Hyperinflation in KölnMorgens bekam man Brot, mittags kein Brötchen mehr
Köln – Es ist ein Thema, das die Kölner in diesen Tagen wieder umtreibt. Die „Große Inflation“, der sich Werner Schäfke aus Kölner Sicht in seinem neuen Buch annimmt, hatte freilich viel dramatischere Ausmaße als die aktuelle Geldentwertung. Von den 3,2 Billionen Mark, die Ende November 1923 ein Kilo Margarine kostete, sind die aktuellen Preise meilenweit entfernt.
Damals, vor 100 Jahren, waren es die Finanzierung des Ersten Weltkriegs und die anschließenden Reparationszahlungen, die die Notenpressen glühen ließen. Stiegen die Preise zunächst mäßig, setzte ab 1921 nach einer Änderung des Bankgesetzes die Hyperinflation ein. 1723 Druckpressen arbeiteten Tag und Nacht für die Reichsbank. Münzgeld gab es nicht mehr, da das Metall für Rüstungszwecke eingezogen worden war.
Köln druckte 13 Trillionen Mark
Auch Kommunen und Industriebetriebe druckten unkontrolliert bunte Notgeld-Scheine. Allein die Stadt Köln ließ Notgeld in Höhe von rund 15 Trillionen Mark herstellen. Wegen offiziell festgesetzter Preise verschwanden Waren von den Wochenmärkten oder aus Kaufhäusern und tauchten stattdessen auf dem Schwarzmarkt wieder auf. Die Löhne sanken 1922/1923 erst langsam, schließlich jedoch dramatisch unter das Existenzminimum.
Dennoch spricht Werner Schäfke, Historiker und früherer Direktor des Kölnischen Stadtmuseums, von Köln als einer „Insel der Seligen“: Wegen der englischen Besatzung seien mehr harte Devisen in Umlauf gewesen als in anderen Städten. Und nicht jeder hatte unter der massiven Geldentwertung zu leiden, schließlich verloren auch Schulden dramatisch an Wert. Nicht zuletzt profitierte die Stadt Köln davon. Wer geschickt war, konnte zudem mit kreditfinanzierten Devisenkäufen viel Geld machen.
Inflation nur spärlich überliefert
Der normale Kölner hatte jedoch wenig zu lachen. Schmuck, Gemälde oder Teppiche wurden an Spekulanten und devisenstarke Ausländer verkauft, um über die Runden zu kommen. „Bekam man für sein Geld um neun Uhr noch ein Brot, dann gab es für das gleiche Geld um zehn Uhr kaum noch ein Brötchen“, zitiert der Autor Gewerkschaftssekretär Peter Fröhlich. Luise Straus-Ernst, einige Jahre mit Künstler Max Ernst verheiratet, berichtet von der Auszahlung ihrer Mitgift durch ihren Vater: Von den „einigen zig tausend Mark“ habe sie sich gerade mal ein Straßenbahn-Ticket kaufen können.
In Overath führte der Hunger zum „Kartoffelkrieg“: Arbeitslose junge Männer kamen mit dem Zug aus den Kölner Industrievororten, um die Kartoffelernte aus dem Boden zu holen. Dass im Buch solche Alltagsberichte im Wust der Zahlen etwas zu kurz kommen, liegt laut Werner Schäfke auch an der spärlichen Überlieferung durch Zeitzeugen: „Das Thema Inflation wird erheblich weniger angesprochen, als man denkt“, so der 78-Jährige: „Das zeigt, welches Trauma die Inflation gewesen ist.“
„Eine Inflation hat viele Opfer, das sind oft die Schwächeren“, so Jürgen Roters, ehemaliger Oberbürgermeister und Vorstand der „Freunde des Kölnisches Stadtmuseums“, am Dienstag bei der Vorstellung des Buchs. Der Verein hat das Projekt unterstützt: Die Herstellungskosten waren wegen der gestiegenen Preise für Papier und Druck immens gestiegen.
Werner Schäfke: „Die Große Inflation 1914 bis 1924 – Eine Kölner Geldgeschichte“. Marzellen-Verlag, 192 Seiten, 19,95 Euro. ISBN 978-3-937795-70-6