Heilige UrsulaHeilige Gebeine auf dem Labortisch
Köln – Viele Jahre waren die 50 menschlichen Schädel in der geheimen Kammer eines Altares im niederländischen Roermond eingemauert – jetzt liegen sie im nüchternen Licht von Raum 205 der Fachhochschule am Ubierring. Unter dem Staub, der sie bedeckt, sieht man Schädelnähte und das matte Blinken von Perlen, die als Augenersatz auf kostbare Stoffumhüllungen genäht worden sind. Sind dies einige der 11.000 Gefährtinnen der Heiligen Ursula oder zumindest Menschen, die als solche angesehen wurden?
Den Wissenschaftlern um Prof. Annemarie Stauffer vom Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft ist der Respekt vor den Reliquien anzusehen, die erst am Montag zur Untersuchung nach Köln gebracht wurden. Schon seit Jahren arbeitet die Gemeinde der Munsterkerk in Roermond mit dem Institut zusammen. Jetzt sollen die Experten herausfinden, ob der schon wegen seines Umfangs einzigartige Fund etwas mit der heiligen Ursula zu tun hat, die seit 1265 auch in Roermond verehrt wurde. Eine Inventarliste aus dem Jahr 1644 verzeichnet 17 Häupter von Ursulas Gefährtinnen, deren Verbleib bisher ungeklärt ist.
„Wir werden die Schädel schon aus ethischen Gründen ganzheitlich untersuchen und nicht auspacken“, erläutert Stauffer das wissenschaftliche Vorgehen, „wir werden die Funde reinigen, röntgen und die Stoffe sorgfältig untersuchen.“ Textilien und archäologische Fasern sind Stauffers Spezialgebiet. Allenfalls werde man ein kleines Knochenstück entnehmen, um mit einer Radiokarbonuntersuchung das Alter der Knochen bestimmen zu können. Drei bis fünf Jahre, schätzt Stauffer, werde die wissenschaftliche Aufarbeitung dauern.
47 Schädel – bis auf zwei alle in Textilien gehüllt – und sechs Teilreliquien, sogenannte Klosterarbeiten, wurden in dem Altar entdeckt. Besonders rätselhaft und in dieser Form noch völlig unbekannt sind die drei kindsgroßen Puppen mit menschlichen Schädeln. Zwei von ihnen sind an den Schienbeinen zusammengefügt, als seien sie zusammengewachsen.
Bei einer ersten Sichtung der Funde ist den Wissenschaftlern aufgefallen, dass die Knochen teilweise in Samt gehüllt waren, der im 13. Jahrhundert, der Entstehungszeit der Munsterkerk, noch unbekannt war. Andererseits scheint es auch ältere Stofffetzen zu geben. Es könnte also sein, dass die Reliquien neu gewickelt wurden. Bekannt kamen den Experten auch einige der benutzten Schmuckelemente vor. Sie entsprechen denjenigen, die in Kölner Klöstern zur Verpackung von Reliquien benutzt wurden.
Auffällig ist überdies, dass einige der Schädel halb in frischem Mörtel versunken waren – so, als seien die Knochen hastig eingemauert worden. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Reliquien, kurz bevor die Kirche in napoleonischer Zeit geplündert wurde, noch schnell im Altar vermauert und später vergessen wurden.