AboAbonnieren

37°-Reportage aus Köln-KalkRegisseur Philipp Lutz begleitete Hauptschüler für das ZDF

Lesezeit 4 Minuten
IMG_9594 (2)

Eine Lanze für die Hauptschule brechen Philipp Lutz, Daniela Deters, Shahd Alkudr und Magdalena Banner (v.l.)

Köln-Kalk – Eigentlich hatte Autor und Regisseur Philipp Lutz Anfang 2021 ja wegen einer ganz anderen Geschichte einen Termin an der Adolph Kolping-Hauptschule. Doch dann fielen ihm in der 10b Schülerinnen auf, die in den Pausen Bücher lasen: eine Biografie der US-Vize-Präsidentin Kamala Harris, Simone de Beauvoirs feministischer Klassiker „Das andere Geschlecht“. Als Privatlektüre wohlgemerkt.

„Das widersprach allem, was man sonst so mit Hauptschule verbindet, die ist ja im Allgemeinen nicht gut angesehen.“ Lutz wurde neugierig, sprach mit Klassenlehrerin Magdalena Banner und fragte an, ob er eine Fernseh-Reportage über die Kalker Hauptschüler drehen könnte. „Ich war sehr überrascht, wie offen die Schüler, aber auch die Lehrer damit umgegangen sind. Unser Team konnte in jeder Unterrichtsstunde filmen.“ Daniela Deters, Leiterin der Adolph-Kolping-Hauptschule bleibt da ganz entspannt: „Wir müssen uns schließlich nicht verstecken, wir leisten gute Arbeit.“

Ein Kampf gegen Vorurteile über die Hauptschüler

So konnte Philipp Lutz für seine 30-Minuten-Reportage „Abgestempelt“ drei Schüler aus der 10b bis zu ihrem Abschluss im Juni 2021 begleiten und verfolgte ihren Werdegang auch in den Monaten danach weiter. „Wir haben uns Shahd, Dominik und Skalett herausgesucht, aber wir hätten auch ganz andere Schüler nehmen können. Wir haben in der Klasse viele starke Charaktere kennengelernt.“ Die hätten aber gegen eine ganze Reihe von Vorurteilen zu kämpfen. Vor einigen Jahren kursierte das böse Wort von der „Restschule“, die Vorstellung, dass an der Hauptschule kaum noch Wissen vermittelt, sondern Problemkinder lediglich betreut werden, hatte sich festgesetzt. Weil immer mehr Jugendliche Abitur machen, sei es auch kaum noch möglich, mit einem Hauptschulabschluss einen soliden Ausbildungsplatz zu bekommen. „Die werden ja doch Drogendealer“ sei eine typische Reaktion, so Lutz, wenn es um Hauptschüler aus einem sozial nicht einfachen Stadtteil wie Kalk gehe.

„Als meine Freunde hörten, dass ich eine Stelle in Kalk antrete, fragten sie entgeistert: ,Weißt du denn nicht, was da los ist?„“, erzählt Magdalena Banner. Sie ist Klassenlehrerin der 10b, ein Klasse, in der die Schüler den Mittleren Abschluss – früher: Mittlere Reife - ablegen können. Viele Menschen wüssten gar nicht, dass das an einer Hauptschule möglich ist. „Bei uns sind es immer zwischen 25 und 30 Prozent eines Jahrgangs“, erzählt Schulleiterin Peters. Das seien sehr motivierte, fleißige und disziplinierte Schüler, die auch mit dem entsprechenden Unterrichtsstoff versorgt werden. Shahd Alkudr etwa, eine der Schülerinnen, die Lutz für seine Reportage ausgewählt hatte, lobt das Niveau ausdrücklich: „Meine beste Freundin besucht das Gymnasium, aber in Mathematik zum Beispiel sind die auch nicht weiter als wir.“

Shahd Alkudr war Ende 2017 mit ihrer Familie aus Syrien nach Deutschland gekommen, lernte dann zunächst zwei Jahre in einer Vorbereitungsklasse vor allem Deutsch und wechselte danach auf die Adolph Kolping-Hauptschule. „Dass es im deutschen Schulsystem möglich ist, an der Hauptschule den Mittleren Abschluss zu machen, finde ich sehr gut. Nicht so gut gefällt mir, dass die Kinder sich hier schon nach der vierten Klasse entscheiden müssen, welche Schulform sie danach besuchen möchten“, sagt sie.

90 Prozent der Schüler an der Adolph Kolping-Hauptschule haben einen Migrationshintergrund

Dass es für Hauptschüler häufig nicht einfach ist, einen soliden Ausbildungsplatz zu bekommen, bestätigt Magdalena Banner: „Deshalb versuchen wir, den Kindern und Jugendlichen früh bei der Berufsorientierung zu helfen, wir suchen auch nach geeigneten Praktikumsstellen.“ Philipp Lutz war erstaunt über das große Engagement der Lehrer, die oft mit Eltern telefonieren, deren soziale Situation teils nicht einfach ist, die nicht selten auch große sprachliche Probleme haben und ihre Kinder nicht angemessen unterstützen können. 90 Prozent der Schüler an der Adolph Kolping-Hauptschule haben einen Migrationshintergrund. „Hier ist alles sehr persönlich, sehr emotional, das wäre an anderen Schulen nicht möglich“, sagt Lutz.

Reportage Abgestempelt

Abgestempelt

Daniela Deters, Shahd Alkudr und Magdalena Banner (v.l.)

Die 30-minütige Dokumentation „Abgestempelt – Hauptschüler*innen kämpfen um ihre Zukunft“ ist am Dienstag, 21. Juni, um 22.15 im ZDF zu sehen.

Shahd Alkudr jedenfalls ist sehr zufrieden mit ihrer Hauptschul-Zeit. An anderen Schulen sei es vielleicht schwieriger: „Aber das kann auch Realschulen oder Gymnasien betreffen.“ Und in Kalk, bei dem hohen Migranten-Anteil, habe sie sich auch nirgends ausgegrenzt gefühlt, es sei alles sehr familiär, man könne sich hier wohlfühlen. Die drei Schüler aus der TV-Reportage sind ihren Weg gegangen: Skalett ist auf eine Gesamtschule gewechselt und strebt das Abitur an, Dominik hat eine Ausbildung bei den Stadtentwässerungsbetrieben begonnen. Und Shahd Alkudr ist nun an einem Berufskolleg. Das Fachabitur reiche ihr, denn sie möchte Ingenieurwissenschaften studieren: „Jetzt bin ich das einzige Mädchen in der Klasse“, sagt die 17-Jährige lächelnd. Sie wird sich durchsetzen.