Die Diagnose Demenz bedeutet meistens nicht nur für Betroffene, sondern auch für Angehörige eine große Last.
„Ich schlafe das erste Mal wieder durch“Wie eine Kölner Demenz-WG Isolation entgegenwirkt
„Meine Mutter lebt seit 45 Jahren hier in Humboldt, ich kann sie nicht einfach einpacken und verfrachten“, sagt Wolfram Kappel. Seine Mutter hat Demenz. Sie ist auf ständige Hilfe angewiesen. Sie möchte nicht von zuhause weg, möchte aber auch nicht allein sein, erzählt Kappel. Er ist berufstätig, hat die Kapazitäten nicht, seine Mutter zu pflegen, auch der Pflegedienst reichte nicht mehr aus. „Irgendwann ging es einfach nicht mehr“, sagt Kappel.
Dass zu diesem Zeitpunkt die GAG eine Demenz-WG in der Kannebäckersiedlung in Köln-Humboldt/Gremberg baute, und Anwohnerinnen und Anwohner suchte, nennt Kappel eine glückliche Fügung. Im April konnte Kappels Mutter dort gemeinsam mit vier anderen Demenzkranken einziehen.
Kölner Demenz-WG: Gemeinsames Leben ist Beschäftigung genug
Eine von ihnen ist die Freundin von Djamila Peters. Auch sie berichtet, an ihre emotionalen Grenzen gekommen zu sein. Ihre Freundin in ein Heim zu schicken, sei für sie nicht infrage gekommen. „Im Heim hätte ich immer das Gefühl, ein Störfaktor zu sein“, erzählt sie, „hier gehören wir Angehörigen mit zur Wohngemeinschaft“.
Die Demenz-WG ist selbstverantwortet. Das bedeutet, die Bewohnerinnen und Bewohner sind selbst Mietende. Sie haben alle ein eigenes Zimmer mit Bad. Die restlichen Räume sind Gemeinschaftsräume. Entscheidungen werden von einer GbR getroffen, die aus den An- und Zugehörigen der Erkrankten besteht. Wer einzieht, welcher Pflegedienst beauftragt und wie die WG gestaltet wird, liegt bei den Bewohnerinnen und Bewohnern und ihren Bezugspersonen. Zur Beratung steht ihnen die Wohnkonzepte Schneider GmbH zur Seite, die wie die GAG schon langjährige Erfahrung mit dem Konzept hat.
„Der Grundgedanke ist, dass das Zusammenleben in einer kleinen, überschaubaren Gemeinschaft der Isolation des Einzelnen entgegenwirkt“, erklärt Laura Nilges von Wohnkonzepte Schneider. Der Alltag wird deshalb gemeinsam gestaltet. Es gibt einen geregelten Tagesablauf, der alle miteinbezieht, trotzdem könne auch immer wieder individuell daraus ausgebrochen werden. „Struktur ist wichtig, gerade für Menschen mit Demenz“, erklärt Jessica Bernard, ASB-Pflegedienstleiterin Ambulante Pflege, „aber die Menschen können und sollen ihr eigenes Leben leben“. Ihnen soll ein Stück Selbstbestimmung bleiben, mit einer Krankheit, die das ganze Sein des Menschen erschüttert.
Rund 19.500 Menschen in Köln sind an Demenz erkrankt
Rund 1,7 Millionen Deutsche haben laut Robert Koch-Institut eine Form der Demenz. In Köln waren es nach letzter Rechnung 2019 rund 19.500. Sie sind in den meisten Fällen pflegebedürftig – nicht nur körperlich. Häufig gehe es darum, dass die Erkrankten nicht allein sein können oder sollen, erklärt Thomas Dempwolf, Fachbereichsleiter Pflegezentren Köln-Mülheim und Köln-Porz ASB.
„Demenz ist eine hohe emotionale Belastung für die Angehörigen, weil immer der Gedanke in der Luft hängt, dass etwas passieren könnte, vor allem nachts“. Die sogenannte Tag-Nacht-Umkehr ist laut Dempwolf ein typisches Symptom. Erkrankte würden beispielsweise nachts kochen und sich dann wundern, warum niemand zu Besuch kommt.
Auch Wolfram Kappel berichtet von der ständigen Angst. Nachts hätte ihn immer wieder seine Mutter angerufen. Und wenn sie nicht angerufen hat, habe er Angst gehabt, dass etwas passiert sei. In der WG gibt es einen Nachtdienst. Die Bewohnerinnen und Bewohner könnten nachts tun, was sie wollten, sie würden zu nichts gezwungen, aber es ist immer jemand im Haus, der aufpasst.
Einige Demenz-WGs in Köln haben noch Platz
„Demenzkranke verlieren viele Fähigkeiten, aber die Fähigkeiten, die noch da sind, sollen eingebracht werden“, so Bernard. Das gemeinsame Leben sei Beschäftigung genug. Deshalb würde gemeinsam gekocht, gespielt, geredet, so wie alle können und wollen. Die Angehörigen haben einen Schlüssel, können jederzeit dazu kommen. Sie sind stark involviert. Das sei weiterhin eine hohe Belastung, aber „positiver Stress ist etwas anderes als negativer Stress“, erklärt Wolfram Kappel.
Statt unter ständiger Angst zu stehen, sei er inspiriert, die WG so zu gestalten, dass seine Mutter und ihre Mitbewohnerinnen und Mitbewohner sich wohl fühlen. Die WG ist neu, einiges muss sich also noch eingrooven. Es ist noch Platz für fünf weitere Personen. Auch andere Demenz-WGs in Köln von der GAG und anderen Vermietern haben noch freie Plätze. Wie die WG mal aussehen wird, könne von allen mitgestaltet werden. Das sei den Aufwand wert.
Djamila Peters sieht eine große Entlastung. „Ich schlafe seit ein paar Tagen das erste Mal wieder durch“, erzählt sie. Die WG sei für sie ein großes Aufatmen, auch wenn ihre Freundin nicht immer glücklich mit der Situation sei. In manchen Momenten erzähle die Freundin, dass sie nicht mit den WG-Mitgliedern klarkomme, werfe Peters vor, sie abgeschoben zu haben. In anderen könnte sie nachvollziehen, warum die WG die beste Möglichkeit für alle ist. „Ich glaube, die hellen Momente, wenn sie merkt, was abgeht, sind die schlimmsten“, sagt Peters mit glasigen Augen, „und dann bin ich so froh, wenn eine helfende Hand da ist, die sie versteht.“