Kölner KarnevalAls die Jungfrau ein echtes Mädchen war
Es war eine kleine Sensation, für viele Kölner sogar ein regelrechter Umsturz: Erstmals in der Geschichte des Kölner Karnevals wurde dem närrischen Volk eine Frau in der Rolle der Jungfrau präsentiert - doch das Publikum im prunkvoll geschmückten Gürzenich empfing an jenem 16. Februar 1938 Jungfrau Paula I., die 19-jährige Paula Zapf aus Nippes, mit Hochrufen und donnerndem Applaus. Und Oberbürgermeister Karl Georg Schmidt huldigte Ihrer Lieblichkeit mit wohlgesetzten Versen: „Vielholde Jungfrau, Zierde aller Frauen, du bist in Wahrheit lieblich anzuschauen, denn diesmal bist du kein verkappter Mann, solch Schönheit nur die Frau uns schenken kann.“ Wer wollte da widersprechen?
Traditionsbruch im Jahre 1938
So wurde die Sensation von den Zeitungen am nächsten Tag lediglich gemeldet, den Traditionsbruch zu kommentieren, wagte man wohl nicht. Denn schließlich stand hinter dieser Neuerung die NSDAP, genauer gesagt Gauleiter Josef Grohé, der den damaligen Präsidenten des Festausschusses, Thomas Liessem, gedrängt hatte, die Rolle der Jungfrau endlich mit einer Frau zu besetzen. Dass die Jungfrau seit den Anfängen des organisierten Karnevals im Jahre 1813 stets von Männern dargestellt worden war, war für die Nazis zweitrangig.
NSDAP duldete keine Männer in Frauenkleidung
In ihrem Kampf gegen die Homosexualität wollte die Partei keine Männer in Frauenkleidung dulden - und so hatte man die Karnevalsgesellschaften schon 1935 angewiesen, „richtige“ Frauen als Funkenmariechen auftreten zu lassen; seit Menschengedenken wurden die Regimentstöchter der Tanzkorps ebenfalls von verkleideten Männern verkörpert - was in den Augen der Nazis eine bedenkliche Nähe zum Transvestitismus darstellte. Natürlich hatten die Korps nachgegeben und sich von ihren männlichen Mariechen getrennt.
Von Paula Zapf bis Else Horion: Die weiblichen Jungfrauen
Die Ablösung der „männlichen“ Jungfrau war daher nur eine logische Konsequenz, ein nächster Schritt bei der Vereinnahmung des Karnevals. „Wie die Jungfrau zum Kind“, so hat Paula Zapf, die im Sommer 2005 gestorben ist, später erzählt, sei sie zu ihrer Rolle gekommen. Sie arbeitete damals im Kölner Unternehmen Bierbaum-Proenen, das auch Fliegerhemden herstellte und 1938 sein 125-jähriges Bestehen feierte.
Die Firma hatte sich bereit erklärt, die Kleidung der Jungfrau zu stellen - und so hatte Oberkarnevalist Liessem den Vertretern der Deutschen Arbeitsfront vorgeschlagen, „ein echtes Mädchen aus dem Volk“, nämlich eine Angestellte von Bierbaum-Proenen, mit der Rolle der Jungfrau zu betrauen. Dass die Wahl auf Paula fiel, hatte auch damit zu tun, dass Liessem mit ihrem Vater befreundet war. Die Auserwählte selbst musste erst überredet werden, das ihr angetragene Amt anzutreten - sie wusste damals gar nicht so richtig, was die Kölner Jungfrau war.
Kölner waren wenig begeistert von der weiblichen Jungfrau
Längst nicht alle Kölner waren von der weiblichen Jungfrau begeistert. Prinz Peter Hubert I., so Paula Zapf, sei auf den Applaus, den man ihr zollte, eifersüchtig gewesen, er habe befürchtet, dass die Dame den beiden Mannsbildern die Schau stehle. „Ich bin doch nicht die Staffage für die Jungfrau“, soll er erbost ausgerufen haben. Und auch in den Karnevalsgesellschaften wurde gegrummelt, war von einem erneuten Traditionsbruch die Rede. Die Jecken indes jubelten Ihrer Lieblichkeit zu - und nach der Session wurde Paula Zapf von allen Seiten bescheinigt, sie habe ihre Sache richtig gut gemacht.
Von Paula Zapf über Else Horion bis hin zu Elfriede Figge: Die weiblichen Jungfrauen
Als im nächsten Jahr mit Else Horion erneut eine Frau ins jungfräuliche Ornat schlüpfte, hielt sich die Aufregung in Grenzen. Und als 1940, nach Ausbruch des Krieges, einige Prinzengardisten - gegen das behördliche Karnevalsverbot - ein „inoffizielles“ Dreigestirn inthronisierten, wurde wie selbstverständlich die Rolle der Jungfrau mit der damals 19-jährigen Elfriede Figge besetzt. Aufgetreten ist dieses Dreigestirn (erst seit 1938 werden übrigens Prinz, Bauer und Jungfrau offiziell so bezeichnet) nur einmal, bei der heimlichen Proklamation auf der Kegelbahn eines Lokals.
Nach dem Krieg wurde die weibliche Jungfrau ohne großes Aufheben wieder abgeschafft. Tradition - so lautete das Argument. Die Funkenmariechen ließ man indessen weiter von „lecker Mädcher“ verkörpern, das Auge feiert schließlich mit. Und die „Traditionsgemeinschaft ehemaliger Prinzen, Bauern und Jungfrauen“ hat sich denn auch nicht dazu durchringen können, Paula Zapf und Else Horion in ihre Reihen aufzunehmen. Über die Gründe kann man nur spekulieren.