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„Ich war nie ein Opfer“Der schwierige Weg raus – Vom Ausstieg aus der Prostitution

Lesezeit 14 Minuten
Stühle

  1. Für unsere Serie „Köln im Rotlicht“ sind unsere Reporter in die Rotlicht-Szene eingetaucht, haben mit Prostituierten, Freiern, Zuhältern und Bordellchefs gesprochen.
  2. Folge 16: Viele Frauen wollen aus dem Prostitutionsgewerbe aussteigen. Eva hilft denen, die den Weg allein nicht schaffen.
  3. Doch für viele Frauen gibt es auch Gründe zu bleiben. Zum Beispiel für Mareike. Sie blickt auf Männer herab, aber das Geld hält sie.

Köln„Wenn da nicht diese Frau mit den Muffins gewesen wäre, würde ich heute noch im Bordell arbeiten. Oder ich würde schon nicht mehr leben.“Die Frau mit den Muffins heißt Eva und lacht, als Lena diesen Satz an einem warmen Spätsommertag in einem Deutzer Café sagt. Eva besucht Prostituierte in Kölner Laufhäusern, um sie zu fragen, wie es ihnen geht. Ob sie klar kommen. Oder Hilfe brauchen. Wenn die Frauen es wollen, wirklich wollen, unterstützt Eva sie auch beim Ausstieg. -> Hier: Alle 20 Folgen der Serie „Köln im Rotlicht“ im Überblick!

„Als wir uns in einem Laufhaus kennengelernt haben, wollte Lena zuerst gar nicht über ihre Vergangenheit reden“, erinnert sich Eva. „Es war mir alles zu viel, ich wollte lieber vergessen, hatte fast alles verdrängt oder mit Drogen betäubt“, sagt Lena. Von einem Zuhälter war sie mit einem Pistolenknauf und einem Besenstiel verprügelt und bedroht worden, ein anderer Lude beließ es dabei, sie zu kontrollieren, unter Druck zu setzen und sämtliches Geld zu kassieren. Lena, die aus Mazedonien kommt und nur gebrochen Deutsch sprach, wusste sich nur mit Betäubungsmitteln zu helfen. „Vor einer Anzeige hatte ich große Angst“, sagt sie.

Lesen Sie hier alle bereits erschienenen Folgen von „Köln im Rotlicht – Das Geschäft mit der Prostitution“ ->

Eva kam jetzt allerdings regelmäßig ins Laufhaus. Und Lena merkte, dass da ein Mensch war, der sich für sie interessiert. Sie begann, Eva ihre Geschichte zu erzählen, die mit einer Kindheit in Armut in Mazedonien begann und mit erzwungener Arbeit in einem Kölner Bordell nicht enden sollte. Sie sprachen über Lenas abgelaufene Aufenthaltsgenehmigung und eine mögliche Meldeadresse, darüber, was nötig wäre, um Sozialhilfe zu bekommen. Eva schrieb der Krankenkasse, dem Ausländeramt und dem Finanzamt, hörte sich nach Wohnungen und WG-Zimmern um, weil Lena seit mehreren Jahren im Bordell lebte. „Eva wurde mein Schutzengel“, sagt Lena, „ich glaube nicht, dass es ein Zufall war, dass wir uns kennengelernt haben.“Ausstiegsgeschichten wie jene von Lena sind selten. „An viele Frauen“, sagt Eva, die lieber anonym bleiben will, „kommen wir nicht heran – und die Sozialarbeiter, die mit den städtischen Behörden zusammenarbeiten, schon gar nicht. Wenn eine Frau von Menschenhandel betroffen ist, können wir nichts tun – außer, die Polizei zu informieren. Ich habe mal mit einer Frau gesprochen, die mir erzählt hat, dass sie regelmäßig brutal geschlagen wird – sie wollte aber um keinen Preis Anzeige erstatten. Die Dunkelziffer der von Menschenhandel betroffenen Frauen ist groß.“

„Diesen Schritt schaffen die meisten Frauen nicht“

Lena sagt, sie kenne viele Frauen, denen es ähnlich ergehe wie ihr. „Die Männer, die mich kontrolliert haben, hatten immer mindestens zwei oder drei andere Frauen.“ Lena gelang der Ausstieg auch, weil sie sich gegen ihren letzten Zuhälter wehrte: Ihm zumindest androhte, ihn anzuzeigen. Ihm von Fotos erzählte, die sie von ihm habe. Und im Bordell meldete, dass der Mann ihr Geld wegnahm. „Lena war sehr stark, diesen Schritt schaffen die meisten Frauen nicht“, sagt Eva. „Mir hat es auch geholfen, dass ich einen Mann kennengelernt habe, der nicht im Milieu arbeitet“, sagt Lena. Ihre zwei kleinen Kinder toben auf einem Spielplatz in Sichtweite. „Auch für sie möchte ich nie mehr zurück ins Bordell.“

Nicht immer steht ein Zuhälter hinter den Frauen, die aussteigen wollen. Adriana aus dem Kosovo kam mit einem abgeschlossenen Sprachenstudium nach Köln. Sie hatte keine Aufenthaltserlaubnis, also auch keine Möglichkeit, legal Geld zu verdienen, landete in einer Wohngemeinschaft mit zwei Rumäninnen, die in einem Bordell arbeiteten – und stellte sich, „weil ich keine andere Möglichkeit sah“, ebenfalls in einem Laufhaus vor. Mehrmals hätten sich ihr Männer als „Beschützer“ angeboten, sagt die 29-Jährige, die fünf Sprachen spricht. „Ich habe immer Nein gesagt. Ich wollte bei so einem Job nicht auch noch Geld abgeben.“

Glossar

Agisra

Die „Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung“ in Köln ist seit 1993 eine Beratungs- und Informationsstelle für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen. Agisra unterstützt zum Beispiel Frauen, die von Gewalt, Sexismus oder Rassismus betroffen sind, die Sozialarbeiterinnen reden mit Frauen auf dem Straßenstrich, am Eigelstein und in Bordellen. Der Verein sitzt in der Bolzengasse in der Altstadt, Telefon 0221/124019.

Escort

Begleit-Agenturen oder Escort-Agenturen vermitteln Frauen, seltener auch Männer, gegen Honorar für eine vereinbarte Zeit. Die Agenturen dienen als Dienstleister und kassieren eine Provision von den Frauen, die oft zwischen 25 und 35 Prozent liegt. Die Preise für die meistens auch sexuellen Dienstleistungen schwanken, liegen aber nur selten unter 200 Euro pro Stunde und 1500 Euro pro Tag. Viele ihrer Mitarbeiterinnen seien Studentinnen, berichtet eine Kölner Agentur-Chefin. Eine vom Studienkolleg zu Berlin veröffentlichte Umfrage ergab, dass 3,7 Prozent aller Berliner Studierenden als Sexarbeiter im weiteren Sinne tätig sei. Verbände und Behörden gehen davon aus, dass der Großteil der im Escort-Bereich tätigen Frauen freiwillig dort arbeitet.

Hurenpass

Im Juli 2017 ist bundesweit das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten. Seitdem müssen Prostituierte einen speziellen Ausweis bei sich tragen, den so genannten Hurenpass. Diese Anmeldebescheinigung, die regelmäßig verlängert werden muss, ist mit Namen, Meldeadresse und einem Foto versehen. Viele Sexarbeiterinnen weigern sich, ihre Anonymität aufzugeben und den Pass zu beantragen – sie fürchten unter anderem Repressionen in ihren Heimatstaaten, in denen Prostitution unter Strafe steht.

Laufhaus

In einem meist mehrstöckigen Laufhaus mieten Prostituierte Zimmer an. Wenn sie auf Freier warten, stehen ihre Türen offen. Der Kunde streift durch die Flure und kommt mit den Frauen ins Gespräch, die vor oder in ihren Zimmern sitzen. Welche Leistungen sie anbieten und welche Preise sie dafür verlangen, bestimmen die Frauen selbst, nicht der Laufhaus-Betreiber. Er kassiert von ihnen nur die tägliche oder monatliche Miete. Der Eintritt in ein Laufhaus ist meistens frei. Wie viele der Frauen tatsächlich selbstbestimmt arbeiten und wie viele ihre Einnahmen an einen Zuhälter abtreten müssen, ist unklar.

Loverboys

Zuhälter, die vor allem Minderjährige und junge Frauen in Clubs und im Internet ansprechen. Sie täuschen ihnen die große Liebe vor, entfremden sie aber tatsächlich von Freunden und Familie und zwingen sie in die Prostitution. Laut Polizeierkenntnissen sind Loverboys in aller Regel Einzeltäter, die oft mehrere Frauen parallel haben, ohne dass die Opfer voneinander wissen.

Menschenhandel

Eine Straftat, auf die zwischen sechs Monate und zehn Jahre Gefängnis steht. Unter Menschenhandel versteht das Gesetz jede Form des Anwerbens, Transports oder Beherbergens von Menschen, um sie auszubeuten – zum Beispiel in der Prostitution, durch Bettelei oder Zwangsarbeit.

Poppers

Slang für eine flüssige, nicht verbotene Droge, die in kleinen Ampullen vertrieben wird und beim Öffnen ploppt. Poppers sollen stark gefäßerweiternd, aphrodisierend, muskelentspannend und schmerzhemmend wirken – und damit helfen, den Geschlechtsverkehr zu verlängern. Werden in fast allen Bordellen verkauft. Können zu Herzrasen, Übelkeit, Erbrechen und Sehstörungen führen, blutdrucksenkende Potenzmittel verstärken die Wirkung.

Prostituiertenschutzgesetz

Seit 1. Juli 2017 ist ein neues Prostituiertenschutzgesetz in Kraft. Es beinhaltet unter anderem die Verpflichtung eines so genannten „Hurenausweises“. Betreiber von Bordellen benötigen eine Erlaubnis und dürfen sich zuvor nicht im Bereich Menschenhandel/Prostitution strafbar gemacht haben. Das Gesetz sieht auch eine Kondompflicht für Freier und eine Gesundheits- und Ausstiegsberatung für Sexarbeiter/innen vor. Sexarbeiterinnen dürfen seit Inkrafttreten des P. nicht mehr in dem Raum schlafen, in dem sie ihre Dienstleistungen anbieten – Bordellbetreiber müssen getrennte Schlaf- und Waschräume anbieten. Das Gesetz soll Sexarbeiter/innen vor Zwangsprostitution, ungeschütztem und gewalttätigem Sex schützen. Interessenverbände und Beratungsstellen kritisieren das Gesetz: Die meisten Prostituierten, die nicht freiwillig arbeiten, würden weiterhin nicht erreicht. Die Sorge, mit einem Hurenausweis identifiziert werden zu können, treibe viele Frauen in die Illegalität.

Das Gesetz hat für Prostituierte in NRW auch positive Effekte, resümiert die Prostituierten-Beratungseinrichtung Kober. So habe sich die Hygiene in vielen Häusern verbessert, auch die Rückzugsmöglichkeiten, Aufenthaltsräume und Beratungen wurden von vielen Frauen als hilfreich beschrieben. Die in vielen Sprachen abrufbare Lola-App unterstützt demnach viele Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, um sich besser über ihre Rechte, Krankenversicherung, Prävention und Beratungsangebote zu informieren.

Saunaclub/FKK-Club

Die Gäste bewegen sich im Handtuch oder Bademantel durch den Club. Im Eintrittspreis enthalten sind oft Getränke und Speisen. Neben Sauna und Dampfbad gibt es meist eine Bar und separate Bereiche, in denen männliche Besucher mit Prostituierten ins Gespräch kommen. Die Einnahmen werden zwischen der Frau und dem Clubbetreiber aufgeteilt. Die Frauen sind entweder festangestellt, oder sie arbeiten auf eigene Rechnung beziehungsweise für einen Zuhälter, der sie häufig zum Club bringt und wieder abholt. Insider gehen davon aus, dass ein Großteil der Frauen in den Clubs nicht unabhängig von Zuhältern arbeitet.

Sexarbeit/Prostitution

Sexarbeit und Prostitution sind nicht dasselbe. Sexarbeit ist der neutralere Begriff, er beinhaltet keine negative Bewertung. Eine Sexarbeiterin ist eine Dienstleisterin, die einen sexuellen Service anbietet, um damit Geld zu verdienen. Das Wort Prostitution ist negativ belegt: Im Lateinischen bedeutet es, etwas „nach vorne zu stellen“ – sich preiszugeben oder auszustellen. Prostitution wird verbunden mit einem patriarchalen System – Bordellen, Zuhältern und Freiern, die die Regeln diktieren. Bei einer Frau, die auf den Straßenstrich geht, um ihre Drogensucht zu finanzieren, würde man eher von einer Prostituierten sprechen, bei einer Frau, die sich mit Escort-Service ihren Lebensunterhalt verdient, eher von Sexarbeiterin. Bei einer jungen Frau aus Osteuropa, die im Bordell Sex anbietet, ist die Unterscheidung schwieriger – wenn sie dort arbeitet, um die Existenz ihrer Familie zu sichern, spräche man von Sexarbeit, würde sie von ihrem Vater oder Bruder unter Druck gesetzt, anschaffen zu gehen, von Prostitution.

Sozialdienst katholischer Frauen (SkF)

Anlaufstelle im Caritasverband für Frauen und Familien in Not. Seit mehr als hundert Jahren engagiert sich der SkF in Köln für Prostituierte, informiert sie über Rechte und Pflichten, unterstützt sie bei Sorgen in Familie und Partnerschaft und hilft den Frauen beim Ausstieg, wenn sie das wünschen. Die Geschäftsstelle ist am Mauritiussteinweg in der Innenstadt, Telefon 0221/12695-0.

Verrichtungsbox

Garagenähnliche Boxen auf dem Straßenstrich an der Geestemünder Straße in Niehl. Das fußballfeldgroße, eingezäunte Gelände eröffnete im Oktober 2001. Freier fahren dort zunächst durch eine Kontaktzone und dann mit den Frauen in eine der acht Boxen, die in einer alten Scheune untergebracht sind. Es gibt auch Container für Fußgänger oder Radfahrer. In jeder Verrichtungsbox ist ein Alarmknopf an der Wand. Während der Öffnungszeiten sind Sozialarbeiter auf dem Gelände anwesend, Ordnungsamt und Polizei kontrollieren das Gelände regelmäßig.

Weißer Ring

Hilfsorganisation für Menschen, die in Deutschland Opfer von Kriminalität geworden sind. Die ehrenamtlichen Betreuer beraten auch immer wieder Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution, unterstützen sie bei der Suche nach spezialisierten Rechtsanwälten, bei der Beantragung einer lebenslangen Opferrente oder mit der Zahlung einmaliger Soforthilfen bis zu 300 Euro. Zentrale Anlaufstelle auch für Menschen in Köln ist das Landesbüro in Düren, Telefon 02421/16622.

Zwangsprostitution

Eine besondere Form der Ausbeutung und seit 2016 ein eigener Straftatbestand neben dem Menschenhandel. Vor 2016 war der Begriff rechtlich nicht definiert. Bei Verurteilung drohen dem Täter zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Haft. Die meisten Opfer stammen aus Deutschland sowie aus Ost- und Südosteuropa. Häufig werden die Frauen angeworben, indem der Täter ihnen eine legale Arbeit etwa in der Gastronomie oder Hotellerie verspricht.

Adriana lernte schon in ihrer ersten Woche im Laufhaus Eva kennen. Es dauerte ein halbes Jahr, bis sie mit Hilfe der Ehrenamtlerin ein WG-Zimmer fand, über Umwege eine Aufenthaltsgenehmigung erhielt und den Ausstieg schaffte. „Ich möchte nie wieder in dem Job arbeiten, aber ich war auch nie ein Opfer“, sagt Adriana.

Viele Frauen überlegen, aus dem Gewerbe auszusteigen. Aber es gibt auch einen großen Anreiz, dabeizubleiben: das Geld. Nicht wenigen geht es wie Angie, die als Altenpflegerin 1200 Euro netto verdient hat und das „auf der Geestemünder Straße manchmal in fünf Tagen verdient“. Manche Männer seien „ekelhaft“, manche aber auch „ganz ok und dankbar, dass Frauen wie wir da sind. Sie haben mehr Angst als wir“. Aufhören würde sie nur, „wenn ich einen Job finde, der gut bezahlt ist“.

„Ich gucke auf Männer herab“

Mareike überlegt schon lange, aufzuhören. „Der Job ist einfach extrem anstrengend“, sagt sie bei einer Tasse Cappuccino in der hinteren Ecke eines Kölner Einkaufszentrums. „Aber man kann damit sehr schnell Geld verdienen. Ich habe immer im Hinterkopf: Vielleicht kommt noch einer, der ein paar Euro da lässt, und dann kann ich mir das teure Jäckchen eben doch leisten. Und noch einer, und noch einer.“ Mareike ist 52. Seit 30 Jahren verdient sie ihr Geld mit Sex. „Warum sollte ich für 1300 Euro im Monat an der Kasse arbeiten, wenn ich als Prostituierte 1300 Euro in drei Tagen verdienen konnte?“, fragt sie.

Mareikes Männerbild hat stark gelitten durch ihre Arbeit. „Ich gucke auf Männer herab“, sagt sie. „Wenn jemand im Anzug reinkommt und darunter Frauenkleider trägt, wenn einer von mir verlangt, sein Essen vorzukauen oder wenn einer mein Erbrochenes essen will – dann verlierst du den letzten Funken Respekt.“ Nichts könne sie mehr schocken, sagt sie, aber sie habe klare Grenzen: „Wenn Pädophile kommen, sage ich: Behalt dein Geld und guck, dass du zum Arzt kommst.“

So viel Geld wie früher, sagt Mareike, lasse sich heute längst nicht mehr verdienen. Mit der EU-Osterweiterung 2007 seien die Bulgarinnen und Rumäninnen gekommen und hätten die Preise dauerhaft ruiniert. „Mit dem bisschen, was die trotzdem noch verdienen, können die in Rumänien mit ihrer Familie zwei Wochen leben.“

Ob mit oder ohne Zuhälter, freiwillig oder gezwungen – eines scheint fast alle Frauen, die als Prostituierte arbeiten, zu einen: Vom Prostituiertenschutzgesetz, das Sexarbeiterinnen seit zwei Jahren bundesweit verpflichtet, sich anzumelden und eine gesundheitliche Beratung zu absolvieren, halten sie wenig. „Die Gesundheitsberatung ist gut“, sagt Lena. „Aber mit einem Huren-Ausweis bin ich noch mehr in einer Schublade. Und an die Kondompflicht glaubt ja keiner, auch wenn das jetzt in jedem Bordell irgendwo steht.“

„Einem Zuhälter ist dieses Gesetz doch völlig egal“

„Ein Teil der Prostitution wandert durch das neue Gesetz in die Illegalität – und da sind die Frauen gar nicht mehr erreichbar“, sagt Eva, die Ausstiegsberaterin. Das ist mehr als nur eine These: In Köln haben infolge erhöhter Auflagen zahlreiche Prostitutionsstätten geschlossen. Eine von der Landesregierung in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Schluss, dass sich ein Teil der Sexarbeit ins Internet verlagert hat. Etwas mehr als 1900 Menschen sind in Köln als Prostituierte gemeldet – Sozialarbeiter und Behörden gehen davon aus, dass mindestens doppelt so viele Frauen (und ein paar Hundert Männer) für Geld Sex anbieten.

„Einem Zuhälter ist dieses Gesetz doch völlig egal. Der sagt: So, jetzt holst du dir deinen Pass, und dann machst du weiter“, sagt die 52-jährige Mareike.

Selbst die NRW-Landesregierung glaubt nicht, dass ein Hurenausweis und Hygienevorschriften die Sexarbeiterinnen wirklich schützen. Aber wie könnte ein Gesetz aussehen, dass Prostituierte schützt und Menschenhandel verhindert?

„Ein optimales Gesetz?“, fragt Mareike. Sie denkt lange nach. „Ich glaube, ich würde den Job erst ab 20 Jahren zulassen“, sagt sie schließlich. „Mit 18 bist du noch naiv, zwei Jahre mehr Zeit zum Nachdenken bringen schon was. In der Zeit fängst du eine Lehre an und gerätst vielleicht gar nicht erst in dieses Umfeld.“ Junge Frauen, findet Mareike, sollten zumindest die Chance haben, das normale Berufsleben kennen zu lernen, bevor sie sich für ein Leben in der Prostitution entscheiden.

„Wir lehnen die Zwangsberatung und Anmeldung mit der Offenlegung sämtlicher personenbezogenen Daten ab, weil viele Prostituierte befürchten, ihre Arbeit in der Prostitution würde irgendwann bekannt und könnte im schlimmsten Fall zu einer Gefahr für das eigene Leben und das der Familie werden“, sagt Monika Kleine, Geschäftsführerin des Kölner Sozialdiensts katholischer Frauen. „Stattdessen setzen wir auf Freiwilligkeit und Hilfe, haben dafür geworben, dass Frauen, die aussteigen wollen, umfassende Unterstützung erhalten, ihnen ein sicherer Aufenthaltsstatus zugebilligt wird und sie leichter Zugang zum Hilfesystem finden, selbst wenn sie erst einmal keinen Anspruch auf Hilfe haben.“ Die verstärkte Kontrolle des Prostitutionsgewerbes „befürworten wir dagegen ausdrücklich“, sagt Kleine.Lena hofft, dass sie sich nie mehr mit Prostituiertengesetzen befassen muss. „Ich möchte für meine Kinder da sein, irgendwann einen Job finden, das kann auch als Putzhilfe oder Verkäuferin sein, und nie mehr mit dem Milieu zu tun haben“, sagt sie.

„Diesen Job wird es immer geben“

Adriana wünscht sich eine Familie, vielleicht irgendwann ein Reihenhaus am Stadtrand. Ihr Studium könne womöglich anerkannt werden, „dann würde ich gern als Dolmetscherin arbeiten. Aber wenn das nicht klappt, mache ich auch etwas anderes, in der Gastronomie oder im Büro, ich bin da nicht anspruchsvoll, sondern dankbar, wenn ich hier arbeiten darf.“

Nach mehr als 30 Jahren im Gewerbe bereue sie nichts, sagt Mareike. Der Schritt in die Prostitution sei der richtige für sie gewesen. Aber wann ist Schluss? „Das kommt natürlich auch immer ein bisschen auf die eigene Optik an“, sagt die 52-Jährige. Spätestens nächstes Jahr soll es so weit sein. „Und wenn ich aufhöre, fangen andere an“, sagt Mareike. Eines steht für sie fest: „Gesetze kommen und gehen. Aber diesen Job wird es immer geben.“