Kölner Autor Christian KnullWie ein deutscher Theaterskandal sein Buch inspirierte
Köln – Der Aufschrei kam tief aus der Kehle. Das Stück „Reigen“ von Arthur Schnitzler löste Anfang des 20. Jahrhunderts einen der größten Skandale der deutschen Theatergeschichte aus. Zehn erotische Dialoge, die um Verführung und Macht kreisen – das mündete wenig überraschend in einem Aufführungsverbot, obwohl der Sex nie gezeigt, sondern nur angedeutet wurde.
Das brisante Universum aus Sehnsüchten und Avancen liefert Autor und Journalist Christian Knull den Rahmen für seinen ersten und gerade erschienenen Roman „Wir probten die Liebe“: Zwölf Theatermenschen proben darin „Reigen“ im Hier und Jetzt – unter der rigiden Leitung eines machtbewussten Regisseurs. Der in Köln lebende Autor greift dabei zum Mittel des Monologs und lässt den Gedankenstrom seiner Protagonisten einzeln sprudeln.
Sex auf der Theaterbühne zieht heute höchstens müde Lacher nach sich. Das Verruchte, Verbotene – längst verflogen. Warum also wählte der 65-Jährige gerade dieses Schnitzler-Stück? „Weil es psychologisch gut beobachtete Dialoge sind. Schnitzler war ein Zeitgenosse von Sigmund Freud und der erste, der innere Monologe geschrieben hat. Mittlerweile lese ich auch Krimis mit anderen Augen und schaue, wie sich die Autoren in die Figuren hineinbegeben“, sagt Knull. „Mich reizt, was in den Köpfen der Menschen vorgeht und pointenhaft Momente gelungener und misslungener Kommunikation zu erzählen“.
Christian Knull spielt bei Kölner Theatergruppe „Das Spielbrett“
Nirgendwo könne man so exponiert scheitern wie auf der Bühne. „Beim Theater übt man einen Dialog ein und durchläuft dabei alle Stadien der Kommunikation, die falsch betonte, die emotional nicht richtige, die missverstandene, so lange, bis man endlich glaubhaft wirkt“, sagt der Autor, der selbst eine Leidenschaft für das Theaterspiel hat und diese seit 18 Jahren in der Gruppe „Das Spielbrett“ im Rechtsrheinischen auslebt – vor Jahren lernte er selbst die Schitzler’schen Dialoge auswendig. „Damals waren wir in Sorge, was auf uns zukommt, weil es immer auf Sex hinausläuft – anstelle des Wortes standen da nur Pünktchen. Der Regisseur hat das heiter gelöst: das Licht ging aus und es gab ein kurzes Stöhnen im Takt des Wiener Walzers“, schmunzelt Knull, der als freier Autor vor allem Reisereportagen schreibt: von 1985 bis 2008 auch für den „Kölner Stadt-Anzeiger“. Für Tageszeitungen wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ fuhr er schon nach Argentinien, Äthiopien und in den Sudan.
Das könnte Sie auch interessieren:
Das war aber vor Corona. Jetzt schreibt er pandemiegerecht und dem Zeitgeist entsprechend über regionale Reisen. Der spannendste Ausflug bleibe aber der in die Gedankenwelt der Menschen: entlang ihrer Befindlichkeiten, Sehnsüchte und ihrer biografischen Brüche. „Das sind Großstädter, Junge, Alte, Männer und Frauen. Sie sind klein und doch so groß“: Wie die Innenarchitektin, die Scham empfindet bei dem Gedanken, eine Sexszene vor Menschen zu mimen, die ihre Kunden sein könnten. Oder die VWL-Professorin, die das Theater braucht, um sich für Vorlesungen mit Selbstbewusstsein zu rüsten und sich vor lauter Unsicherheit in der Mensa für ihren Essensstil entschuldigt.
All jenes, was sich hinter einer Wand aus gesagten Worten abspielt, ist die erzählerische Treibfeder Knulls. „Meine vielen Reiseberichte sind reale Geschichten, die sich an dem Gegebenen orientieren. Das Fiktionale hat mich aber schon immer interessiert“. Als seine Kinder klein waren und mit neugierigen Augen die Welt entdeckten, habe er komische Szenen verschriftlicht – und eine Sammlung von etwa 100 Erzählungen für jedes Kind angehäuft, als Geschenk zur Volljährigkeit. Mittlerweile schätzten sie diese sogar, so Knull.