„Ich wünschte mir, dass ich sterbe”Kölnerin engagiert sich gegen Genitalverstümmelung
Köln – Den Tag, an dem sie beschnitten wurde, wird Beryl Magoko (38) wohl niemals vergessen. Mit 300 anderen Mädchen stand sie mitten auf einem Feld in Kenia und wartete darauf, dass eine alte Frau den Eingriff vornahm. Ohne Medikamente, ohne sterilisierte medizinische Instrumente. Das Gesicht der Frau ist mittlerweile in ihrer Erinnerung verblasst. „Ich erinnere mich an sie wie an ein hässliches Tier“, sagt Magoko im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger.“ Sehr präsent sind aber die Schmerzen nach dem Eingriff. „Ich habe keine Worte, um das zu beschreiben. Ich habe gewünscht, dass ich sterbe.“ Magoko war zehn Jahre alt, als ihre Genitalien verstümmelt wurden.
Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass es 200 Millionen Frauen und Mädchen gibt, die beschnitten wurden. Betroffen von der Female Genital Mutilation (FGM) sind Frauen und Mädchen vor allem in afrikanischen Ländern. So soll der Anteil der beschnittenen Frauen in Somalia bei 98 Prozent, in Dschibuti bei 93 Prozent und in Sierra Leone bei 90 Prozent liegen. Aber auch in Deutschland nimmt die Praxis zu. Das Bundesfamilienministerium geht von 67.000 Frauen aus, die mit einer FGM leben. Der Anteil der bedrohten Mädchen sei von 2017 auf 2020 um 160 Prozent gestiegen.
Sozialpädagogin Birgit Wetter-Kürten von der Beratungsstelle Esperanza des Sozialdienstes katholischer Frauen begegnet das Thema immer wieder bei ihrer Beratungsarbeit. „Viele Frauen, die zu uns in die Beratung kommen, sprechen aufgrund der erlittenen Gewalt und Scham zunächst nicht über die Beschneidung. Es wird erst im Laufe des Gesprächs zum Thema“, sagt sie. Viele Familien, die aus Ländern in denen FGM praktiziert wird nach Deutschland zugewandert sind, schützen ihre Töchter und lehnen die Praktik ab, so Wetter-Kürten.
„Manche Familien stehen jedoch sehr unter dem Druck ihrer Community. So kann es passieren, dass eine Beschneidung –auch gegen den Willen der Eltern – bei Reisen in das Herkunftsland von Verwandten vorgenommen wird.“ Auch durch eine Abschiebung könnten Mädchen und Frauen von einer erneuten Beschneidung und weiterer Gewalt betroffen sein. Im Asylverfahren sei daher eine besondere Sorgfalt nötig, um den Schutz für bedrohte Mädchen und Frauen sicher zu stellen.
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„Die Mädchen wissen nicht, was auf sie zukommt“, sagt Magoko, die heute als Regisseurin und Aktivistin über FGM informiert. Aber die Gemeinschaft dränge sie, sich beschneiden zu lassen, der soziale Druck sei immens hoch. Sie erinnert sich, dass sie als Mädchen nicht einmal beim Eingriff weinen durfte. „Du musst stark sein, sonst bringst du Schande über deine Familie.“ Nach der Beschneidung habe sie kaum laufen können, sei immer wieder Blut aus der Wunde geflossen. Sie habe besonders starke Schmerzen gehabt, wenn die Wunde gesäubert werden musste.
Auch Säuglinge werden beschnitten
Beschneidungen werden meist im Alter von vier bis zehn Jahren, nicht selten aber schon im Säuglingsalter durchgeführt. Die Genitalverstümmelung hat gravierende gesundheitliche Auswirkungen. Es kann zu schweren Blutungen, Entzündungen oder sogar zu einer Blutvergiftung kommen. Die Betroffenen haben Schmerzen beim Urinieren und bei der Menstruation und leiden an den psychischen Folgen des Eingriffs. Mitunter sterben Mädchen am Blutverlust.
Komplikationen gibt es auch bei der Geburt. Dann muss die zugenähte Vagina der beschnittenen Frau, die nur einen kleinen Spalt hat, um urinieren zu können, wieder geöffnet werden. Die Vereinten Nationen und die EU haben in mehreren Papieren die FGM als Menschenrechtsverletzung eingestuft. In Deutschland gilt die Beschneidung als Straftat und kann mit einer Haft von ein bis 15 Jahren geahndet werden.
Bis zu 15 Jahre Haft
Die Beschneidung werde in vielen Familien noch als Tradition gesehen, gegen die man nicht verstoßen dürfe, so Magoko. Frauen, die nicht beschnitten seien, gelten als unrein, dürften kein Wasser holen, kein Essen anfassen. Sie dürften kein Kind gebären, weil man Angst habe, dass das Kind sterben könne. „Tatsächlich geht es freilich darum, Frauen und ihre Sexualität zu kontrollieren“, sagt Magoko. „Diese extreme Form der Gewalt an Mädchen zielt darauf ab, sie zu schwächen“, sagt auch Wetter-Kürten.
Das Problem sei, dass über FGM oft nicht gesprochen werde, so Magoko. Sie habe mit ihrer Familie nicht über das Thema sprechen können; auch ihre Mutter nicht mit deren Mutter. „Es ist eine Form von Gewalt, die traumatisiert, aber wir sind sprachlos. Aber wenn man nicht darüber spricht, frisst es einen von innen auf.“
Extreme Form von Gewalt
Beryl Magoko will längst nicht mehr schweigen. Die Filmemacherin studierte in Mombasa (Kenia), Kampala (Uganda) und machte 2018 ihren Abschluss an der Kölner Kunsthochschule für Medien. Ihr Abschlussfilm „In Search“ ist biografisch inspiriert und zeigt ihre Reise vom Rheinland zurück in ihr Heimatdorf, in dem sie mit zehn Jahren beschnitten wurde. Sie führt in der Doku Gespräche mit verschiedenen Frauen, auch mit ihrer eigenen Mutter. Der Film wurde auf Dutzenden Filmfestivals gezeigt und erhielt mehrere Preise, unter anderem beim Internationalen Dokumentationsfestival in Amsterdam.
Magoko glaubt, nur mit mehr Informationen könne man die FGM weltweit, aber auch in Deutschland stoppen. „Die Mädchen können die Entscheidung nicht treffen. Wir müssen mit den Eltern und der ganzen Community sprechen.“ Die Filmemacherin wünscht sich, sie könnte ihren Film noch öfter in Kenia zeigen. Dort war er bislang nur dreimal zu sehen, in den Dörfern, wo der Informationsbedarf am größten ist, noch nie. „Wenn die Leute den Film sehen, wird sich vielleicht was ändern“, hofft sie. „Ich möchte einmal aufwachen, und dann gibt es keine Beschneidungen mehr.“