Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

„Pneumissimo“-ChorWenig Luft und ganz viel Stimme – Wie Singen Lungenkranken helfen kann

Lesezeit 5 Minuten
19.03.2025 Köln. COPD, Asthma, chronische Bronchitis, Lungenkrebs, transplantierte Lunge - im Chor Pneumissimo können auch diese Menschen singen. Wie das Singen lungenerkrankten Menschen sogar helfen kann (Besuch einer Chorprobe, Chor feiert im April Zehnjähriges). Foto: Alexander Schwaiger

Vorm Singen machen sich alle warm: Dehnen, Räkeln, Gähnen, Grimassieren.

Der Chor „Pneumissimo“ feiert im April sein zehnjähriges Bestehen und verbindet Gesangstherapie mit sozialem Miteinander für Lungenerkrankte.

Stephi hat eine Lungenfibrose, Waltraud Asthma, Joachim lebt seit drei Jahren mit einer neuen Lunge, Ernst leidet an COPD – mittwochs um 12 Uhr haben sie alle einen Termin in der Kapelle im Bettenhaus der Uniklinik. Sie singen bei „Pneumissimo“, einem Chor für Menschen mit eingeschränkter Lungenfunktion.

Dehnen, Räkeln, chorisches Einsingen

„Weißt Du, ob du eine hohe oder eine tiefe Stimme bist?“, fragt Anette Einzmann, Gesangslehrerin und Atempädagogin, Christa gerade. Christa ist neu dabei, weiß noch nicht, dass man bei „Pneumissimo“ nach Stimmlagen verteilt sitzt und dass die anderthalb Chor-Stunden immer mit einem Warm-up beginnen. Dehnen, Räkeln, Gähnen, Grimassenziehen, chorisches Einsingen mit Sjomm, sjomm sjomm, luiuiuiui, Körper abklopfen, warm werden, los gehts.

19.03.2025 Köln. COPD, Asthma, chronische Bronchitis, Lungenkrebs, transplantierte Lunge - im Chor Pneumissimo können auch diese Menschen singen. Wie das Singen lungenerkrankten Menschen sogar helfen kann (Besuch einer Chorprobe, Chor feiert im April Zehnjähriges). Foto: Alexander Schwaiger

Die Gruppe in ihrem Übungsraum, der Kapelle im Bettenhaus.

Atemprobleme und wöchentlicher, durchaus ambitionierter Chorgesang, das klingt zunächst widersinnig. Wie sollte jemand singen können, der ohnehin eher zu wenig als zu viel Luft hat, dem das Atmen schwerer fällt als es sollte? Einzmann erklärt es so: „Ein Problem vieler Lungenerkrankten ist, dass sie Schwierigkeiten haben, hinreichend CO2 abzuatmen“, sagt sie. „Um jedoch schön klingende Töne zu produzieren, muss der Atem wohl dosiert, stetig und sanft fließen. Das heißt, wir trainieren hier, das Ausatmen zu verlängern. Das Einatmen wird dadurch gelassener, reflektorischer und vertieft sich – so verbessern sich Atemmuster und Lungenbelüftung.“

Zehnjähriges Bestehen Ende April

„Pneumisimo“ gibt es im April seit zehn Jahren. Anette Einzmann war aus Freiburg nach Köln gezogen und wurde Singleiterin der „Singenden Krankenhäuser“. „Schon als Atempädagogin hatte es mich schon immer geärgert, dass man an die richtig kranken Menschen nicht herankommt“, erzählt sie. Die Idee, mit Patienten zu singen, reizte Einzmann. Gemeinsam mit der Musiktherapeutin Hildegard Grooterhorst gab es Gespräche mit Prof. Dr. Stephan Baldus, Leiter des Herzzentrums am Uniklinikum Köln, und dem Leiter der Pneumologie Dr. Konrad Frank und bald war klar: Einzmann und Grooterhorst durften eine Singgruppe für Menschen mit eingeschränkter Lungenfunktion gründen.

Es gab zwar kein Geld dafür, und Sängerinnen und Sänger mussten auch noch unter den ambulanten Patienten gefunden werden, aber immerhin ein Raum wurde dem neuen Chor zur Verfügung gestellt. Am 29. April 2015 luden Einzmann und Grooterhorst zur ersten Probe des COPD-Chores ein, „vier oder fünf Leute kamen“.

19.03.2025 Köln. COPD, Asthma, chronische Bronchitis, Lungenkrebs, transplantierte Lunge - im Chor Pneumissimo können auch diese Menschen singen. Wie das Singen lungenerkrankten Menschen sogar helfen kann (Besuch einer Chorprobe, Chor feiert im April Zehnjähriges). Ian Alexander Griffiths (li.) und Chorleiterin Anette Einzmann. Foto: Alexander Schwaiger

Chorleiterin Anette Einzmann mit Gitarrist Ian Alexander Griffith.

Heute singen in Köln etwa 20 Männer und Frauen regelmäßig unter der Leitung von Anette Einzmann, Ian Alexander Griffith leitet mit ihr die Gruppe seit der Pandemie an der Gitarre. Was die Liedauswahl angeht, versucht Einzmann einen „Genre-Mix – klassisch, Rock/Pop, World Music, schlechte Schlager – damit alle halbwegs zufrieden sind, allerdings in etwas tiefere Lagen transponiert.“ An diesem Mittwoch stehen unter anderem „California Dreamin“ von The Mamas and Papas auf dem Plan, „Ännchen von Tharau“, „The Lion sleeps tonight“ und „Si ma ma kaa“, ein Lied, das, so heißt es, aus Tansania stammt, auf dem Plan.

Sänger mit transplantierter Lunge

„Pneumissimo“-Stammsänger ist auch Joachim Romes aus Sülz. Bei Romes wurde 2016 eine Lungenfibrose diagnostiziert. Der Kölner spielte Feldhockey, fuhr Ski – und änderte auch nach der Diagnose erst einmal nichts an seiner Lebensweise. Nach drei Jahren verschlechterte sich seine Situation jedoch massiv. „Ich wurde berufsunfähig, Laufen ging gar nicht mehr, und ich dachte: Okay, dann ist jetzt für mich halt Couch und Fernsehen angesagt. Das war wirklich, wirklich heftig“, erzählt Romes heute. Er entdeckte das Boulespiel für sich – und das Singen bei „Pneumissimo“. „Ich habe immer gern gesungen, Liedtexte und Gedichte geschrieben. Das ist für mich eine wunderbare Möglichkeit zur Verarbeitung von Lebenssituationen.“

Weitere drei Jahre später, Anfang 2022: die Katastrophe. Totalausfall der Lunge. Ein Freund brachte Romes geradewegs von Mallorca direkt in die Essener Ruhrlandklinik. Sein Zustand war zu diesem Zeitpunkt so schlecht, dass unklar war, ob er überhaupt noch ein Kandidat für die Organspenderliste bei Eurotransplant sei. Als dies befürwortet wurde, ging alles sehr schnell. „Es war mehr als fünf vor zwölf und ich hatte wirklich großes Glück“, erinnert er sich.

„Ich werde nicht wegen meiner Lunge sterben“

„Singen hatte und hat für mich eine ganz hohe Priorität“, erzählt der Sülzer, der mittlerweile drei Jahre mit dem neuen Organ lebt und sogar in drei Chören singt. „Ich werde nicht wegen meiner Lunge sterben, das sage ich jetzt mal ganz mutig.“ Singen, so sagt er, sei gut für seine Psyche, aber auch für den Mechanismus der Lunge. Stephi, die junge Frau, die ebenfalls eine Lungenfibrose hat, stimmt zu: „Im Chor singen vereint Stimm- und Atemtraining, und gerade während Corona hat mir ‚Pneumissimo‘ ganz viel Halt gegeben.“

Einzmann erinnert sich gut und gleichzeitig ungern an diese Zeit: „Das war richtig gefährlich, da unsere Chor-Mitglieder ja eine Hoch-Risikogruppe darstellten. Sie durften sich unter keinen Umständen anstecken.“ Sie wurde kreativ, sang mit Griffith Songs ein, nahm Warm-up- und Einsingvideos auf, oder man verabredete sich online zum Singen, zwei Sängerinnen halfen allen dabei, Skype zu bedienen. „Das hier“, sagt Einzmann, „ist ein ganz toller Chor: Sie rufen sich untereinander an und schreiben Postkarten, wenn jemand mal wieder im Krankenhaus liegt – sie kümmert sich einfach umeinander.“


Mitmachen und mitfeiern

Der Chor Wer lungenerkrankt ist und gern singt, ist immer mittwochs von 12 bis 13.30 Uhr im Forum des Gebäudes 42 in der Joseph-Stelzmann-Straße 42 willkommen – auch wenn er oder sie glaubt, nicht singen zu können. Vorsingen muss niemand. Infos gibt es unter info@pneumissimo.de oder www.pneumissimo.de

Das Jubiläum Am Dienstag, 29. April, 11 Uhr, findet die Feier im Forum der Uniklinik statt.

Die Wissenschaft Der Chor wurde eine Zeit lang von der Pneumologie der Universitätsklinik Köln wissenschaftlich begleitet, Katrin Enste schrieb ihre Doktorarbeit über das Thema „Auswirkungen von Chorsingen auf die Lungenfunktion, Lebensqualität und körperliche Belastbarkeit von COPD-Patienten“. Ihr Fazit in der allerkürzesten Kurzform: „Bereits 90 Minuten Chorsingen haben das Potenzial, eine manifeste Lungenüberblähung und damit einhergehende, die Lebensqualität einschränkende Symptome sowie eine krankheitsbedingt reduzierte körperliche Leistungsfähigkeit bei COPD-Patienten zu verbessern. Chorsingen kann folglich als eine sehr einfache, komplementäre und effektive Therapiemaßnahme in Ergänzung zur bewährten inhalativen medikamentösen Therapie bzw. physiotherapeutischen Maßnahmen einer COPD bewertet werden.“

Die Unterstützer Boehringer Ingelheim, der Förderverein des Herzzentrums und andere unterstützen Pneumissimo e.V. Wer das Chor-Projekt für Lungenerkrankte unterstützen möchte, meldet sich unter info@pneumissimo.de