Karl Lauterbach im PortraitSo tickt der Mann, der die Fliege ablegte
Köln – Karl Lauterbach ist kein Mann der langen Vorrede. Wenn er eine Anrufbitte per SMS erhält, kommt er beim Rückruf gleich zur Sache. „Ich will ein Minister für alle sein“, sagt der SPD-Politiker, als der „Kölner Stadt-Anzeiger“ ihn um ein Statement zu seiner bevorstehenden Ernennung zum Bundesgesundheitsminister bittet.Er wirkt gut gelaunt, schiebt schnell noch einen Dank an die Wähler in Köln hinterher, die ihm bei der Bekämpfung der Pandemie den Rücken gestärkt hätten. Ohne dieses „starke Votum wäre der Rückenwind für die Berufung nicht möglich gewesen“, sagt Lauterbach mit staatsmännischer Demut.
Karl Lauterbach hat auch Kritiker in der SPD
Die Nachricht über die Berufung von Lauterbach zum Gesundheitsminister der Ampel-Koalition hat viele Beobachter überrascht. Auch in der NRW-SPD hatten viele nicht mit einem positiven Votum des designierten Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) gerechnet.
Sicher, der Karl sei als Chef-Experte der SPD in Pandemiefragen „natürlich der beste Mann“ für den Posten gewesen, sagt ein Mitglied aus dem SPD-Landesvorstand. „Der Karl polarisiert die Leute allerdings auch sehr stark. Entweder man findet ihn super, oder man kann ihn nicht ausstehen. Deswegen ist die Entscheidung folgerichtig und gewagt zugleich.“
„Pandemie liegt ihm am Herzen“
Er hat es geschafft. Der Traum, in der ersten Reihe der Bundespolitik mitzuspielen, ist für den gebürtigen Dürener, der in der Nähe des Forschungszentrums Jülich groß wurde, endlich wahr geworden. 2019 war er mit seiner Bewerbung um den SPD-Bundesvorsitz gescheitert, wohl auch deshalb, weil der NRW-Landesvorstand kurz vor Bewerbungsschluss den früheren NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans überraschend für die Wahl empfahl. Das hatte den Smart-Fahrer tief enttäuscht. Jetzt ist er am Ziel.
„Die Berufung Karl Lauterbachs ist genau das Zeichen, das sich viele Menschen in Deutschland für einen Neustart in der Gesundheitspolitik gewünscht haben“, sagt Thomas Kutschaty, Fraktionschef der SPD im Düsseldorfer Landtag. Wie sehr ihm die Bewältigung der Pandemie am Herzen liege, habe er in den vergangenen Monaten durchgängig bewiesen. „Dass er dies nun auch als Minister umsetzen kann, ist mehr als bloß folgerichtig“, bekräftigt Kutschaty.
In Talk-Shows omnipräsent
Was die Popularität angeht, ist Lauterbach ein klarer Gewinner der Pandemie. Bevor die Covid-Krise ausbrach, war der „Mann mit der Fliege“ außerhalb von Köln nur einem Fachpublikum besser bekannt. Schon damals nahm der Professor mit dem rheinischen Tonfall selten ein Blatt vor den Mund, wenn er über den Reformdruck im Gesundheitswesen dozierte. Arrogant wirkt er bei seinen Diskussionsbeiträgen selten.
Der Arbeitersohn, dem trotz guter Leistungen die Gymnasialempfehlung versagt wurde, kennt keine Berührungsängste. Im Bundestagswahlkampf sah man den Partei-Linken auf dem Wiener Platz in Köln-Mülheim im vertieften Gespräch mit Drogenabhängigen und Obdachlosen. Das kommt an der SPD-Basis gut an.
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Mit Beginn der Corona-Pandemie wurde Lauterbach bundesweit zu einer Institution. Als Virologe verfügte er von Anfang an über eine besondere Glaubwürdigkeit. Der Mediziner nahm sich die Zeit, alle Medienanfragen zu beantworten.
Einer Statistik zu Folge war Lauterbach im ersten Halbjahr 2020 der häufigste Talk-Gast in ARD und ZDF. Seine Präsenz in TV-Talkshows nahm bisweilen bizarre Ausmaße an. Wenn Sendungen aufgezeichnet wurden, war Lauterbach am gleichen Abend auf unterschiedlichen Kanälen zu sehen.
Lauterbach vertritt stets harte Corona-Linie und zog auch Kritik auf sich
Lauterbach gab dabei stets den Vertreter einer harten Corona-Linie, der fast immer schärfere Maßnahmen forderte, als von der Bundesregierung geplant waren. So sprach er sich im Frühjahr 2020 gegen die Wiederaufnahme des Unterrichts an den Schulen und für eine Verlängerung des allgemeinen Lockdowns aus.
Nicht nur für Querdenker und Impfgegner, sondern auch für viele eher gemäßigte Kritiker der Corona-Maßnahmen wurde er zur Hassfigur. Der Politiker aus Köln erhielt Morddrohungen. Ein anonymer Absender schickte dem SPD-Politiker sogar ein Bild von einem eigens für Lauterbach angefertigten Grabstein. „Ich lasse mich von solchen Einschüchterungsversuchen nicht beeindrucken“, sagte der Bundestagsabgeordnete damals dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Tägliche Lage-Einschätzungen bei Twitter
In der Fachwelt wird Lauterbachs Expertise ganz überwiegend geschätzt. Seine Botschaften, die er fast täglich über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitet, stießen aber zum Teil auch auf Kritik. Mal waren sie zu ungenau, mal fehlten die Belege. So behauptete der 58-Jährige im Sommer, in Großbritannien würden Kinder im Krankenhaus gegen die Delta-Variante behandelt. Eine Aussage, die er später zurücknehmen musste. Auch seine Prognose, das Finale der Fußball-EM in Wembley werde zum Superspreader-Event, traf so nicht zu.
Lauterbach ist Vater von fünf Kindern, lebt derzeit als Single im „Belgischen Viertel“ von Köln. Die Fliege, sein langjähriges Markenzeichen, legte er 2019 auf Rat einer Tochter ab, die ihm sagte, das Accessoire wirke spießig und sei aus der Mode. Er trinkt gern ein Glas Rotwein, spielt Tischtennis, bezeichnet sich selbst als lebenslustig. Der künftige Minister, der bis 2001 CDU-Mitglied war, scheut keine Konflikte, auch nicht mit der eigenen Partei.
So legte er sich als Wahlkreisabgeordneter mit der SPD in Leverkusen an. Als sich durch das Bau-Desaster rund um die A1-Rheinbrücke die Chance aufzutun schien, die Stelzenautobahn auf dem Stadtgebiet in den von vielen ersehnten langen Tunnel verschwinden zu lassen, trat Lauterbach auf den Plan. Doch seine Taktik, auf Zeit zu spielen und auf neue Akteure in Bund und Land zu hoffen, die die Rhein-Unterquerung unterstützen würden, ging nicht auf. Der Auftrag für Neubau der Rheinbrücke ging innerhalb weniger Monate über die Bühne.
Klarer Triumph über Serap Güler
Lauterbach macht seit 2005 für die SPD im Bundestag Politik. Im September setzte er sich bei der Bundestagswahl im Wahlkreis Leverkusen/Köln IV klar mit 45,6 Prozent der Stimmen durch gegen seine Herausforderin, die Integrationspolitikerin Serap Güler von der CDU. In der Kölner SPD hieß es, der Arzt habe durchaus das Zeug zum Minister.
Allerdings sei es ratsam, ihm bei der Amtsführung umsichtige Helfer an die Seite zu stellen, die dem Kölner bei der Leitung des Hauses unter die Arme greifen könnten. „Der Karl ist fachlich topfit“, sagt ein Strippenzieher. Organisation und Führung zählten aber nicht zu seinen Stärken: „Da wirkt er oft wie ein verpeilter Professor.“