Interview mit Klaas Heufer-Umlauf„Ich fühle mich wie ein Museumswächter“
Klaas Heufer-Umlauf, wie läuft's beim Fernsehen? Verlieren Sie im Moment viele Zuschauer an die vielen Youtube-Kanäle?
Klaas Heufer-Umlauf: Ich denke, man verliert sie nicht, sondern Youtube kommt jetzt dazu. Aber man muss schon ein spezieller Charakter sein, um sich 2015 noch ins Fernsehen zu wagen. Ich sehe mich da auch eher als konservativen, jüngeren Menschen, der das Fernsehen erhalten möchte - wie so ein Museumswächter.
Und wie geht es der Popmusik, Mark Tavassol? Viele beklagen sich, man könne nicht mehr davon leben, Spotify sei auch nicht die Lösung.
Mark Tavassol: Popmusik ist definitiv nicht tot, aber es sterben Teile der Musikbranche. Für viele Musiker ist dadurch das Thema "ich brauche unbedingt einen Plattenvertrag" in den Hintergrund gerückt - das war für viele ja auch gar nicht gesund, weil sie oft an die falschen Firmen geraten sind. Finanziell haben die Bands jetzt mehr Perspektive im Live-Geschäft. Konzerttickets sind teurer geworden, und Bands überleben, wenn sie auf der Bühne beeindrucken. Ich finde das nicht schlecht, dass man sich auf diesen Bereich nun von Anfang an konzentrieren muss, weil der andere wegbricht.
Sie wollten mit Ihrer Band Gloria also von Anfang an auf die Bühne?
Heufer-Umlauf: Ja, das war das erklärte Ziel, live zu spielen.
Nun hat man als Musiker ja gar keine Anklatscher im Publikum ...
Heufer-Umlauf: Richtig, aber diesen klassischen Anklatscher mit Applausschild haben wir auch bei "Circus Halligalli" nicht. Sicher gibt es bei manchen Fernsehsendungen Agenturen, die dafür sorgen, dass man ein Publikum bekommt, die doppelt und dreifach Freikarten verteilen. Zu uns kommen die Zuschauer aber freiwillig, das ist ein großer Unterschied.
Mark Tavassol, Jahrgang 1974, war Bassist bei Wir Sind Helden. Die Band um Sängerin Judith Holofernes war von 2000 bis 2012 aktiv. Parallel zur Musikerkarriere arbeitet der studierte Mediziner halbtags als Arzt. Gemeinsam gründeten sie 2013 die Band Gloria. Das zweite Album "Geister" ist am Freitag bei Grönland Records erschienen. Konzerttermin: am 9. Oktober im Kölner Gloria.
Haben Sie mit "Wir Sind Helden" in Ihrer Anfangszeit mal in leeren Hallen spielen müssen?
Tavassol: Das gab es auch, ich erinnere mich an eine Tour 2002, da hatten wir teilweise nur fünf zahlende Gäste. Das war hart, aber auch sehr lustig. Es dauerte allerdings nicht so lange, bis wir dann vor 70 bis 80 Leuten spielten.
Herr Heufer-Umlauf, Sie haben 2013 in einem Interview gesagt: "In den vergangenen Jahren wurde alles immer größer. Jetzt möchte ich den Zustand mal auskosten." Wie groß ist der Wachstumsdruck inzwischen?
Heufer-Umlauf: Als wir bei MTV und dann bei ZDFneo unsere Sendung hatten, war der Witz, damit zu spielen, dass es klein ist. Aber parallel dazu gibt es natürlich die Bestrebung, es größer werden zu lassen. Inzwischen sind wir an einem Punkt angekommen, wo das eine Menge Leute schauen, da geht es dann eher darum, Sachen instand zu halten oder auch neu zu beleben.
Tavassol: Als Musiker bei einer wahnsinnig großen Plattenfirma kann es sein, dass es bestimmte Etappenziele gibt, die nichts mit der Musik oder nichts mit dem Gefühl zu tun haben, das man hat, wenn man auf der Bühne steht. Aber wir sind bei keiner großen Plattenfirma, wir müssen uns darüber keinen Kopf machen. Es ärgert sich auch keiner, wenn mal 500 Leute mehr zum Konzert kommen und ein paar mehr Platten verkauft werden. Es entwickelt sich organisch.
Klaas Heufer-Umlauf, Jahrgang 1983, ist gelernter Friseur und gilt gemeinsam mit seinem Kompagnon Joachim "Joko" Winterscheidt als größte Hoffnung in der deutschen TV-Unterhaltung. Ihre Show "Circus Halligalli" kehrt am 14. September aus der Sommerpause zurück (22.10 Uhr, Pro Sieben).
Ist es ausgeschlossen, dass Joko , ihr Kompangon aus "Circus Halligalli" auf den Live-Konzerten irgendwelche bösen Fallen stellt?
Heufer-Umlauf: Nein, ausgeschlossen ist das selbstverständlich nie. Aber für Hochkultur interessiert sich Joko nicht so sehr.
Steht Ihnen bei Gloria die eigene Prominenz manchmal auch im Weg?
Heufer-Umlauf: Nein. Ich finde, man muss im Reinen sein, mit sich und allem, was man macht und vorher gemacht hat, um tatsächlich glaubwürdig Musik zu machen. Und nicht anfangen, ein neues Bild von sich zu zeichnen. Klar hat die Bekanntheit den Effekt, dass die Leute etwas genauer hinschauen. Unser erstes Album wurde sicher auch aus Voyeurismus angehört. Nach dem Motto: "Jetzt wollen wir doch mal sehen!" Oder: "Warum muss der jetzt noch Musik machen?" Das kann ich auch gut verstehen. So etwas müssen wir dann erst mal wegarbeiten. Das müsste aber auch jemand bei mir wegarbeiten, wenn ich so eine CD geschickt bekäme.
Zum Beispiel von Jan Josef Liefers, der ja auch mit Band unterwegs ist.
Heufer-Umlauf: Ja, da suchen die Leute schon genauer nach dem Haar in der Suppe. Ich finde das aber nicht schlimm, das ist normale Psychologie. Außerdem haben wir dadurch den Vorteil, dass sich die Leute unser Album zumindest mal in Ruhe anhören. Und wenn sie am Ende sagen "das ist ja Musik" - dann ist alles okay.
Mögen Sie die klassische Musiker-im-TV-Situation: Man spielt einen Song, kommt aufs Show-Sofa und der Moderator hält die CD hoch und sagt "bitte jetzt kaufen!"?
Tavassol: Es tut nicht weh. Allerdings sitzt du als Musiker im Fernsehen oft am Katzentisch und hast nichts zu melden. Es gibt sehr viele Reglements, der Song darf nur zweieinhalb Minuten lang sein, es wird mit Einschaltquoten argumentiert und der Musik wenig Bedeutung beigemessen. Es gibt eine Tendenz zur Respektlosigkeit gegenüber Musikern.
Auch bei "Circus Halligalli"?
Tavassol: Bei der Sendung von Klaas und Joko ist die Musik noch wichtig und relevant ...
Heufer-Umlauf: ... und es wird bei uns alles live gespielt, genauso wie bei Stefan Raab.
Und das Argument von Fernsehmachern, dass Musik Quote kostet?
Heufer-Umlauf: Manchmal stimmt das sogar - wenn du dich nicht ordentlich drum kümmerst. Bei "Circus Halligalli" gibt es eine Musikredaktion, wo hundertmal über die Bands diskutiert wird, bevor wir sie einladen. Die sind dann aber auch sehens- und hörenswert. Und mittlerweile stellen wir fest, dass es da gar nicht passiert, dass die Quote absackt, auch bei unbekannten Bands nicht. Im Gegenteil, du kannst nachher sehen, wie die in den iTunes-Charts hochschnellen. Das finde ich schön, die Musiker kommen gerne und fühlen sich wohl.
Tavassol: Es hat damit zu tun, wie viel Ahnung die Musikredaktion hat. Bei anderen Sendungen werden oft Künstler engagiert, wo man das Gefühl hat, man macht nichts falsch. Diese Nichts-falsch-machen-Geschichten können die Leute aber auch im Radio haben.
Heufer-Umlauf: Wir hatten in unserer Sendung schon Bands, die gar keinen Plattenvertrag hatten, von denen man nirgends eine CD kaufen konnte. Da wird bei Meetings wild drüber diskutiert, man ist nicht immer einer Meinung, aber am Ende kommt man zu einem Ergebnis. Und ProSieben redet uns da nicht rein.
Eine Frage zu Ihren Song-Texten, von denen einige sehr assoziativ und vielseitig deutbar erscheinen. Lassen Sie dem Zuhörer ganz bewusst Interpretationsspielraum?
Heufer-Umlauf: Eigentlich gibt es in fast jedem Song von uns eine Stelle, wo wir ein bisschen konkreter werden, die dann der Schlüssel ist, um den Rest zu dechiffrieren. Allerdings habe ich auch kein Problem damit, wenn jemand darin etwas ganz anderes hört, als das, woran wir beim Schreiben gedacht haben. Es ist dann nicht mehr unsere Platte, sondern die hat sich jemand gekauft, und der kann damit machen, was er will.
Tavassol: Es gibt hinter jedem Text einen sehr konkreten Gedanken. Wir sind aber beide der Überzeugung, dass diese Sprache in Bildern oft schöner und besser transportiert, was man letztendlich sagen will, natürlich auch in Kombination mit der Musik.
Gibt es Vorbilder beim Texten?
Tavassol: Ein Song ist immer nur so stark wie sein textlich schwächster Moment. Wenn ein Lied irgendwo einen Fremdschäm-Moment auslöst, ist es für mich leider vorbei. Es gibt nicht so viele Musiker, die diese Fremdschäm-Momente in ihrer Musik ausgemerzt haben. Ein alter Meister ist Rio Reiser, der durch seine schnoddrige Art viele Sachen sagen konnte, die ein anderer nicht sagen kann. Das hat ja auch etwas mit Attitüde zu tun.
Heufer-Umlauf: Wenn man sich Udo Lindenberg anschaut: Jeder andere, der einen Song wie "Cello" singen würde, würde sich wahrscheinlich zum absoluten Volldeppen machen. Da sind absurde Textzeilen drin, trotzdem berührt Udo die Leute damit.
Tavassol: Auch jemand wie Gisbert zu Knyphausen kann durch seine schnoddrige Art veredeln, was er sagen möchte. Die eine Hälfte ist Attitüde und die andere Hälfte ist das Wort.
Heufer-Umlauf: Ich würde auch AnnenMayKantereit dazu zählen.
Tavassol: Und Herbert Grönemeyer ist einer der wenigen Großen, wo man sagen muss: Der macht richtig gute Texte.
Gab es Fremdschäm-Momente bei Judith Holofernes?
Tavassol: Nein, nie. Sie war für mich auch ein wichtiger Einfluss, mit ihr habe ich zehn Jahre gearbeitet. Zweifeln Sie viel, wenn Sie schreiben?
Heufer-Umlauf: Es gibt oft genug Momente, wo man merkt: Das hier wird nichts, ab in den Mülleimer - und dann macht man den nächsten Song. Man muss sich auch trauen, mittendrin zu sagen: Es geht in eine falsche Richtung.
Wollen Sie im Radio gespielt werden?
Heufer-Umlauf: Klar!
Tavassol: Du musst eine gewisse Radiopräsenz haben. Ich habe so viele Bands gesehen, die sehr gut sind, aber nicht im Radio gespielt werden - und die haben immer nur ihre 70 bis 80 Zuschauer. Haben Sie denn eine Radiosingle geschrieben?
Heufer-Umlauf: Nicht absichtlich. Beim Schreiben spielt das keine Rolle, man guckt eher im Nachhinein und überlegt, was könnte jetzt die Single sein?
Tavassol: Gitarrenmusik hat es immer etwas schwerer. Da gibt es hin und wieder Coldplay, die sich durchmogeln, oder auch jemanden wie Bosse, also Leute, die im weiteren Sinne einen Bandsound haben. Aber ansonsten funktioniert das Radio im Moment recht gitarrenlos. Damit will ich deshalb nicht zu hart ins Gericht gehen, weil ich weiß, dass auch diese Dinge einer Entwicklung unterliegen. Und wir wissen selber nicht, wie wir in fünf Jahren klingen. Wir haben mit "Geister" einen Song veröffentlicht, der nicht hundertprozentig Radio ist, der aber eine gewisse Chance hat, ein bisschen die Runde zu machen.
Herr Heufer-Umlauf, welches Instrument würden Sie gerne spielen?
Heufer-Umlauf: Fagott. Das ist handlich, man kann es am Lagerfeuer spielen und es kommt gut an bei den Girls ...
Wenn Sie zu Hause Hintergrundrauschen brauchen, bevorzugen Sie dann Fernsehen oder Radio?
Tavassol: Ich hasse Hintergrundrauschen.
Heufer-Umlauf: Radio. Wobei ich eher Playlisten höre. Diese Musikbedudelung, wenn die ganze Zeit irgendwelche Lieder unwürdig in meine Küchenecke geplärrt werden, kann ich nicht ertragen. Ich höre auch gerne Laber-Radio, Reportagen oder manchmal auch Call-in-Sendungen.
Haben Sie denn einen Fernseher zu Hause?
Heufer-Umlauf: Klar, aber der läuft eigentlich nur, wenn ich zu faul bin, Netflix anzumachen.
Das Gespräch führte Jakob Buhre
Info: Gloria bei popula: Diese Veranstaltung findet heute statt. Auf dieser Seite gibt es Infos zur Anfahrt zu der Location Stadtgarten - Studio 672 und jede Menge weitere Termine aus der direkten Umgebung.