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Gutachten zum WohnungsbauRechnet sich die Stadt Köln „miserable Neubauzahlen“ schön?

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Kinderheim-Gelände Sülz Wohnungsbau HEINEKAMP

Neubauten auf dem ehemaligen Kinderheim-Gelände in Köln-Sülz (Bild von 2018)

Köln – Vertreter der Kölner Wohnungswirtschaft haben Kritik an den Überlegungen der Stadtspitze geübt, sich neue – möglicherweise deutlich niedrigere – Zielmarken beim Wohnungsbau zu setzen. Unterstützung bekommen sie vom Institut der Deutschen Wirtschaft: Die Zahlen eines aktuellen Gutachtens im Auftrag der Stadt seien „angreifbar“, sagt Michael Voigtländer, der im Institut das „Kompetenzfelds Finanzmärkte und Immobilienmärkte“ leitet. Der Bedarf in Köln sei deutlich höher, als es die Gutachter berechnet hätten.

Die Stadtspitze um Oberbürgermeisterin Reker will bis zum Sommer ein neues „Strategiepapier“ zum Wohnungsbau vorlegen. Grundlage ist eine Analyse des Forschungsinstituts „Empirica“, das mit deutlich niedrigeren Zielmarken überraschte. Bislang ließ sich die Stadt an ihrem selbstgesetzten Ziel von 6000 neuen Wohnungen pro Jahr messen – eine nie erreichte Zahl. Im vorletzten Jahr wurden nur knapp über 2100 neue Wohnungen gebaut. Auch 2020 dürfe das Ziel deutlich verfehlt worden sein.

Gutachten des Landes widerspricht Stadt deutlich

Würde die Stadt den neuen „Empirica“-Einschätzungen folgen, könnte sie sich entspannen. Die Gutachter gehen in einem so genannten „Basisszenario“ davon aus, dass pro Jahr nur 1900 bis 2200 Wohnungen errichtet werden müssen. Die niedrigen Zahlen sind umso überraschender, da ein fast zeitgleich veröffentlichtes Gutachten des Landes von einem jährlichen Bedarf von rund 8000 Einheiten ausgeht.

Rechnet sich die Stadt ihre Zahlen schön? Die Verantwortlichen könnten mit einer „Auftragsstudie“ „ihre miserablen Neubauzahlen rechtfertigen“, warnt die Linke im Rathaus. So weit würde der Experte vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft nicht gehen. Dass aber Gutachter nach einer „passenden Positionierung“ ausgesucht werden, sei nicht ungewöhnlich, so Voigtländer.

Er teilt zwei wesentliche Kritikpunkte am neuen Gutachten: Auch wenn die Zuwanderung in die attraktiven Großstädte nicht mehr so groß sein wird wie im vergangenen Jahrzehnt, bleibe sie doch ein deutlich größerer Faktor, als es „Empirica“ annehme. Höchst zweifelhaft sei auch die Behauptung im Gutachten, dass es trotz der Versäumnisse in den vergangenen Jahren keinen Nachholbedarf gebe.

„Nicht nachvollziehbar“, findet das auch Martin Frysch, Geschäftsführer der „Köln AG“, dem Zusammenschluss der gemeinnützigen Bauunternehmen. Die Wartelisten bei Genossenschaften und der GAG sind lang. Hermann Jutkeit von der Projektentwicklungsgesellschaft „Baudata“ verweist auf die niedrige Leerstandsquote in Köln. Damit der Markt funktioniere, brauche man auf einen Schlag 11.000 bis 13.000 neue Wohnungen.“

Mehr Bauflächen ausweisen

Es sei viel mehr an Neubau erforderlich, als sich auf den zur Zeit von der Stadt dafür ausgewiesenen Flächen realisieren lässt, so der Vorstand der Wohnungsbauinitiative Köln (WIK), dem Zusammenschluss privater Bauunternehmen. „Es müssen deutlich mehr Wohnbauflächen ausgewiesen, die Dichte von Wohngebieten erhöht und das Thema Wohnhochhäuser neu gedacht werden.“ Ein Absenken der Zielmarke sei „nicht zweckmäßig“. „Die Stadt darf nicht von ihren Zielen abrücken“, fordert auch Angelika Ingendaay, Sprecherin für Köln des Bundesverbandes der Wohnungswirtschaft.

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Das Wachstum einer Stadt ist kein Naturgesetz. Wenn nicht gebaut werde, „wird es auch nicht zu der unterstellten Einwohnerentwicklung kommen“, heißt es im Gutachten, das die Folgen zumindest andeutet. Die Preise würden steigen, so „Empirica“. Voigtländer wird deutlicher: Die ganze Stadt würde sich verändern. „Die Mittelschicht zieht weg. Nur die besonders Reichen und die armen Menschen bleiben. Das läuft allen Vorstellungen entgegen, die wir von einer lebendigen und gemischten Stadt haben.“ Hinzu komme, dass fehlende Wohnungsangebote unmittelbare Auswirkungen auf die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes haben.

„Wohnungspolitik ist eine Haltungsfrage“

Andere Städte wie Wien, Hamburg oder Frankfurt würden vormachen, wie es anders geht. Konflikte mit Anwohnern oder mit Umweltverbänden gebe es überall. Doch anders als in Köln finde man anderswo Lösungen zugunsten des Wohnungsbaus. „Wohnungspolitik ist eine Haltungsfrage“, so der Experte. „Köln braucht eine Vision von einer neuen Stadt, die wächst und gleichzeitig Wohlstand und Ökologie miteinander verbindet.“