Adolph-Kolping-Schule Kalk„Ich wollte immer auf Augenhöhe mit den Schülern sein“
Kalk – Kalk. Als Şakir Koyuncu an einem Donnerstagmorgen durch den Türrahmen in den unscheinbaren Klassenraum tritt, steht er in einem Regen aus bunten Konfettischnipseln. Jugendliche stehen in dem Raum, alle klatschen, manche wischen sich Tränen aus den Augen, einige Mädchen drücken dem 66-Jährigen rote Rosen in die Hand. Fast scheint es, als werde hier gerade einem guten Freund die Ehre erwiesen. Dabei ist Koyuncu Lehrer, der Donnerstag sein letzter Tag vor seinem Ruhestand.
22 Jahre lang hat er Türkisch-Unterricht in dem kleinen Klassenraum der Adolph-Kolping-Schule in Kalk gegeben. Einer, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, gerade Schüler mit Migrationshintergrund zu fördern. Und der dabei auch Tabus der Lehrerschaft brach.
„Wir lieben Sie von ganzem Herzen“, liest eine Schülerin mit zittrigen Händen von einem Zettel ab, auch ihr kommen die Tränen, auch sie drückt dem Lehrer eine rote Rose in die Hand. „Ihr seid meine Rosen“, antwortet Koyuncu sichtlich verlegen.
Mädchen, manche mit Kopftuch, manche ohne, tragen Gedichte auf Deutsch und Türkisch vor. Die Schüler der Adolph-Kolping-Schule kommen aus 30 Nationen, der Migrationsanteil liegt bei 93 Prozent. Koyuncu wollte immer ein Lehrer für alle, ein Problemlöser sein, einer, der Brücken zwischen Kulturen baut. Er besuchte Kinder und ihre Eltern in seiner Freizeit, wenn es Schwierigkeiten gab. Begleitete Schüler – vor allem Flüchtlinge – ins Krankenhaus und zu Arztterminen.
„Niemand außer ihm hat mir geholfen, als ich nach Deutschland kam. Er versteht mich“, sagt Fatima Ahmed, die aus Syrien nach Deutschland geflüchtet ist und seit zwei Jahren die Schule besucht. „Er hat Schüler nicht als Schüler gesehen, sondern als Teil eines großen Ganzen“, sagt Alend Ibrahim. „Er hat immer viel für die Völkerverständigung getan“, meint seine Frau Maria.
„Ich wollte immer auf Augenhöhe mit den Schülern sein“, sagt Koyuncu. Er weiß, dass sich manche seiner Kollegen fragten, warum seine Schüler ihn umarmten, warum Schüler ihm Privatestes anvertrauten, während sie sich vor anderen Lehrern oft verschlossen.
„Ich hatte dagegen oft das Gefühl, dass solche Integrationsarbeit für andere Lehrer so war, als würden sie eine Wassermelone kaufen, ohne zu wissen, welche Farbe das Fruchtfleisch hat“, sagt er – und meint damit: Ich weiß es besser, denn ich bin einer von ihnen. Der 66-Jährige wuchs in Anatolien auf, bekam ein Stipendium für ein Studium an der Kölner Sporthochschule, diplomierte mit einer Arbeit über die Möglichkeiten von Sport bei der Integration von Gastarbeiterkindern, schloss sein Studium mit 1,3 ab, wollte zurück in die Türkei. Weil er auf der türkischen Botschaft in einen Streit mit einem Mitarbeiter geraten war, blieb er doch – aus Stolz.
Ohnehin hatte er hier bereits seine spätere Frau kennengelernt, heiratete sie gegen die anfänglichen Widerstände seiner Eltern. Er begann als Lehrer zu arbeiten, obwohl er als Zugezogener aus der Türkei anfangs vor allem Ablehnung erfahren habe. Er selbst, so scheint es, will seine Schüler nun mit umso offeneren Armen empfangen.
Das, was man ihm im Kollegium teils als Unprofessionalität auslegte, war jahrelang sein Erfolgsrezept, so glaubt er. Jetzt geht Koyuncu nach genau 40 Jahren als Lehrer in den Ruhestand, und fast scheint es verwunderlich, dass er sich nun erst einmal auf sich konzentriert: Er möchte erst für einzige Zeit in die Türkei reisen, dann nach Neuseeland, außerdem verstärkt Sportkurse anbieten.
Jetzt steht er ein letztes Mal als Lehrer in der Turnhalle, die über Jahrzehnte fast so etwas wie sein zweites Wohnzimmer war. Ein Musikstück aus Istanbul schallt aus den Lautsprechern eines Ghettoblasters. Zwei Schüler tänzeln über den grau gummierten Hallenboden, sie spielen ein Theaterstück. Eine Liebesgeschichte. Es war ein Stück, das Koyuncu mit seinen Schülern im Unterricht eingeübt hat. In seinen Augen stehen jetzt die Tränen.