Köln – Die junge Mutter auf dem Fahrrad wirkt erschrocken, als sie von der Polizei angehalten wird – allerdings eher über ihr eigenes Verhalten. Die 41-Jährige ist gerade mit dem Handy am Ohr quer über die Neusser Straße geradelt, mit ihrer kleinen Tochter im Kindersitz auf dem Gepäckträger. „Ich musste am Telefon nur schnell was regeln, bevor ich das vergesse“, erklärt sie. Die 25 Euro Verwarngeld zahlt sie an Ort und Stelle.
Würden die Fahrradpolizisten Axel Sommer und Andreas Schley eine Hitliste der meistgehörten Ausreden zusammenstellen, stünde „Ich musste nur schnell“ ziemlich weit oben – dicht gefolgt von „Ich wollte gerade wegfahren“ und „Warum halten Sie mich an und nicht den da?“Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat die beiden Beamten der Mountainbike-Staffel einen Nachmittag lang begleitet, von 14.30 Uhr bis 18.30 Uhr.
In dieser Zeit sollte es eigentlich vom Verlagsgebäude an der Amsterdamer Straße in Niehl bis zum Polizeipräsidium in Kalk gehen, knapp elf Kilometer. Unterwegs sollten die Beamten jeden Verstoß ahnden, egal ob begangen von Autofahrern, Radfahrern oder Fußgängern. Aber – so viel schon verraten werden – auf halber Strecke war Schluss: Weiter als bis zur Maastrichter Straße kamen die Polizisten in vier Stunden nicht. Selten konnten sie mehr als hundert Meter am Stück fahren, ohne eine Anzeige schreiben oder ein Verwarngeld kassieren zu müssen.
Das ist nicht nur eine Geschichte über mangelnde Verkehrsmoral, die laut Martin Lotz, Leiter der Verkehrsdirektion der Polizei, in Köln besonders schlecht ausgeprägt ist. Es ist auch die einer Gesellschaft im Dauerstress. Um ein paar Sekunden zu sparen, fahren Radfahrer über Rot oder entgegen der Fahrtrichtung. Blockieren Autofahrer Geh- und Radwege, weil sie sich nicht die Zeit nehmen, einen Parkplatz zu suchen. Hetzen Fußgänger ohne sich umzuschauen über Radwege, um eine Ampel noch bei Grün zu kriegen. Und das in einer Stadt, die vielerorts zu eng, zu voll und zu schlecht ausgebaut ist, um das steigende Verkehrsaufkommen zu fassen. Die Folgen sind Unfälle, die täglich Verletzte, manchmal Tote fordern.
„Chef sagt: Schnell, schnell“, antwortet ein Kurierfahrer entschuldigend, als Hauptkommissar Sommer ihn auf der Neusser Straße in zweiter Reihe parkend erwischt, Radfahrer müssen ausweichen. Zudem hat der Mann kein „Tageskontrollblatt“ dabei, auf dem er seine Arbeits- und Ruhezeiten notieren müsste. Ein paar 100 Euro Strafe kommen auf ihn zu. Da fallen die 20 Euro für den Parkverstoß kaum ins Gewicht.
Die beliebtesten Ausreden bei Polizeikontrollen
1. Ich wollte gerade wegfahren.
2. Warum halten Sie ausgerechnet mich an und nicht den da?
3. Warum jagen Sie nicht richtige Verbrecher?
4. Mein Anwalt meldet sich bei Ihnen.
5. Das dürfen Sie nicht.
6. Ich zahle Ihr Gehalt.
Einige Meter vorher, Ecke Neusser Straße/Innere Kanalstraße: Auf dem engen Radweg Richtung Ebertplatz kommt den Fahrradpolizisten in ihren neongelben Uniformen eine junge Frau entgegen geradelt. Gedankenversunken, nimmt sie die Beamten erst wahr, als sie sie laut ansprechen. Auch sie muss 20 Euro Verwarngeld zahlen. Sie bricht in Tränen aus. Wegen 20 Euro? „Heute ist kein guter Tag“, antwortet die Frau ausweichend. Plötzliche Tränenausbrüche erlebt Axel Sommer immer wieder. Manche wollen vielleicht Mitleid wecken und den Polizisten erweichen.
Bei den meisten aber, davon ist Sommer überzeugt, entlädt sich in dem Moment, wo auch noch ein Polizist vor ihnen steht, einfach eine große Anspannung, „unter der viele in ihrem hektischen Alltag stehen“.Ungemütlich wird die Stimmung für die beiden Mountainbiker in der Maastrichter Straße. Obwohl hier ein Einbahnstraßenschild eindeutig das Einbiegen auf den Hohenzollernring untersagt, versuchen das gleich sechs Autofahrer hintereinander, vor den Augen der Polizei.
Als Axel Sommer und Andreas Schley je 25 Euro Verwarngeld erheben, muckt ein junger Fiesta-Fahrer auf: „Wegen so einer Scheiße?“, schimpft der Student. „Ich zahl’ nix, lächerlich“. Seine Freundin wirft ein: „Wenn das Navi uns hier lang führt, können wir auch nichts dafür.“ Am Ende zahlt der junge Mann doch. Widerwillig. „Eine mündliche Ermahnung hätte gereicht“, sagt er.
Dabei machen Polizisten eher die Erfahrung, dass genau das nicht reicht. Auch die Mutter, die mit ihrer Tochter im Kindersitz und dem Handy am Ohr in Nippes erwischt wurde, sagt ehrlich: „Am Ende geht es wohl nur übers Portemonnaie. Sonst kriegt man keine Einsicht.“ Lieber zahlen würde sie aber, wenn das Geld nicht irgendwo in der Staatskasse versackt, sondern in den Ausbau von Radwegen gesteckt werden würde.
Infrastruktur suboptimal
Auch Christof Simons, neben Sonja Hildebrand einer von zwei Fahrradbeauftragten der Polizei Köln sagt: „Eine einzige vernünftige bauliche Maßnahme kann viele Polizeikontrollen ersetzen.“ Die Infrastruktur für Radfahrer in Köln sei suboptimal. Vor allem an Knotenpunkten wie am Neumarkt oder am Barbarossaplatz sei es einfach zu eng. „Die meisten gefährlichen Situationen entstehen, weil die Leute unsicher fahren und zum Beispiel die Beschilderung nicht verstehen“, sagt Simons. Er kennt nur einen Ausweg: „Man kann diese Bereiche nur entzerren, wenn man den Autofahrern Platz wegnimmt und ihn den Radfahrern zuschlägt.“ Da fehle es der Stadtverwaltung aber noch an Entschlossenheit. „Die große Frage ist: Wann ist die Zeit reif dafür?“
Die letzten zwei Kilometer an diesem Nachmittag radelt auch Polizeipräsident Uwe Jacob mit. Er wohnt seit 25 Jahren im eher beschaulichen Moers und will heute ein Gefühl dafür kriegen, wie es ist, durch den Kölner Berufsverkehr zu radeln. Das Fahren klappt aber nur bedingt – zu oft müssen seine Kollegen anhalten, um Verstöße zu ahnden.Am Ende des Tages haben Sommer und Schley 47 Verstöße geahndet – 21 gegen Autofahrer, 26 gegen Radfahrer. Und sie haben viele Gespräche geführt, mit einsichtigen und mit uneinsichtigen Sündern. Oberkommissar Schley findet, es hat sich gelohnt: „Ich bin da Idealist. Man kann nicht jeden überzeugen, aber doch einige.“
Die Beispiele
14.30 Uhr: Falschparker auf dem Radweg
Ein oft gesehenes Bild an diesem Nachmittag: Ein Auto steht halb auf dem Radweg, und halb auf der Straße, vom Fahrer keine Spur. Radfahrer müssen auf den Gehweg ausweichen oder absteigen und schieben. Der Autofahrer kriegt demnächst Post von der Bußgeldstelle der Stadt Köln. Parken auf Geh- und Radwegen: mindestens 20 Euro.
14.35 Uhr: Parken in zweiter Reihe
Paketboten haben es nicht leicht: Alle paar Meter einen freien Parkplatz finden – auf einer Straße wie der Neusser Straße ist das unmöglich. Wenn der Bote aber auch noch – wie hier im Bild – aus Bequemlichkeit neben einer freien Ladezone in zweiter Reihe parkt, wird Axel Sommer deutlich. Verwarngeld: 20 Euro.
16.05 Uhr: Mit Ohrenstöpsel und Hund, aber ohne Bremse
Ein junger Radfahrer mit Hund an der Leine trägt beim Fahren Stöpsel im Ohr und hört so laut Musik, dass er die „Polizei!“-Rufe von Andreas Schley nicht hört. Bei der Kontrolle stellt sich heraus, dass seine Vorderbremsen nicht mehr funktionieren. Verwarngeld: 20 Euro. Das Fahrrad muss stehen bleiben.
17.35 Uhr: Jüngeren Bruder auf Fahrrad mitgenommen
Ein Radfahrer (10) nimmt seinen jüngeren Bruder (7) auf der Mittelstange mit, als beide fast in Axel Sommer hineinfahren. Der erklärt ihnen: Nicht zu zweit aufs Rad, besser schieben. Die Jungs bedanken sich artig und gehen zu Fuß weiter.
18.20 Uhr: Gegen die Einbahnstraße
Ein Einbahnstraßen-Schild auf der Maastrichter Straße weist unmissverständlich darauf hin: Einbiegen auf den Hohenzollernring untersagt. Aber viele Autofahrer scheint das nicht zu interessieren. Sie verstoßen gleich im Minutentakt gegen das Verbot. Die Konsequenz: 25 Euro Verwarngeld.