Junggesellinnen-AbschiedDie lange Nacht der Einhörner
Köln – Im Brauhaus Sion sitzen am Freitagabend fünf Frauen in Einhorn-Shirts um einen Tisch und feiern das letzte Abendmahl. Es gibt Schweinshaxe, dazu Kölsch, zum Nachtisch Pudding. Kein Wein, kein Brot; vielleicht ist es auch eher eine Henkersmahlzeit, so genau nehmen sie das nicht. Der letzte gemeinsame Abend in Freiheit eben.
Denn Yvonne, das goldene Einhorn, feiert heute ihren Junggesellinnenabschied. Eigentlich lebt sie mittlerweile im Erzgebirge, heute wird sie noch einmal in ihrer alten Heimat um die Häuser ziehen, mit den alten Freunden an die Lieblingsorte in der Stadt zurückkehren. Ein Abend, der in der Altstadt beginnt und viele Stunden später in Ehrenfeld endet.
18.30 Uhr Brauhaus Sion – Warmlaufen und antrinken
Der Abend ist jung, doch die Frauen sind bereits die präsenteste Gruppe im Raum. Ihr Gelächter liegt über den ruhigen Gesprächen der anderen Gäste. Der zukünftigen Braut wird eine Zwangs-Pinkelpause verordnet. Kristina, Alina, Uschi und Sandra müssen den Abend besprechen. „Wir haben eine Travestie-Stadttour gebucht“, erzählt Kristina. „Yvi wollte keinen Bauchladen und nichts verkaufen.“ Sie lacht. „Köln und kein Bauchladen – das war schon eine Herausforderung.“
Monate im Voraus haben sie den Abend vorbereitet. Den Termin gesucht, T-Shirts bedruckt (Herr der Ringe-Zitat auf der Brust, Einhorn auf dem Rücken), die Tour gebucht, Getränke organisiert. „Darum hat sich passenderweise die Schwangere gekümmert“, sagt Kristina. Die Schwangere, das ist Sandra. Sie ist frisch verheiratet, einen Monat erst. Sie wird als Cola-Trinkerin Sektfläschchen verteilen.
„Könnt ihr vielleicht ein bisschen leiser sein?“, fragt einer der Köbesse. „Oho“, sagt Alina. „Ich glaube, nächstes Mal gehen wir ins Päffgen.“ Doch sie lacht dabei und auch die Kellner scheinen das Ganze locker zu sehen. Die fünf Damen sind schließlich eine Gruppe der angenehmeren Sorte. „Bei solchen Runden kommt das ganz darauf an“, erzählt der Restaurantleiter. „Manche sind nett, andere benehmen sich wie Säue.“
Es gab sogar eine Zeit, vor etwa fünf, sechs Jahren, da ließen sie gar keine Junggesellen mehr ins Brauhaus. Zu viele Vorfälle hatte es gegeben, Schlägereien und Pöbeleien, auch mal mit Polizeieinsatz. Heute gilt: Wer sich benimmt, der ist willkommen. Das Auftreten mancher Gruppen schockiert den Restaurantleiter aber immer noch: „Manche kommen fast nackt. Das ist ein bisschen unappetitlich.“
Köln ist eines der beliebtesten Junggesellen-Ziele in Deutschland. Im Sommer erobern sie die Altstadt, mit Bauchläden, Motto-T-Shirts und alkoholgetränkten Spielen. An diesem Abend geht es vergleichsweise ruhig zu. Ferien. Vor dem Brauhaus trinken die Einhörner noch einen schnellen Sekt aus dem Pappbecher, ein Schlückchen giftgrünen Flimm.
20.00 Uhr Travestie-Expedition – Eierlikör und dreckige Witze
Travestie-Künstlerin Julie Voyage („oder Ken Reise, ganz wie du willst“) macht einen obligatorischen „hinten rein“-Witz, zupft sich das Sommerkleid zurecht und lotst alle Wartenden in einen Reisebus. Im Inneren werfen Discolichter Farbpunkte an die Decke. Vorne beginnt Julie ein Einstandslied zu trällern und hinten sichert sich die Gruppe die Plätze in der letzten Reihe.
„Wir senken ja ganz schön den Altersdurchschnitt“, bemerkt Kristina. Ihre Mitpassagiere sind überwiegend Nicht-Kölner, überwiegend Ü-40 und damit etwa anderthalb Jahrzehnte älter als die Einhörner. Fehl am Platz fühlen sie sich aber nicht. Wenn Julie Voyage in bestem Kölsch dreckige Witze reißt, dann lachen sie am lautesten. „Es hat sich jetzt schon absolut gelohnt“, sagt Alina. „Das hier ist nicht jedermanns Humor – aber es ist auf jeden Fall Yvis.“
Der Bus bahnt sich seinen Weg durch die Stadt, vorbei an der Baustelle des legendären „Timp“, vorbei am Millowitsch-Theater Richtung Eigelstein. Julie Voyage macht Junggesellen-Witze und freut sich, dass sich „keine Braut mit Bauchladen in der Tür verkantet hat“. Später wird sie erzählen, dass die alkoholisierten Tütü-Träger einer der Gründe waren, wieso sie nicht mehr im Travestie-Cabaret „Star Treff“ auftritt. Gegen die Damen in der letzten Reihe hat sie aber nichts einzuwenden. „Das sind einfach nette Mädels – die gehen gemütlich ins Brauhaus, machen eine Tour.“
Die Einhörner verstehen, was sie meint. „Wenn ich durch die Stadt laufe und die Junggesellenabschiede sehe, dann bin ich auch oft skeptisch“, sagt Kristina. „Gerade die mit einem Bauchladen.“ Aber das müsse nicht immer so sein: „Ich war dieses Jahr auf drei Abschieden – und keiner hat diese Klischees erfüllt. Also den Tüll und so.“
Nach einem Zwischenstopp im „Haus Fox“ und einer Portion Eierlikör nähert sich der Bus derweil wieder der Altstadt. Draußen ist es dunkel geworden, das Singen in allen Teilen des Busses euphorischer, die Silben länger und vernuschelter. Julie Voyage spielt Musik aus „Calaratata“, im Bus steigt jetzt die große Party.
Passanten schauen verdutzt auf die blinkenden Fenster. Yvi schwenkt ihr Feuerzeug im Takt der Musik. „Wir gehen gleich noch auf eine Metal-Party und singen hier jeden Schlager mit“, lacht Kristina. Ein Abschiedsfoto mit der Travestie-Künstlerin, und sie laufen wieder durch die Innenstadt-Gassen.
22.00 Uhr Zu Fuß nach Ehrenfeld – Schluckauf und Säufer am Wegesrand
„Wir gehen jetzt nach Ehrenfeld und nehmen unterwegs jede Kneipe mit“, sagt Sandra, die trotz Cola gute Laune hat. Das letzte Ziel des Abends rückt in greifbare Nähe: Das Underground. Die Basis der Gruppe, ein Ort voller Erinnerungen. Da, wo heute alles enden soll, hat einst Wichtiges begonnen: „Mein Verlobter und ich haben uns dort kennengelernt und über Wochen immer wieder getroffen“, erzählt Yvonne. „Das Underground hat für uns einfach eine besondere Bedeutung.“
Vorher treffen die Einhörner am Wegesrand aber noch auf einen Männer-Junggesellenabschied aus Kaiserslautern. Es gilt, das Shirt des baldigen Bräutigams zu bemalen. Alina greift sich einen Stift und verewigt Trinksprüche auf seiner Brust. Was denn für den Abend geplant sei, fragt man.
Ein Mann, der sich als Wilfried ausgibt, muss lange überlegen. „Wir planen nicht“, sagt er dann. Man gedenke nur „zu saufen“. „Und die zwei, die werden heute auch noch...“ Der Rest der Antwort müsste im amerikanischen Fernsehen wohl ausgepiept werden.
Die Einhörner ziehen weiter. Kater-Tipps werden ausgetauscht, Yvonne hat Schluckauf und der Getränkevorrat geht zuneige. „Ham wa noch Jeld in der Kasse?“, fragt Alina. „Ne? Dann hauen wir doch noch wat rein.“ Sie zückt ein altes Eastpak-Portemonnaie, und die anderen reichen Scheine.
Der Weg führt weiter über den Neumarkt auf die Ringe und nach der großen Euphorie im Bus tritt nun erstmals so etwas wie Müdigkeit auf. „Ich bin gerade an einem toten Punkt“, sagt Yvonne. „Den muss ich überwinden, danach ist alles gut.“ Für das letzte Stück nach Ehrenfeld nimmt die Gruppe dann die U-Bahn.
24.00 Uhr Hück steiht de Welt still – Finale im Underground
Der vorletzte Stopp des Abends: Das Fridolin-Eck. Angetrunkene Männer und viel kölsche Karnevalsmusik. Die Gruppe sichert sich einen Tisch unter rot-weißen Luftschlangen. Der Wirt verkündet, Yvi sei eine arme Sau und spielt ihr zu Ehren „Hück steiht de Welt still“ – das Lied, auf das die Braut in spe ihren Hochzeitstanz tanzen wird.
Smartphones werden gezückt, Memos an den Bräutigam verschickt. Dann packt der Wirt sein Akkordeon aus und improvisiert, basierend auf „Blootwoosch, Kölsch un e lecker Mädche“, ein Lied für Yvonne. Die Gruppe ist selig und Yvi hat den toten Punkt mehr als überwunden.
Der Abend geht in ein Finale, das wohl noch viele Stunden andauern wird. Das Underground wartet nur wenige Straßenzüge entfernt. Eine Erinnerung an alte Zeiten, ein Stück Heimat, bevor alles vorbei ist. Bei der allerletzten Party im Underground im September werden sie nämlich nicht dabei sein können. An dem Tag müssen sie eine Hochzeit feiern.