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Interview mit Kölner Pfarrer„Wo Armut herrscht, darf es nicht ärmlich aussehen“

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Pfarrer Franz Meurer in der Fahrradwerkstatt innerhalb der Pfarrkirche St. Theodor

Köln-Höhenberg/ Vingst – Mit rund 25.600 Einwohnern sprengt „Hövi“ den Rahmen einer Kleinstadt. Jeder Fünfte bezieht Sozialleistungen, es fehlt an Arbeitsplätzen und Perspektiven für junge Leute. „Wäre Hövi eine eigene Gemeinde, wären wir in vielerlei Hinsicht besser dran“, sagt Pfarrer Franz Meurer, seit 1992 für die katholische Kirchengemeinde St. Theodor und St. Elisabeth zuständig. Als Stadtteil von Köln jedoch ließen Projektfinanzierungen oder die Umsetzung von Bauvorhaben häufig auf sich warten. Viele Angebote, die das Veedel lebenswert machen, gehen daher auf kirchliche Initiativen zurück.

Pfarrer Meurer, was sind die wichtigsten Projekte im Veedel?

Wir möchten den Bürgern ein frohes und glückliches Leben ermöglichen. Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung und die Teilhabe am soziokulturellen Leben. Das darf keine Frage des Geldes sein. Dank vieler Spenden bieten wir eine Lebensmittelausgabe, eine Bücherei und eine Kleiderkammer an. Wir reparieren und verschenken gebrauchte Fahrräder, unterstützen Schulen bei Veranstaltungen und ermöglichen Kindern mit dem „Hövi-Land“ eine schöne Sommerferienzeit. Die ökumenische Familienwerkstatt hält mehr als 100 Angebote aus den Bereichen Sport und Bewegung, Kochen und Ernährung oder Handwerk bereit, zudem gibt es Filmvorführungen, Spieletreffs, Ausflüge oder praktische Kurse wie „Die erste eigene Bude“ oder „Richtig versichert – viel Geld gespart“. Für ein attraktives Erscheinungsbild des Veedels bepflanzen wir Blumenbeete oder kümmern uns um die Weihnachtsbeleuchtung. Wo Armut herrscht, darf es nicht ärmlich aussehen.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit der Institutionen und Vereine?

Wir arbeiten sehr eng mit der evangelischen Kirche zusammen. Das ist logisch, denn Ökumene ist doppelt so gut und halb so teuer. Auch die muslimische Gemeinde engagiert sich. In unserer Kinderbücherei beispielsweise arbeiten muslimische Frauen ehrenamtlich. Die Sozialdaten im Veedel sind nicht prickelnd, da muss man alles tun, um den eigenen Schopf aus dem Sumpf zu halten. Das funktioniert hier sehr gut. Wir haben viele Stiftungen, die uns unterstützen. Die GAG, der gut 60 Prozent der Wohnungen gehören, leistet mehr Arbeit als sie müsste, zum Beispiel bei der Grünflächenpflege. Unglaublich engagiert ist zudem der TuS Köln rechtsrheinisch. Als hier viele Flüchtlinge untergebracht wurden, hat der Verein jeden aufgenommen, der Fußball spielen wollte.

In welche Richtung muss die Entwicklung des Stadtteils Ihrer Meinung nach gehen?

Wir müssen Menschen aus der bürgerlichen Mitte hierher bekommen. Ein Veedel funktioniert dann gut, wenn es gemischt ist. Dafür müssten aber einige längst geplante Bauprojekte umgesetzt werden. Ich wünsche mir mehr Fairness gegenüber anderen Stadtteilen. Darüber hinaus arbeiten wir daran, dass nicht so viele Menschen von Hartz IV leben müssen. Für den Bildungserfolg ist es bedeutsam, aus welchem Viertel man stammt. Wir möchten einen Sozialraum schaffen, der allen Bürgern Unterstützung bietet – Hilfe zur Selbsthilfe. Es ist wichtig, dass die Menschen etwas haben, auf das sie stolz sein können.

Was bedeutet der Begriff Veedel für die Menschen in „Hövi“?

Viele Leute, die hier leben, haben aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation eine begrenzte Reichweite. Die kommen gar nicht weit raus. Beim „HöVi-Land“ machen wir mehr als 50 Ausflüge – alle mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Bis nach Brühl oder Königswinter. Warum? Damit die Kinder mal Bahn fahren und lernen, wie das Umsteigen funktioniert. Für viele Menschen hier ist hinter Kalk Schluss. Ich sage immer „Mach dir die Stadt zum Dorf“. Schau, wer dir im direkten Umfeld helfen kann. Engagiere dich. Wir belohnen das Engagement auch. Wenn zum Beispiel Jugendliche beim „Hövi-Land“ helfen, unterstützen wir sie, falls nötig, bei der Lehrstellensuche.

Zur Person

Franz Meurer wurde 1951 in Köln geboren. Nach dem Studium der Sozialwissenschaften und der katholischen Theologie wurde er 1978 zum Priester geweiht. Seit 1992 ist er Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde St. Theodor und St. Elisabeth.