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AnalyseAntisemitismus-Fälle in Köln nehmen seit Terrorangriffen der Hamas immer mehr zu

Lesezeit 4 Minuten
Ein Polizeiwagen steht vor der Synagoge in der Roonstraße.

Polizeiposten vor der Synagoge in der Roonstraße. Nach dem Angriff der Hamas auf Israel sind auch in Köln die Sicherheitsmaßnahmen vor jüdischen Einrichtungen verschärft worden.

Viele Jüdinnen und Juden fühlen sich seit den Angriffen der Terror-Organisation Hamas auf Israel auch in Köln nicht mehr sicher. Ein Überblick.

Seit den Terrorangriffen der Hamas auf israelische Zivilisten am 7. Oktober steigt in Köln wie im ganzen Bundesgebiet die Zahl antisemitischer Vorfälle. Täglich gehen bei der Kölner Meldestelle im NS-Dokumentationszentrum Hinweise ein, die gegenrecherchiert und eingeordnet werden, bevor sie veröffentlicht werden. Die Beispiele verdeutlichen, warum sich viele Jüdinnen und Juden seit den Angriffen der Terroristen mit mindestens 1400 ermordeten Zivilisten in Israel und den Bombardierungen des Gaza-Streifens durch die israelische Armee auch in Köln nicht mehr sicher fühlen.

So hörte eine Frau an einem Kiosk in Nippes ein erregtes Gespräch mit, bei dem ein Kunde rief: „Inschallah werden die alle umgebracht!“ Mit „die“ waren „die Israelis“ beziehungsweise „die Juden“ gemeint, wie die Frau der Meldestelle berichtete. Der Kioskbetreiber beförderte den Mann mit den Worten „Inschallah wird es bald Frieden geben!“ aus dem Kiosk.

Kölner Schulen: Verschwörungserzählungen kursieren

Vorfälle wie diese führten dazu, dass potenziell von Antisemitismus Betroffene vermehrt gezwungen seien, auf öffentlich getragene jüdische Symbolik zu verzichten, schreibt die Meldestelle. „De facto geht das mit einem Prozess des Unsichtbar-Werdens des jüdischen Lebens in Köln einher.“

Vermehrt gemeldet werden auch antisemitische Vorfälle in Kölner Schulen – meistens in Form von Verschwörungserzählungen. So wurde in einer Schule behauptet, der Krieg sei „von den Juden provoziert worden“ und allein „die Juden sind schuld daran, was in Palästina passiert“.

„Die Juden“ werden als Kriegstreiber dämonisiert, als Aggressoren und Finanzelite

Ein anderer Schüler behauptete gar: „Hinter den meisten Kriegen stehen immer Juden, sie machen Geld damit.“ Mit Bezug auf den Holocaust sagte ein Schüler, der Genozid sei passiert, „weil die Juden so viele Probleme machen“. Es sind klassische antisemitische Ressentiments: „Die Juden“ werden als Kriegstreiber dämonisiert, die Profit aus dem Krieg schlagen, als Aggressoren, immer wieder auch als Finanzelite, die weltweit herrschen würde.

Eine Schweigeminute im Rhein-Energie-Stadion am 22. Oktober vor dem Bundesliga-Spiel des 1. FC Köln gegen Borussia Mönchengladbach wurde nicht nur durch den Zwischenruf „Freiheit für Palästina!“ gestört – ein Zeuge, der ein Video von dem Zwischenruf drehte, hörte auch, wie ein Fußballfan sagte: „Scheiß-Juden, immer diese Scheiß-Juden.“ Dem Fan sei von einem anderen Fan eher zaghaft widersprochen worden.

Ein Teilnehmer mit Israel-Flagge einer pro-israelischen Demonstration wurde am Roncalliplatz von einem Jugendlichen von hinten angespuckt – er wurde von der Polizei gestellt und angezeigt.

Antisemitismus in Köln: Viele Straftaten bleiben ungeahndet

Nicht wenige Straftaten auf propalästinensischen Kundgebungen blieben ungeahndet, glaubt Daniel Vymyslicky von der Meldestelle für antisemitische Vorfälle. So habe eine Demonstrantin auf einer Kundgebung am Heumarkt (21. Oktober) ein Schild mit der Aufschrift „Der Holocaust passiert erneut und die Welt schaut zu!“ hochgehalten. Eine andere Frau zeigte ein Schild mit der Aufschrift: „The irony of becoming what you once hated” („Die Ironie, das zu werden, was du einst gehasst hast“), womit offenbar suggeriert werden sollte, Israelis oder Jüdinnen wären „die neuen Nazis“.

Ein kleiner Junge trug einen Pullover mit der Aufschrift „From the river to the sea, Palestine will be free” – eine verbreitete Parole, die sich ein „freies Palästina“ vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer wünscht, inklusive des gesamten israelischen Staatsgebiets. Die Polizei hatte per Auflage verboten, diese Parole zu verbreiten. Dagegen wurde Zeugen zufolge wiederholt verstoßen.

Es ist immer da oben die eine Elite, die bösen Menschen, das sind 13 Familien, 13 Blutlinien sind das, die über 8 Milliarden Menschen bestimmen
Demonstrantin, die als Verschwörungstheoretikerin bekannt ist, bei Kundgebung in Köln

Auch auf einer propalästinensischen Demonstration einen Tag später in Bahnhofsnähe äußerten sich Teilnehmer antisemitisch: „Nieder mit der Apartheid!“, lässt sich dem israelbezogenen Antisemitismus zuordnen, „Beendet den palästinensischen Holocaust!“, dem Post-Schoa-Antisemitismus. In einer Rede richtete sich eine junge Frau an Bundeskanzler Olaf Scholz mit den Worten: „Freuen Sie sich schon auf Geschichtsbücher, in denen der Name von Deutschland mal wieder auf der falschen Seite steht?“

Die Frau, die seit Jahren antisemitische Verschwörungsmythen verbreitet und gegen die „Lügenpresse“ wettert, schwadronierte auch: „In Deutschland sind wir nicht frei, wir sind hier geknechtet durch unsere Regierung, nicht nur in Deutschland, alle Regierungen weltweit! Es ist immer da oben die eine Elite, die bösen Menschen, das sind 13 Familien, 13 Blutlinien sind das, die über 8 Milliarden Menschen bestimmen, wollen wir das? Uns von den Mächtigen bestimmen lassen?“

Der Verantwortliche für die Kölner Meldestelle für antisemitische Vorfälle kann per Mail kontaktiert werden: daniel.vymyslicky@stadt-koeln.de. Im Internet werden antisemitische Fälle unter www.antisemitismus-melden.koeln gesammelt.