Das Gestüt, das einst vom 4711-Inhaber gegründet wurde, steht nur selten für Besucher offen. Seit 100 Jahren werden hier Vollblutpferde gezüchtet.
700.000 Euro für ein Jungpferd230 Hektar, mitten in Köln – ein Blick hinter die Mauern von Gestüt Röttgen
Das kleine Hengstfohlen hat noch keine Ahnung, welch sportliche Karriere auf es zukommen könnte. Etwas schüchtern schaut es hinter seiner Mutter, der Stute mit dem Namen „Bützje“, hervor – das erst wenige Tage alte Pferd ist ein Sohn des Vollbluts „Millowitsch“, einem der Deckhengste auf Gestüt Röttgen, und soll eines Tages Galopprennen laufen.
21 Fohlen kommen in diesem Frühjahr auf dem Kölner Anwesen in Rath/Heumar zur Welt. Noch verschläft das noch namenlose Fohlen in Fuchsfarbe viel Zeit des Tages, bald aber geht es schon zum ersten Mal auf einer der großen Weiden des 230 Hektar großen Geländes.
Kölner Gestütsleiter: „Rennpferde müssen laufen“
Viel Auslauf ist Gestütsleiter Frank Dorff ein wichtiges Anliegen. „Rennpferde müssen laufen.“ Deshalb geht es für die knapp 30 Stuten und ihren Nachwuchs täglich für mindestens acht Stunden auf die grünen Wiesen. Wenn es im Sommer zu heiß wird, geht es in der Nacht raus und am Tag in den durch dicke Steinwände gut isolierten Stall. „Wir wollen es hier so naturnah wie möglich halten“, sagt Dorff.
Damit auch die Geburten so sicher wie möglich verlaufen, wacht in der Fohlenzeit rund um die Uhr ein Mitarbeiter im edel wirkenden Stutenstall. An der hohen Decke hängen Laternen, die Wände sind im Fachwerkstil gestaltet, der Boden blank gefegt, die Vertäfelungen an den Boxen aus Eichenholz aus dem eigenen Wald.
Von außen wirkt das Gestüt Röttgen mit der umlaufenden Mauer wie eine Festung, die sich vor neugierigen Blicken schützen möchte. Innerhalb der Mauern liegt ein weitläufiges Gelände mit Stallgebäuden im Stil der deutschen Renaissance. Nur selten dürfen Besucher hinein. Lediglich in den Sommermonaten gibt es einige wenige Führungen, zu denen man sich über die Website der VHS Köln anmelden kann.
Für Robert Niederprüm, Rentamtsleiter der Mehl-Mülhens-Stiftung, die das Gestüt besitzt, ist das Anwesen eine Oase inmitten der Stadt: „Wir haben hier unsere Familie gegründet, unsere Kinder sind hier aufgewachsen. Ich bin in der Natur, auf dem Land, und gleichzeitig in zehn Minuten am Flughafen.“ Neben dem Erhalt und der Förderung der Vollblutzucht kümmere sich die gemeinnützige Stiftung außerdem um die Forschung in diesem Gebiet und unterstütze Jockeys, so Niederprüm.
Vollblutzucht Röttgen: Rund-um-die-Uhr-Betreuung für Pferde
Die Pferde – inklusiv aller gestütseigenen und von anderen Besitzern eingestellter Tiere sind es insgesamt knapp 100 – genießen 24-Stunden-Betreuung, da die Mitarbeiter des Gestüts auf dem Anwesen wohnen. Insgesamt arbeiten rund 50 Menschen auf dem Gelände. 1924 gründete der damalige Eigentümer von 4711, Peter Paul Mülhens, das imposante Gestüt und legte damit einen der Grundsteine für die deutsche Rennpferdezucht. Konrad Adenauer verhandelte 1952 hier den Deutschlandvertrag.
„Was ich so faszinierend finde, ist, dass die Gebäude 100 Jahre alt sind und funktionaler sind als viele Ställe heutzutage“, sagt Frank Dorff. „Früher waren die Leute offenbar viel näher am Pferd als heute.“ So sind überall in den Stallungen und auch in der zwei Meter hohen Mauer, die auf acht Kilometern Länge einen Großteil des Anwesens abschirmt, kleine Löcher für Vogelnester eingelassen, denn Vögel fressen Mücken, die die Pferde auf der Wiese sonst stechen würden. An den Rahmen der Boxentüren sind hochkant Holzrollen angebracht – sie schützen die Pferde vor Verletzungen, sollten sie daran entlangschrammen.
Ein weiteres Beispiel: Für eine optimale Luftzirkulation haben die Stallungen nicht nur hohe Decken, sondern auch unter den Fenstern angebrachte Löcher, die rohrartig nach draußen führen – eine sogenannte Schwerkraftlüftung. Metallklappen an den Fenstern sorgen dafür, dass die Luft auch ihren Weg findet und es in den Boxen nicht zieht. „Es ist wirklich außergewöhnlich gebaut“, so Frank Dorff.
Jungpferde bringen bis zu 700.000 Euro
„Was sich in den vergangenen Jahren geändert hat, ist der Marktwert der Pferde. Der ist deutlich nach oben gegangen.“ Jungpferde vom Gestüt Röttgen werden bei Auktionen für Beträge zwischen 10.000 und 300.000 Euro versteigert, das Teuerste kostete 700.000 Euro. Für Rennpferde, die Erfolge aufweisen, gehen schnell Millionenbeträge drauf. Trotzdem könne man sich Erfolg nicht einfach kaufen, sagt Dorff. „Auch ein Züchter mit nur einer Stute kann einen Champion hervorbringen. Ein Scheich aus Dubai kann zwar Abermillionen für Pferde ausgeben, deswegen muss er aber nicht mehr Erfolg haben.“
Die Vollblüter sind für Dorff ganz besondere Pferde. „Sie sind sehr intelligent und lernwillig, die können einfach alles“, sagt er und berichtet von Vollblütern, die vor der Kutsche laufen oder Kindern das Voltigieren beibringen. „Sie sind die vielseitigste Rasse der Welt. Nur einsperren darf man sie nicht.“ Deshalb haben auch die drei Deckhengste Millowitsch, Windstoß und Iquitos immer Zugang zum Auslauf. Dass Rennpferde oft eigentümliche Namen haben, liegt übrigens daran, dass jeder Name nur einmal vergeben werden darf und mit dem Anfangsbuchstaben der Mutterstute beginnen muss.
Training für Rennpferde soll abwechslungsreich sein
Zum Gestüt Röttgen gehören neben den Hengst- und Stutenställen und den Weiden auch eine Trainingsanlage. Hier ist Cheftrainer Maxim Pecheur Herr des Geschehens. Er bildet gemeinsam mit knapp 20 Trainern die Pferde aus, die nicht als Jährlinge versteigert werden. Pecheur gewann mit dem Röttgener Hengst Windstoss 2017 das Deutsche Derby – der erste Derbyerfolg für Röttgen seit 58 Jahren.
Dass es für Rennpferde oft schon mit zwei Jahren losgeht, ist ein häufiger Kritikpunkt an dem Sport. Für Maxim Pecheur nicht nachvollziehbar: „Wir fangen ganz spielerisch an“, sagt er. „Wir galoppieren, obwohl die Jungen jetzt schon seit sechs Monaten leicht angeritten sind, nur wenige hundert Meter, damit sie sich an die Belastung gewöhnen aber nicht überlastet werden.“
Wichtig sei ihm außerdem viel Abwechslung; daher werden die Pferde viel im Wald geritten und haben häufig Pause. „Es ist ein Fehldenken, dass man, um Rennpferde zu trainieren, jeden Tag schnell galoppieren muss“, sagt der 33-jährige Ex-Jockey. Der Sport solle den Tieren Spaß machen. „Man muss sich jeden Tag ins Pferd hineinfühlen und erkennen, was es jetzt weiter fördert.“ Überfordert oder langweilt man die Tiere, quittieren sie schnell ihren Dienst. „Die Motivation der Pferde ist ganz wichtig“, sagt Pecheur. Natürlich sollen sie am Renntag Leistung bringen – aber ohne Freude gehe das nicht, so der Trainer.
Zuletzt waren das Gestüt und die Mehl-Mülhens-Stiftung wegen eines Rechtsstreit mit der Erbin der Stiftungsgründerin Maria Mehl-Mülhens in den Schlagzeilen. Diese hatte die Stiftung aufgrund unklarer Zutrittserlaubnisse auf Herausgabe der Satzung verklagt und gewonnen. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtete.