200 Jahre Kölner Karneval: Zugleiter Holger Kirsch präsentierte am Donnerstag die ersten Persiflagen für die Festwagen.
RosenmontagPersiflage-Wagen zeigt Schulterschluss zwischen ‚Klima-Klebern‘ und Karnevalisten"
Es ist das vierte Amtsjahr für Zugleiter Holger Kirsch, aber erst der zweite reguläre Rosenmontagszug, den er planen darf. Und dann gleich einen Jubiläumszug: Zu 200 Jahren organisiertem Karneval hat Kirsch sich neben dem geänderten Zugweg mit Start in Deutz einige Besonderheiten einfallen lassen. Er stellte den Zoch am Donnerstag vor.
Rosenmontagszug 2023 in Köln: Corona-Dreigestirn darf im „Held Carneval“-Wagen fahren
Drei Jahre nach dem letzten regulären Rosenmontagszug ist der Druck hoch. „Aber ich bin froh, den Kölnerinnen und Kölnern hoffentlich das schönste Geschenk des Jahres machen zu dürfen.“ Sein eigener Wagen, der des Zugleiters, greift die Einbeziehung des Rechtsrheinischen im Rosenmontagszug auf und ist als Brücke mit Dampflok gestaltet. Dazu gibt es einen Jubiläumswagen, in dem die Hellige Knäächte un Mägde mitfahren dürfen, die in diesem Jahr ebenfalls 200 Jahre alt werden.
Mit die emotionalste Neuerung im Jubiläumszug ist sicherlich der Wagen, der an das Motto des ersten Karnevalszuges 1823 erinnert: Die „Thronbesteigung des Helden Carneval“. Dazu wird ein großer Nachbau des historischen goldenen Delphinwagens angefertigt. Finanziert wird der Wagen vom Großen Senat, in den kommenden Jahren sollen darin immer Helden des Karnevals mitfahren dürfen, wie Ehrenamtliche, Polizisten, Feuerwehrleute oder Künstlerinnen und Künstler. „In diesem Jahr sind es die Helden des Karnevals der letzten Jahre: Unsere Corona-Dreigestirne“, erklärte Kirsch.
Das Dreigestirn der Altstädter (Sven Oleff, Gereon Glasemacher, Björn Braun), das beide Corona-Sessionen lang im Amt war, darf gemeinsam mit den Kinderdreigestirnen von 2021 (Hanno Bilzer, Leopold Enderer, Catharina Laschet) und 2022 (Felix Diederichs, Robin Fischenich, Helena Baum) auf dem Wagen mitfahren. „Wir haben ihnen sogar angeboten, im Ornat fahren zu dürfen“, sagte Kirsch über die Altstädter. „Das haben sie abgelehnt, weil sie dem neuen Dreigestirn nichts nehmen wollen. Das zeigt noch einmal, wie besonders dieses Dreigestirn ist.“
Im vergangenen Jahr war der Rosenmontagszug nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine kurzfristig abgesagt und vom Kölner Karneval in die größte Friedensdemonstration der Stadtgeschichte mit über 250 000 Menschen verwandelt worden.
Putin-Persiflage im Rosenmontagszug
Wladimir Putin und sein Angriffskrieg gegen die Ukraine ist auch ein Jahr nach dem Start des Überfalls die beherrschende Figur der Weltpolitik. Die Zoch-Macher lassen den russischen Diktator gleich doppelt auftauchen. Als Nosferatu dreht er den Erdball durch einen Fleischwolf. Vor düsterer Moskau-Kulisse zeigt der starke Persiflagewagen ein blutiges Szenario und ist das Symbol für Jahre wie 1871, 1917 oder 1944, in denen der Zoch wegen Kriegs ausgefallen ist und es somit kein Motto gab.
Bei allen anderen 22 Persiflagen haben Zugleiter Holger Kirsch und sein Kreativteam der Kritzelköpp die 200-jährige Historie der Rosenmontagszüge und des jeweiligen Mottos nach passenden Themen durchsucht und diese als Roten Faden eingesetzt. So zeigt der zweite Putinwagen, wie der russische Präsident den Teufel küsst - ein Zitat des Bruderkuss-Motivs von Breschnjew (UdSSR) und Honecker (DDR), das durch seine gemalte Variante auf der Berliner Mauer zur Ikone wurde. „Verkörperte Zitate“ hieß das Motto 1911.
Eisbär wird zum Klimakleber
Schon 1886 war das Motto „Die vier Jahreszeiten“, ein Klimathema ist für Kirsch unumgänglich. Der traurig dreinschauende „Klima-Klebär“ zeigt aus seiner Sicht den Schulterschluss zwischen Karnevalisten und Klimaaktivisten.
Zum 1839er Motto „Aller Welt Aktienbörse“ kauft die Krake China Immobilien im Hamburger Hafen, und zu „Hanswursts Wiedergeburt“ (1831) taucht Ex-US-Präsident Trump aus einer goldenen Toilette auf, um wieder die politische Bühne zu betreten. Holger Kirsch sagt dazu: „Das stinkt.“ „Zustände wie im alten Rom“ (1974) herrschen in Italien seit dem Zweiten Weltkrieg ständig. 67 Regierungen mit 30 Ministerpräsidenten, das wird sich wohl auch unter der neuen Domina Giorgia Meloni nicht ändern, selbst wenn ihr die AfD-Speichelleckerin Alice Weidel die Füße küsst. Zwei weitere Bösewichter sind Elon Musk, der als 007-Gegenspieler umgesetzt ist, sowie FIFA-Boss Gianni Infantino als Geldsack.
Bärbelchen wird zur Kölner Kardinälin und Reker schenkt die Zülpicher Straße an Düsseldorf
Bei den wenigen Kölner Themen macht Henriette Reker „Geschenke us Kölle – uns Kulturkamelle“ (2008). Sie entledigt sich des Massenbesäufnis-Problems an der Zülpicher Straße, indem sie diese einfach den Düsseldorfern schenkt. Und zum 2014er Motto „Mer Spingkse wat kütt“ zeigen die Zoch-Macher katholische Bischöfe im Knast, über denen Bärbelchen als Kardinälin thront. Kulturelle Aneignung wirft der Rote (von 1823) dem Blauen Funk (von 1870) vor. Das sei Blödsinn, meint Holger Kirsch, denn sonst müssten die Blauen ja nackt im Zoch mitgehen, und schließlich: „Mer all sin Kölle“ (2007).
Präsenter ist da die Bundespolitik: Etwa, wenn sich Verteidigungsministerin Lamprecht selbst ins All schießt („Die Fahrt nach dem Mond“, 1826), Snoopy an der Grundsteuererklärung für seine Hundehütte verzweifelt („Die Prüfung“, 1827) oder Wirtschaftsminister „Habück“ vor den katharischen Scheichs buckelt, um Gas zu bekommen (Mer jöcke öm de Welt“, 1958). Kein Wunder, dass sich grüne Realpolitik als fleischfressende Pflanze entpuppt, frei nach dem 1957er Motto „Lasst Blumen sprechen“. Bleibt zu hoffen, dass sich davon keine unter die Strüßjer schummeln.