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Hepatitisfreies Köln„Auch das Urlaubstattoo am Strand kann die Infektionsquelle gewesen sein“

Lesezeit 4 Minuten
Ein Pfleger kümmert sich in einem Klinikum auf der Intensivstation um einen Patienten mit Hepatitis C.

Alle 30 Sekunden stirbt auf der Welt ein Mensch an einer durch Hepatitis bedingten Krankheit.

Rund 1,3 Millionen Menschen sterben jährlich an den Folgen von Hepatitis. Dabei ist die Krankheit heilbar. Köln macht sich auf die Suche nach etwa 3000 Infizierten in der Stadt.

Herr Professor Sarrazin, ich habe keinerlei körperliche Beschwerden. Könnte es sein, dass ich trotzdem an Hepatitis erkrankt bin?

Christoph Sarrazin: Ja, die Leber leidet leise. Die meisten Infizierten merken also zunächst nichts davon. Manche fühlen sich abgeschlagen und müde, nicht ganz fit. Aber das kann man natürlich auch dem fortschreitenden Alter oder dem Stress zuschreiben. Das Problem ist, dass die chronische Hepatitis in den Leberzellen verbleibt, man wird sie nach einer Infektion also häufig nicht mehr los. Und irgendwann kann es dann zur Leberzirrhose, zu Wasser im Bauch, zu Krebs kommen. Und dann ist es oft zu spät.

Ein solcher Leidensweg ließe sich nach dem heutigen Forschungsstand aber vermeiden?

Genau. Deshalb suchen wir nach den Patientinnen und Patienten. Denn wir können ihnen ein gutes Angebot machen. Die Tests sind unkompliziert, die Therapie einfach und finanziell überschaubar. Wer zum Beispiel an Hepatitis C erkrankt ist, bekommt acht oder zwölf Wochen Tabletten und ist dann geheilt.

Wie viele Menschen mit Hepatitis gibt es Schätzungen zufolge derzeit in Köln?

Ich gehe von mindestens 3000 Betroffenen aus, deutschlandweit sprechen wir von vermutlich über 400.000 Erkrankten, wenn wir Hepatitis B und C zusammennehmen. Etwa 20.000 davon entdecken wir jedes Jahr mit dem neuen Checkup ab 35 Jahren. Aber der Weg zu einer hepatitisfreien Welt, wie die WHO und auch Deutschland sie bis 2030 an fordert, ist noch weit.

Warum ist die Suche so mühsam?

Zur Hepatitis-Risikogruppe gehören vor allem Drogenerkrankte, Obdachlose, Migranten aus Ost- und Südosteuropa und Haftinsassen. Diese Menschen nehmen den Termin zum Gesundheits-Checkup oft nicht wahr. Deshalb sind hier aufsuchende Maßnahmen nötig. In Kanada beispielsweise fahren Sozialarbeiter durch prekäre Viertel und sprechen die Menschen auf ihre Probleme an. Sie vermitteln Obdach und verteilen Essen und machen in diesem Zusammenhang auch das Angebot, sich testen zu lassen und verweisen im Falle eines positiven Tests unkompliziert an Ärzte. So soll das bei dem Projekt in Köln nun auch sein. Die Schwelle muss niedrig gehalten werden, sonst kommen die Betroffenen nicht zur Diagnose und anschließend nicht bei der Therapie an.


Christoph Sarrazin, Deutsche Leberhilfe

Professor Christoph Sarrazin arbeitet seit mehr als 25 Jahren in der Grundlagen- und Klinischen-Forschung von Lebererkrankungen und ist mit verantwortlich für die deutsche Leitlinie zur Hepatitis C und B Virusinfektion. Er ist Vorstandsmitglied der Deutschen Leberstiftung und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Leberhilfe mit Sitz in Köln.

Professor Christoph Sarrazin arbeitet seit mehr als 25 Jahren in der Grundlagen- und Klinischen-Forschung von Lebererkrankungen und ist verantwortlich für die deutsche Leitlinie zur Hepatitis C und B Virusinfektion. Er ist Vorstandsmitglied der Deutschen Leberstiftung und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Leberhilfe mit Sitz in Köln.


Gibt es Länder oder Städte, die schon hepatitisfrei sind?

Kaum. Island ist meines Wissens das einzige Land. Dort hat man alle Menschen getestet, 1000 Fälle festgestellt und anschließend behandelt. Die Insellage hilft. Auch die skandinavischen Länder können das Ziel „hepatitisfrei“ bis 2030 realistisch erreichen.

Was ist mit der Mehrheit der Menschen, die nicht Drogen konsumieren, ohne Obdach sind – sprechen Sie die hier genauso deutlich an?

Auf jeden Fall. Die Möglichkeiten der Infektion sind mannigfach. Hepatitis ist zum Beispiel beim Sex übertragbar, was junge Menschen stärker in den Fokus rücken lässt. Aber auch ältere können betroffen sein, wenn sie beispielsweise in den 70er oder 80er Jahren Bluttransfusionen bekommen haben. Hepatitis-C hat man erst 1989 entdeckt, wurde vorab also unwissentlich auch über Medizinprodukte verbreitet.

Hepatitis B überträgt sich zudem auch bei der Geburt. Werdende Mütter in Deutschland werden zwar alle auf Hepatitis B getestet, in anderen Ländern ist das aber nicht unbedingt obligat. Und auch das Urlaubstattoo bei einem zweifelhaften Laden am Strand kann die Infektionsquelle gewesen sein.

Die Leber gilt nicht als das schickste aller Organe. Woran liegt das?

Da haben Sie Recht. Dabei ist die Leber die Reinigungszentrale des Körpers. Das interessiert aber die wenigsten. Wenn ich auf einer Party erzähle, dass ich an Hepatitis forsche, dann sagen alle: „Ok, und welche Sportarten mögen Sie?“ Dabei war das mal anders. Bei den alten Griechen galt die Leber als größtes Organ des Menschen mit einem Gewicht von mehr als einem Kilogramm als Sitz der Seele. Das hat sich aber gewandelt. Heute firmiert das Herz unter dem Label „schickstes Organ“, die Leber gilt eher als üsselig. Sie leidet unter dem Stigma, dass wir sie mit Alkoholmissbrauch verbinden.

Und in der Tat ist Alkohol ja auch ein Risikofaktor.

Der Alkohol ist bei übermäßigem Konsum sowohl ursächlich für eine eigene Lebererkrankung. Zusätzlich spielt er auch in kleineren Mengen als Co-Faktor eine Rolle. Schließlich schreitet jede Lebererkrankung schneller voran, wenn man dem Organ zusätzliche Belastungen zumutet. Neben Alkohol schadet auch ein erhöhter Zuckerkonsum, vor allem zu viel Fruktose tut nicht gut. So gesehen ist auch zu viel von Fruchtsäften wie zum Beispiel Orangensaft schädlich für die Leber.