recht rustikal zur Sache.“ Heute sind die kleinen Häuer für Industriearbeiter in viel zu engen Straßen ohne ausreichende Grünflächen begehrte Hochpreis-Immobilien.
Doch wie viel an Aufwertung verträgt ein Veedel? Eine stadtplanerische Optimierung und der Zuzug von jungen Leuten, Kulturschaffenden, Künstlern und Kreativen, die ein Viertel für sich entdecken, machen es weiter attraktiv. Doch letztlich kann der Prozess für die ursprünglich Beteiligten auch umkippen. Dann nämlich werden die „Gentrifizierer“ zusammen mit manchem Alteingesessenen von Investoren und gut verdienenden Neubürgern mit Eigentumswohnungswunsch verdrängt.
Echte Pionierarbeit
Wie kann man aber diesen Veränderungsprozess in den Quartieren messen und genau den Punkt finden , an dem man gegensteuern will? Das weiß noch keiner so genau. Institute der Universitäten in Köln und Bonn dokumentieren zur Zeit immerhin in einer einzigartigen Langzeitstudie Um- und Auszüge, Mietsteigerungen oder die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen in den Stadtteilen Deutz und Mülheim. Die Kölner Stadtverwaltung möchte noch einen Schritt weiter gehen: Das Amt für Stadtentwicklung und Statistik arbeitet an einem Kriterienkatalog, mit dem genau dieser Wandel messbar werden soll. „Echte Pionierarbeit“ sei das, sagt Amtsleiterin Maria Kröger. Die Verwaltung hat von der Politik den Auftrag bekommen, Viertel zu identifizieren, für die man eine sogenannte Milieuschutzsatzung beschließen will. Da damit auch Eingriffe ins Eigentumsrecht von Immobilienbesitzern verbunden sind, soll diese Maßnahme gut vorbereitet sein.
Streit um Großmarktgelände
Denn bei so einer Satzung gilt: Wer in den als schutzwürdig ausgewiesenen Quartieren eine Immobilie besitzt, wird nicht mehr machen können, was er will (siehe „Luxus verboten“). In Zukunft wird die Stadt auch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verbieten dürfen. Dafür schafft das Land zur Zeit die Voraussetzungen. Dass solche Zwangsmaßnahmen bei Immobilienbesitzern nicht immer auf Gegenliebe stoßen, kann man im Fall der Pläne für das Großmarktgelände und die umliegenden Brachen sehen. Um die Entwicklung der südlichen Innenstadt gestalten zu können, hat die Stadt das Areal zum Sanierungsgebiet erklärt. Mehrere Grundstückseigentümer haben mittlerweile Rechtsmittel dagegen eingelegt.
Um sich für solche Auseinandersetzungen zu rüsten, muss die Stadt nachvollziehbare Kriterien erarbeiten, nach denen sie entscheidet. Die Herausforderung liege darin, statistische Daten zur Bevölkerungsentwicklung mit Quartiersveränderungen zu verbinden, sagt Maria Kröger. Gezählt werden die Haushalte von Singles und jungen Paaren genau wie die Anzahl von Beschäftigten in der sogenannten Kreativwirtschaft. Das Niveau der Mieten fließt genauso in die Betrachtung ein wie die Entwicklung der Gastronomie. Wobei letzteres eine ganz besondere Herausforderung sein dürfte: Steht die alte Kölschkneipe an der Ecke eher dafür, dass es noch genug Unverdrängte gibt, symbolisiert die Espressobar den Wandel der Bevölkerungsstruktur. „Nicht alles ist messbar“, sagt Kröger, „manches sagt einem das Bauchgefühl.“
Bislang gibt es erst ein einziges Stadtviertel in Köln, in dem eine so genante Milieusatzung gilt. In der Stegerwald-Siedlung zwischen den alten KHD-Industrieflächen in Mülheim und dem breiten Pfälzischen Ring sah man bereits 1996 die Notwendigkeit, das Instrument anzuwenden. Damals wurden die Pläne zur Bebauung der umliegenden Grundstücke konkreter. Auch soll es Anzeichen gegeben haben, dass Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt werden sollten. Die Bewohner sollten vor hohen Mietsteigerungen und Verdrängung geschützt werden.
Vorausschauende Planung
Heute erscheint Erlass der Satzung als seltenes Beispiel vorausschauender Planungspolitik. In der gepflegten Wohnanlage, die in den 50er Jahren für weniger gut Verdienende angelegt wurde, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, während drum herum auf den alten Industrieflächen und am Rheinufer nichts mehr so ist, wie es mal war: Kunst und Kultur nutzen alte Fabrikhallen, schicke Hotels werben mit dem verbliebenen Flair untergegangener Industriekultur. Dort wo einst Farben hergestellt wurde, werden heute Grillseminare angeboten. In neuen Mehrfamilienhäusern mit hochpreisigen Eigentumswohnungen wird der Rheinblick vermarktet. Alles ist in Bewegung. Doch in die Stegerwald-Siedlung selbst hat es bislang lediglich ein einziger Vorbote der Veränderung geschafft: Wie ein Ufo aus einer anderen Welt ist ein schickes Hotel zwischen den Wohnhäusern gelandet.
Das sich das Quartier wacker hält, hat neben dem Milieuschutz auch damit zu tun, dass es hier eine offensichtlich verantwortungsbewusste Wohnungsbaugesellschaft als einzigen Vermieter gibt. Das ist in anderen Vierteln, wo sich in den vergangenen Jahren sehr viel mehr verändert hat, komplizierter. An die hat sich Stadt bislang noch nicht herangetraut.