Chillige SoundsBantus neues Album „Everybody get Agenda“ ist sehr politisch
Köln – Chillige Sounds, die man so ähnlich aus den „Café del Mar“ dieser Welt kennt, schmeicheln dem Ohr, ein Chor wiederholt fast werbetauglich den Refrain. Und wenn man sich gerade dem Sonnenuntergang oder dem Cocktail zuwenden will, der sich im Kopf abbildet, landet das Flüchtlingsboot. Ganz leise drängt es sich über den Text in den Vordergrund.
„Plenty plenty body for open sea/Mediterranean na cemetry/Yeah o Africa future die o“ locken die Sirenen des vermeintlich feuchten Urlaubstraums, der sich spätestens, wenn der Englisch und Yoruba gesungene Rap einsetzt, als Alptraum zweier Kontinente offenbart: zu viele tote Körper im Friedhof Mittelmeer.
„Für jeden treibenden Körper – zwei in der Sahara/im Sand begrabene Körper tauchen nicht auf in den Data/Brüder und Schwestern, gequält und geschändet/verkauft und weiterverkauft, die Sklaven der Moderne“, heißt es im (hier übersetzten) Text. Das ist starker Tobak, den die Band Bantu in ihrem neuen, sehr politischen Album „Everybody get Agenda“ manchmal scheinbar harmlos verpackt. Es geht aber auch anders: „Freedom, Freedom“, skandiert die Menge zum Auftakt von „Disrupt the Programme“.
„Wir wollen das alles kritisieren“
Unterdrückung, Korruption, staatliche Zensur, die Ursachen des Flüchtlingsdramas, die Perspektivlosigkeit der Jugend. „Wir wollen das alles kritisieren“, sagt Ade Bantu (49), Sänger und Texter des 2004 mit seinem Bruder Don Abi und Patrice gestarteten Bandprojekts, „aber wir wollen auch über die Musik zeigen, wie viel Energie da ist, wie viel Selbstbewusstsein.“ Der in London geborener Deutsch-Nigerianer mit dem bürgerlichen Namen Adegoke Odukoya, der eine lange Kölner Vergangenheit hat, sieht es so: „Man kann das Leben zelebrieren und trotzdem die Zustände analysieren.“
Mit fettem Big-Band-Sound – aus der Tradition kommend, Fela Kuti kennend, lebensbejahend, weltoffen, modern, handgemacht – vibriert die 13-köpfige Band wie das Epizentrum eines kleinen Erdbebens; und wenn Ade vom Moloch Lagos erzählt, von den „20 Millionen Glücksrittern“, die in der mittlerweile größten Metropolregion Afrikas leben, vom Tempo, der Hektik, der Rastlosigkeit, spürt man, dass diese Musik so nur dort entstehen kann.
Ade Bantu ist soziales Bewusstsein wichtig. in Deutschland gründete er mit anderen Musikern den Verein Brothers Keepers, zudem ist er bei der AG Arsch huh aktiv gegen Rassismus und Neonazis. Er weiß: je politischer ein Song, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass er im öffentlichen Rundfunk Nigerias gespielt wird. Die Regierung zensiere das Programm, erzählt er, auch die Privatsender hätten Angst. Jegliche Kritik werde schonungslos unterdrückt.
Social Media sind sehr präsent
Allerdings werde das Radio immer unbedeutender. Die Bevölkerung sei deutlich jünger als in Europa. „Social Media wie Facebook, Instagram oder Whatsapp sind sehr präsent“, sagt er, „zumal Handys erschwinglich geworden sind. Und so kann die staatliche Zensur unterlaufen werden.“ Zumal der digitale Wandel sich in Afrika zehn Mal schneller vollziehe als hierzulande. Ob er Angst hat? „Nein, ich als Deutsch-Nigerianer bin privilegiert.“ 2016 haben er und der Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka den damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier in der Deutschen Botschaft in Nigeria getroffen, später hat Bantu auf Einladung des jetzigen Bundespräsidenten in Berlin auf dessen Sommerfest gespielt. Jedes Jahr ist Ade einige Wochen bei der Familie in Köln, das neue Album wurde hier von Manu Schlindwein abgemischt. „Ich habe zwei Heimaten, und die Ruhe hier tut meiner Seele gut.“
Der Letzte, an den man denken würde, wenn man Ade Bantu erlebt, wäre Dieter Bohlen. Und wenn man der Beiden Musik hört, werden die Welten, die dazwischen liegen, noch größer. Und doch hat Ade fünf Jahre lang einen ganz ähnlichen Job gemacht: Er war Mitglied der Jury von „Project Fame Westafrica“, dem DSDS Afrikas. Die TV-Show hatte gigantische Quoten in Nigeria, Ghana, Liberia und Sierra Leone, Ade Bantu ist ein Promi in Lagos.
„Ein netter Ausflug in die TV-Landschaft“, sagt der Musiker grinsend. Es gab gutes Geld, und die Aufzeichnung der Show, zwölf bis 18 Wochen im Jahr, ließ ausreichend Zeit, sein eigenes Ding zu machen. „Ich hatte nicht den Zwang, einen Hit zu schreiben. Ich wollte immer was mit Substanz machen, das die Ewigkeit überdauern kann, etwas, das relevant ist für diese Zeit.“ Wer das neue Bantu-Album hört, weiß, dass er nah dran ist – es ist unbedingt empfehlenswert.