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Karnevals-Kolumne #NeulandEin Tag im Leben eines Funkemariechens

Lesezeit 5 Minuten

Allein unter 170 Männern: Corinna Hambach ist als Tanzmariechen die einzige Frau, die im Bus der Blauen Funken mitfahren darf.

Köln – Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel, dann legt sie ihre rechte Hand an den Hut – und zack. Mit einem kräftigen Ruck rammt Corinna sich den Schaschlik-Spieß in den Kopf. „So“, sagt sie nüchtern, „jetzt sitzt das Ding.“ Und so oft, wie sie heute noch durch die Luft gewirbelt werden wird, ist es wichtig, dass das Ding – ihr Hut – fest sitzt. Corinna Hambach ist das neue Mariechen der Blauen Funken. Den stählernen Schaschlik-Spieß hat sie bei Amtsantritt von ihrer Vorgängerin vererbt bekommen und die wiederum hat ihn von ihrer Vorgängerin.

Corinna hat mich eingeladen, sie einen Tag lang zu ihren Auftritten zu begleiten. So sitze ich an diesem Morgen in ihrem Studentenzimmer im Pantaleonsviertel und gucke ihr bei der Verwandlung zum Funkemariechen zu. Es ist ein typisches Mädchenzimmer: weiße Möbel, die Wände in lavendel-lila gestrichen, ein glitzernder Kronleuchter aus Plastik baumelt von der Decke. An den Wänden hängen Fotos von Freunden und Familie. Eine kleine, gemütliche violette Welt, in der die 26-Jährige wohnt. Auf den ersten Blick würde man nicht meinen, dass hier eine Entertainerin erster Klasse lebt.

Die Müdigkeit wird weggeschminkt

Zweieinhalb Stunden dauert es, bis aus der Germanistik-Studentin Corinna das Mariechen der Blauen Funken geworden ist. Damit Perücke und Hut halten, flechtet sie sich ihre Haare zu einem dicken Zopf, platziert einen Strumpf am Oberkopf und fixiert alles mit literweise Haarspray und gefühlt tausend Haarnadeln. Der Spieß hält dann alles zusammen. „Was ich meinen Haaren und meiner Haut während der Session antue, ist schon nicht sonderlich gesund“, sagt Corinna und trägt die zweite Lage Wimperntusche auf.

Am Vorabend hat die Kostümsitzung der Blauen Funken stattgefunden, Heimspiel für Corinna und das Tanzkorps. Entsprechend spät war sie im Bett, gut gelaunt ist sie trotzdem. Die Müdigkeit wird Schicht für Schicht weggeschminkt. Als Haare und Make-Up fertig sind, schlüpft sie in ihre maßgeschneiderte Uniform. Noch schnell ein Brot und ein Glas Orangensaft gefrühstückt, dann klingelt es auch schon, und Tanzpartner Nico Bennerscheid (22) steht zur Abholung bereit.

Seit dieser Session sind die beiden das neue Tanzpaar der Blauen Funken, privat sind sie befreundet, mehr nicht. In einem aufwendigen Bewerbungsverfahren wurden sie im vergangenen April gecastet. Vorher haben Corinna und Nico mit jeweils anderen Partnern in kleineren Vereinen im Bonner Raum getanzt. Die Aufnahme in eins der größten Kölner Traditionskorps ist für sie wie ein Ritterschlag. „Wenn man wie ich im Karnevalsverein groß geworden ist und schon immer getanzt hat, dann gibt es einfach nichts Größeres als einmal Funkemariechen in Köln zu sein“, sagt Corinna. Für diesen Traum nimmt sie sämtliche Strapazen in Kauf. Ihre gesamte Freizeit geht für das Training, die Auftritte und das Engagement im Korps drauf. Geld verdient sie damit nicht, Funkemariechen ist ein Ehrenamt und wird als solches von Corinna gelebt und empfunden.

Ein Mann als Funkemariechen

Historisch geht die Tanzmarie übrigens auf Frauen zurück, die im 30-jährigen Krieg mit den Soldaten zogen und ihnen diverse Waren und Dienste verkauften, die Marketenderinnen. Im Karneval wurde das Funkemariechen bis in die Dreißigerjahre aber von einem Mann dargestellt, ähnlich wie die Jungfrau im Dreigestirn. Die Nazis wollten dann keine Männer in Frauenkleidern mehr durch die Stadt laufen sehen, zu viel Travestie, zu viel Zündstoff für die homosexuelle Szene. Nach dem Krieg wurde die weibliche Tanzmarie dann stillschweigend beibehalten.

Am Treffpunkt angekommen, bekomme ich eine Ahnung davon, was es heißt, als einzige Frau unter 170 Männern in der Session unterwegs zu sein. Corinna wird gedrückt, geherzt und gemustert. Auch wenn sie genau genommen nicht anders aussieht als die letzten Tage, drehen sich die Herren nach ihr um und machen ihr Komplimente für ihr Aussehen. Sie ist die Prinzessin, die Funken lesen ihr „jeden Wunsch von den Augen ab“, wie sie selbst sagt. Getränke werden quer durch den Bus gereicht, ihr Mantel wird getragen, ein Funk kauft ihr frisches Obst vom Wochenmarkt, ein anderer besorgt ihr Milchkaffee vom Bäcker nebenan. Corinna wird auf Händen getragen – mit einer Hand im Schritt, um genau zu sein.

Souverän balanciert Tanzpartner Nico die 56-Kilo-leichte Tanzmarie beim ersten Auftritt des Tages in den Saal. In zweieinhalb Metern Höhe winkt und strahlt Corinna in die Menge. Auf der Bühne angekommen, wirft sie einen Blick zu den Ventilatoren an der Decke. Könnte knapp werden mit den Hebefiguren. Doch auch Nico hat die Propeller im Blick und wirft sie nicht ganz so hoch wie sonst. Alles klappt wie am Schnürchen. Corinna wirbelt durch die Luft, wobei der Saal ihr mehrfach unter den Rock gucken kann. Ob sie das stört? „Nein, denn in dem Moment bin das nicht ich. Sobald ich die Uniform anhabe, schlüpfe ich in eine Rolle. Nicht Corinna zeigt ihr Spitzenhöschen, sondern das Funkemariechen.“

Ein unsichtbarer Kreis um die Marie

Angebaggert wird Corinna in der Regel nicht, das Korps wacht mit Argusaugen über sie. Sogar ihr Vater wurde neulich irrtümlicherweise zurechtgewiesen, als der seine Tochter nach einem Auftritt begrüßen wollte. Die Funken lieben ihr neues Mariechen eben, besonders ihr Strahlen, mit dem es sie durch den Karneval begleitet. „Ihr fällt das Lächeln nicht sofort aus dem Gesicht, sobald die Scheinwerfer aus sind. Die macht ihren Job hier mit echter Begeisterung und das spürt man“, schwärmt ein Funk. Und so strahlt sie weiter – trotz Schaschlik-Spieß in der Perücke.