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Inklusion in KölnGegen den Willen der Eltern

Lesezeit 4 Minuten

Familie Selimovic in ihrer kleinen Küche in ihrer Baracke am Großmarkt

Köln – Die dreizehnjährige Barbara warnt den Besucher. „Wir sind viel zu viele für das kleine Haus.“ Drei Zimmer, 55 Quadratmeter, in der Küche ein Tisch, an den nicht alle passen. Mevla und Janos Selimonviç leben mit ihren sieben Kindern in einer Baracke am Großmarkt. Giovanni möchte Polizist werden, Barbara Apothekenhelferin, der neunjährige Jo Präsident des 1.FC Köln. Der hellwache Daniele könnte sich als Rechtsanwalt vorstellen. „Da kann ich den Leuten helfen.“ Die Traumberufe sind für alle Kinder nicht nur wegen ihres Alters ganz weit weg.

Die Zahlen der Schüler an Förderschulen sind seit Jahren rückläufig. Allerdings gibt es große Unterschiede je nach Förderschwerpunkt. So sank die Schülerzahl an den Lernbehinderten-Schulen innerhalb von vier Jahren um 36 Prozent. Bei Schulen für Kinder, die geistig oder körperlich behindert sind, sind die Zahlen relativ konstant.

Für Erst- und Fünftklässler gilt seit diesem Schuljahr ein Rechtsanspruch auf Inklusion. Die Eltern haben die Wahl zwischen Förderschule und gemeinsamen Unterricht in einer Regelschule. Dies hat bislang nicht dazu geführt, dass sich eine Mehrheit gegen die Förderschule entschieden hat. Die Inklusionsquote bei diesen Jahrgängen liegt bei 38,7 Prozent.

Die zuständigen Stellen in Schulverwaltung und Gesundheitsamt haben allen Kinder einen sonderpädagogischen Förderbedarf attestiert und sie gegen den Willen der Eltern einer Förderschule für Lernbehinderte zugewiesen. Für die Befürworter des Ausbaus des gemeinsamen Unterrichts von Kindern mit und ohne Behinderung ist das ein klarer Fall von Selektion und Diskriminierung. Die Bildungsferne der Eltern oder Sprachschwierigkeiten sind keine Kriterien zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs. „Natürlich haben die Kinder einen zusätzlichen Förderbedarf. Den zu decken ist aber Aufgabe der Regelschullehrer “, sagt Eva Thoms vom Elternverein „Mittendrin“.

Der Fall der Familie Selimoviç ist auch deshalb so brisant, weil seit diesem Schuljahr für das erste und fünfte Schuljahr der Rechtsanspruch auf Inklusion besteht. Die Schulverwaltung muss Eltern ihre Wahlmöglichkeit erläutern und Angebote machen. Das ist hier offenbar nicht geschehen. Meval und Janos haben für zwei Kinder Papiere unterschrieben, deren Inhalt ihnen nicht erklärt richtig wurde. Vorschläge für Schulen mit gemeinsamen Unterricht seien ihnen nicht gemacht worden, sagen sie. Statt der staatlichen Stellen mussten andere helfen: „Mittendrin“ und eine vom Jugendamt eingesetzten Familienhelfern haben zumindest für drei Kinder Regelschulen gefunden, die sie aufgenommen haben.

„Kinder lernen von Kindern“

Für diese Kinder sei es richtig und wichtig, dass sie in eine ganz normale Schule gehen, findet der Leiter der Nikolausschule in Zollstock, Alfred Weber, der den Erstklässler Sabato aufgenommen hat. „Kinder lernen von Kindern.“ Durch die Gemeinschaft werde die sprachliche und soziale Kompetenz gefördert. Dagegen blieben gerade an Schulen für Lernbehinderte Kinder aus benachteiligten und schwierigen sozialen Milieus unter sich. Die Familie hätte gerne auch Jo bei Webers Schule angemeldet. Doch die Schule musste erst einmal abwinken: Dafür reiche die personelle Ausstattung zur Zeit nicht. Nicht alle Stellen für Sonderpädagogen seien besetzt, die man zur Inklusion brauche.

Es knirscht bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Inklusion. Diejenigen, die seit Jahren gemeinsamen Unterricht anbieten, befürchten Verschlechterungen. Die Schulen, die neu dazugekommen sind, klagen über nicht ausreichende Rahmenbedingungen, um sich angemessen um alle Schüler kümmern zu können. Der Elternverein „Mittendrin“, der sich seit Jahren für die „Schule für alle“ einsetzt, gibt Köln vergleichsweise gute Noten. „Hier läuft es deutlich besser als in vielen anderen Kommunen“, so Thoms. Die für die Umsetzung der Inklusion und der neuen gesetzlichen Regelungen zuständigen Landesbehörden sagen, dass man allen Eltern, die es für ihre Kinder gewünscht hätten, einen Platz in einer Regelschule anbieten konnte. Zum Fall der Familie Selimoviç, die dieser Darstellung widerspricht, wollt man sich aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht äußern, so die Bezirksregierung.

Nach Angaben von „Mittendrin“ soll eine nennenswerte Zahl an Eltern von behinderten Kindern einen Antrag auf inklusiven Unterricht gestellt, dann aber wieder zurückgezogen haben. Die Gründe dafür sind unklar. Möglicherweise hat sie schließlich Zweifel an der nicht ausreichenden Ausstattung der Regelschulen zögern lassen, möglicherweise wurde wie im Fall Selimoviç weiter „einseitig beraten“. Die Umstellung bleibt offensichtlich ein schwieriger Prozess.