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„Ich will den Frauen Gutes mitgeben“Esther Braun ist Hebamme mit Leidenschaft

Lesezeit 8 Minuten

Tim wird zum ersten Mal in seinem Leben gebadet. Vorsichtig hält Esther Braun seinen Kopf über Wasser.

Köln – Esther Braun ist ausgebucht. „Im April 2018 habe ich wieder Termine frei“, sagt sie. „Bis dahin geht gar nichts.“

Esther Braun, 37 Jahre alt, Mutter von zwei Kindern, ist Hebamme. Gerade hat sie ihre schwere braune Ledertasche mit den Akupunkturnadeln, den Cremepröbchen und dem hölzernen Pinard-Rohr, dem Hörrohr für die kindlichen Herztöne, aus dem Kofferraum gewuchtet. Unter ihrem Arm klemmt ein Badeeimer. Am Rückspiegel ihres Autos baumelt ein kleiner Storch aus Plüsch.

Punkt zehn Uhr wird sie in der Innenstadt von Köln vier Etagen hochsteigen zu Familie Müller (alle Namen geändert). Kinderschuhe stehen vor der Tür, in der Wohnung riecht es nach Kind und Hund und warmem Tee. Jonas kommt zielstrebig auf sie zugelaufen. Er ist zwei Jahre alt, sein Bruder Tim ist gestern sieben Wochen alt geworden. „Baby“, sagt Jonas und deutet auf einen verschlafenen Säugling, der friedlich dem Arm seiner Mutter Emma liegt. „Baby“, bestätigt Esther Braun und tätschelt Tims Rücken.

Esther Braun sorgt sich um die Familie

Es ist ihr zwölfter Hausbesuch bei Familie Müller seit der Geburt von deren zweitem Kind. „Wie geht es euch? Wie war der Urlaub?“ Sie stellt Tasche und Eimer ab, eine rasche Umarmung. Ein freundliches Nicken hinüber zu Max, dem Kindsvater. Heute steht Tims erstes Bad auf dem Programm. Solange die Nabelschnur nicht abgeheilt war, ist er mit nassen Tüchern gesäubert worden.

„Klappt es mit dem Stillen? Warst du beim Frauenarzt? Wie sieht der Bauch aus?“ Wir sitzen in der Küche. Ein Tisch aus weißem Resopal, an der Wand ein großer Kalender. Esther Braun hat Jonas auf den Schoß genommen und streicht ihm übers Haar, während er auf einem Mini-Tablett herumdaddelt. Eben hat Max ihr ein Foto von Tim geschenkt, das sie zu Hause an ihre Pinnwand hängen wird.

Sie sei froh, dass Esther regelmäßig kommt, sagt Emma. Auch wenn Tim ihr zweites Kind sei und sie somit Erfahrung im Umgang mit Säuglingen habe. „Sie schaut auch nach mir. Ob es mir gutgeht, was meine Brust macht.“

Mit Emma vereinbart Esther Braun den nächsten Besuchstermin.

Familien haben bis zur zwölften Lebenswoche des Kindes Anspruch auf Nachsorge durch eine Hebamme: In den ersten zehn Tagen nach der Geburt können sie deren Dienste sogar zweimal täglich nutzen. Anschließend stehen ihnen weitere 16 Hausbesuche zu. Doch Hebammen wie Esther Braun sind rar geworden in Deutschland – und ihre Dienste begehrter denn je. Zwar ist die Zahl der freiberuflichen Geburtshelferinnen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen – nach Angaben des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) von 15.200 im Jahr 2009 auf rund 18.000 im Jahr 2016.

Kaum noch hauptberufliche Hebammen

Doch den Bedarf decken können sie längst nicht mehr. Viele Hebammen arbeiteten nur noch in Teilzeit oder in geringfügigem Umfang, schränkt der „Deutsche Hebammenverband“ (DHV) die frohe Botschaft ein. Und beklagt bitter die Gründe dafür: „schwierige Arbeitsbedingungen, geringe Vergütung und stark angestiegene berufliche Kosten“. Zu denen unter anderem die immens hohen Beiträge für eine Haftpflichtversicherung zählen. Die von der GKV veröffentlichten Zahlen spiegelten also beileibe nicht die aktuelle Situation wider.

Inzwischen vereinbaren viele werdende Mütter bereits mehr als ein halbes Jahr vor der Geburt Termine für eine nachgeburtliche Betreuung – was Esther Brauns auf Monate ausgebuchten Terminkalender erklärt. „Der Extremfall war eine Frau, die sich sofort nach dem ersten positiven Schwangerschaftstest bei mir gemeldet hat“, erzählt sie. „Die Schwangerschaft war noch nicht einmal gesichert.“

Doch auch rasches Handeln ist mittlerweile keine Garantie mehr dafür, rechtzeitig eine Hebamme zu finden. Ihre Arbeit werde immer schwieriger, klagt das „Hebammennetzwerk Köln“, ein Verbund von 160 freiberuflichen Geburtshelferinnen aus Köln und Umgebung. Der Verein vermittelt seit 1995 schwangeren Frauen Kontakte zu Hebammen.

Immer mehr Frauen finden keine Hebammen mehr

Inzwischen müssten zunehmend mehr Anfragen abgewiesen werden. 2016 fand sich für 826 von 4648 Frauen keine Hebamme, in diesem Jahr wurden bereits 935 von 3151 Anfragen abschlägig beschieden. Hinzu kamen mehr als 400 brandeilige Anfragen kurz vor dem errechneten Geburtstermin. „187 konnten nicht vermittelt werden. Diese Frauen werden keine Hebamme mehr finden“, fürchtet Christina Hammer-Markos. Der Grund für die Misere: Arbeitsüberlastung und steigende Geburtenzahlen. 2016 wurden in Köln 14 381 Kinder geboren, so viele wie seit Jahren nicht mehr. Auch bundesweit steigen die Zahlen.

Esther Braun hat den Badeeimer auf den Küchentisch gestellt und prüft die Wassertemperatur, ehe sie den strampelnden Säugling vorsichtig ins Wasser gleiten lässt. Mit festem Griff hält sie Tims Kopf hoch und beobachtet, wie sich seine Fäuste allmählich entspannen. Auch Esther Braun spürt, dass es zunehmend eng wird in ihrem Beruf. Sie arbeitet als fest angestellte Hebamme in einem Kölner Krankenhaus und betreut als Freiberufliche bis zu acht Frauen vor und nach der Geburt. Natürlich sei das stressig, sagt sie. Viele vorgeburtliche Termine lägen am Nachmittag oder Abend, weil die schwangeren Frauen berufstätig seien. Das kollidiere schon mal mit dem eigenen Familienleben.

Mit einem Pinard-Rohr hört die Hebamme die Herztöne des Kindes ab.

Eine Stunde später: Wir sind auf dem Weg zu Verena Klaus im Kölner Süden. Die 29-Jährige erwartet in drei Monaten ihr erstes Kind. Esther Braun wird Verenas Bauchumfang messen, mit ihren Händen die Größe des Kindes und der Gebärmutter ertasten und die kindlichen Herztöne abhören. „Ich liebe meinen Beruf“, sagt sie. „Für mich gibt es nichts Schöneres, als Frauen in dieser Phase ihres Lebens zu begleiten.“ Schon ihre Großmutter sei Hebamme gewesen. „Ich habe gesehen, was sie den Frauen Gutes mit auf den Weg gegeben hat, und genau das möchte ich auch tun.“

Lange Arbeitszeiten, wenig Geld, moralische Verantwortung

Rund 120 Euro brutto wird Esther Braun am Ende des Tages verdient haben, zu wenig für die Zeit und den Aufwand, die sie in vier Hausbesuche investiert hat. Ein Wochenbettbesuch wird mit einem fixen Betrag von 32 Euro entgolten. „Die Krankenkassen veranschlagen dafür 20 bis 30 Minuten“, sagt sie. „Doch viele Frauen wollen das Geburtserlebnis vertiefen und davon erzählen.“ Andere seien durch eine schwere Geburt traumatisiert, manche haben ihr Kind vorzeitig verloren. Auch diese Frauen betreut sie. „Da will man nicht auf die Uhr gucken. Das könnte ich auch gar nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.“

Der Kampf zwischen gesetzlichen Krankenkassen und Hebammenverbänden um eine angemessene Vergütung und bessere Arbeitsbedingungen tobt seit Jahren. Vor allen in den Krankenhäusern fehlen zunehmend Beleghebammen, freiberuflich tätige Geburtsbegleiterinnen, die pro erbrachter Leistung bezahlt werden. Die Honorare deckten bei weitem nicht den Betreuungsaufwand, bemängelt der Hebammenverband. Oft müsse eine Hebamme mehrere Gebärende gleichzeitig betreuen. Der Klinikalltag ist weit entfernt von den Vorstellungen des Verbands, der seit Jahren eine 1:1-Betreuung fordert: eine Hebamme pro gebärende Frau.

Ein weiteres Problem: Immer mehr Geburtsstationen in Deutschland schließen, weil sie nicht kostendeckend arbeiten können. In den noch verbliebenen Stationen erhöht sich der Druck auf die Ärzte und Hebammen. Von mehr als 1100 Kliniken, in denen im Jahr 1991 Geburten möglich waren, existieren 2016 nur noch 716. Auch in NRW geht die Zahl der Geburtskliniken kontinuierlich zurück: von 190 im Jahr 2011 auf 172 im Jahr 2014. Und das Kliniksterben geht weiter. Im Sommer 2017 schloss das St. Vinzenz-Hospital in Köln-Nippes seine „Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe“, in der im vergangenen Jahr noch 1000 Babys geboren wurden. Anfang des Jahres hatte bereits die „Asklepios-Klinik“ im nahen Sankt Augustin seine Geburtshilfeabteilung dichtgemacht.

„Wir sind in Deutschland weit entfernt von einer sicheren Geburtshilfe“, klagt die Kölner Hebamme Nitya Runte, Vorsitzende der Initiative „Hebammen für Deutschland e.V.“. Und fasst die Lage mit knappen Worten zusammen: „Ein einziger Albtraum.“ Die Fallpauschale, die die Krankenkassen für eine natürliche Geburt zahlten, die sich über Stunden hinziehen könne, entspräche der einer Blinddarmoperation von 20 Minuten Dauer. Wie, das fragt sich nicht nur Nitya Runte, „sollen sich Geburtsstationen da halten?“

Frauen werden teils von Kliniken abgewiesen

Gebärende Frauen müssten zum Teil weit fahren, ohne letztendlich die Garantie zu haben, aufgenommen zu werden. Oft müssten sie sogar mehrere Kliniken anfahren. „Ich habe erlebt, dass in Köln eine Frau mit einer Zwillingsschwangerschaft von der Klinik, in der sie bereits angemeldet war, abgewiesen wurde. Neun weitere Häuser lehnten sie ebenfalls ab, bis sie schließlich mit dem Rettungswagen nach Düren gefahren wurde.“

Doch es tut sich etwas. Vor zwei Wochen hat eine Schiedsstelle, die zwischen den Krankenkassenverbänden und den Vertreterinnen der Hebammen vermitteln sollte, nach langem Ringen eine Anhebung der Honorare für freiberufliche Hebammen um 17 Prozent beschlossen. Außerdem sollen Beleghebammen nur noch zwei Gebärende gleichzeitig betreuen oder deren Betreuung abrechnen dürfen. Brauchten mehr als zwei Frauen zeitgleich ihre Unterstützung, „ist das Hinzuziehen einer oder sogar zweier Beleghebammen notwendig“. Woher die kommen sollen, verrät die Schiedsstelle nicht.

Beim Hebammenverband glaubt man denn auch, dass die Entscheidung eine eher abschreckende Wirkung auf die eigene Klientel hat, und fürchtet „gravierende Auswirkungen auf die geburtshilfliche Versorgung von Frauen in Deutschland“. Der Schiedsspruch bedeute „massive Einschnitte in der Berufsausübung von Hebammen“, so Präsidentin Martina Klenk.

Man habe versäumt, die Rahmenbedingungen anzupassen. Es fehle beispielsweise das notwendige Personal. „Eine gute Qualität in der Geburtshilfe erreichen wir mit ausreichend Hebammen, nicht mit weniger Leistung durch Hebammen.“