Karneval mit Mitte 80Drei Damen, die seit Jahrzehnten den Rosenmontagszug feiern
Köln – Blaue Funken: Fünf Bützcher, rote Funken: sechs, Jan von Werth: drei. „Ich han keine Lippestiff mih“, ruft Anne Heisel, aber das ist genauso egal wie ihr Rollator, der vor allem dazu da ist, die Beutel mit Dutzenden Strüßjer und Schokoladen zu tragen. Anne Heisel (84) tanzt heute lieber, als gehbehindert zu sein: Mit dem Posaunisten der Blauen Funken, den Lappenclowns, einem Kölschen Lotterboven, mit Anneliese, Nicole und Ralf aus der Nachbarschaft und mit Judith und Alexander aus Augsburg, die mit ihr am Straßenrand stehen, Rosenmontag, U-Bahnhaltestelle Karthäuserhof.
„Do muss op die Männer zojonn. Dann lööf et och“, ruft Anne nach einem weiteren Bützcher zu Anneliese (56), die sie mit Sekt und selbst gemixten Sahnecocktails („Nur mit Wodka, dann gibt es keinen Kater“) versorgt. „Normal“, sagt Anneliese, „von den Männern ist nichts zu erwarten.“ Anneliese hat schlechte Erfahrungen gemacht – ihre Ehe ist in die Brüche gegangen, der Grund „war er“. Anne herzt einen Harlekin, als Anneliese gerade anfängt, vom Bruch ihrer Ehe zu erzählen.
Anne flirtet zwar offensiv und ausdauernd mit dem männlichen Fußvolk, die Herzchen auf ihren Wangen sind längst verschmiert – „aber das ist alles ganz harmlos“, sagt sie. Seit 62 Jahren sei sie mit ihrem Horst verheiratet, zwei Kinder haben sie, drei Enkel und drei Urenkel. „Ich liebe und werde geliebt, und das ist doch für jeden das Wichtigste im Leben, oder?“
Im Rollator durch die Torburg geschoben
Die Treuen Husaren Blau-Gelb ziehen vorbei, Anne trippelt nach vorn, fragt einen Zugbegleiter: „Macht dir das denn auch Spaß, Junge?“, stupst einen Schnauzbartträger an, der versteht den Wink, bützt sie rechts und links, Anne lobt: „Dat wor ne echt kölsche Jung!“ Als am Mittag gegen 12.30 Uhr Regen einsetzt, hilft die urkölsche Anneliese der urkölschen Anne, ein Einwegcape überzuziehen. Früher sei sie mit den Kölschen Highländern selbst im Zug mitgegangen, noch im vergangenen Jahr „hat mich ein Dudelsack-Spieler im Rollator durch die Torburg geschoben“. Das, sagt Anne, „war ein Höhepunkt meines Lebens“.
Der Regen wird heftiger, viele Jecken stellen sich unter. „Wenn du eimol Krebs häs, lävs du erst richtig“, sagt Anne, und erzählt, dass sie schon als junge Frau dem Tode nahe gewesen sei – ein Tumor, just in dem Jahr, als sie ihren Horst kennenlernte. Wo sie ihn kennengelernt habe? „Ja wo, Jung? Auf dem Rosenmontagszug!“ Echt? „Echt. Dabei ist der Horst gar kein Karnevalsjeck, der wollte nur mal gucken. Und dann war da halt ich.“ Der Horst sei übrigens zu Hause vor dem Fernseher heute, „dem ist das alles zu viel Brimborium“. Ihr dagegen, sagt Anne, könne es „gar nicht zu viel sein“.
Genug essen, um fit zu bleiben
Da geht Barbara Heister, die mit ihrem Sohn Georg schräg gegenüber steht, mit. Im vergangenen Jahr musste die 84-Jährige wegen einer Herz-Operation passen, sonst kommt sie seit 57 Jahren zum Rosenmontagszug in die Südstadt. Vor ein paar Tagen war sie „in der lachenden Sporthalle, oder wie die jetzt heißt“, „der Rosenmontagszug ist aber das A und O“, sagt sie. Da würde Irmgard Floss, die seit 38 Jahren in der Severinstraße lebt und dem Zug von ihrem Fenster im zweiten Stock zuguckt, nicht widersprechen. „Mein Arzt hat gesagt, ich hätte das Herz einer 20-Jährigen“, sagt die 83-Jährige. Rosenmontag kommen jedes Jahr ein paar Freunde und ihre Tochter, um den Zug von einem ihrer exklusiven Logenplätze zu gucken, Floss macht Kartoffelsalat und Brötchen.
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Sie prostet der tosenden Menge draußen mit einem Glas Sekt zu und tänzelt zum Lied „Dä Plan“ von Querbeat, das aus der Box der Bühne am Klösterchen dudelt. Dem Gast gibt sie noch belegte Brötchen mit auf den Weg: „Sie müssen genug essen, um fit zu bleiben.“
Rosenmontag als großer Feiertag
Marlene Lautenschläger (79) sagt, sie halte sich fit, „indem ich einfach immer weiter feiere“. Seit 8.30 Uhr steht sie mit ihrem Sohn Peter vor der Eismanufaktur Marano, Peter moderiert mit dem Mikro in der Hand, Mama schunkelt. „Ich bin schon mit zwei Jahren im Zug mitgegangen, Papa hat mich auf die Trumm gebunden“, sagt Peter Lautenschläger, seine Mutter ist Ehrenmitglied in mehreren Gesellschaften, „bis vor drei Jahren bin ich selbst mitgegangen“, sagt sie.
Der Rosenmontag ist für sie wie für Anne Heisel, Barbara Heister und Irmgard Floss „ein ganz großer Feiertag“. Marlene Lautenschläger bleibt dabei abstinent, Anne Heisel nicht. „An einem Tag im Jahr muss es mal krachen“, sagt sie. „Ich hoffe, wir sehen uns nächstes Jahr wieder.“