Neue Studie mit alarmierenden ZahlenWarum Köln vor dem Pflegekollaps steht
- Der stationären Pflege in Köln droht in den kommenden Jahren der Kollaps. Das belegt nun eindrücklich die Studie einer Beratungsgesellschaft.
- Dabei ist die Lage schon jetzt dramatisch. „Es gibt Menschen, die weinen bei uns am Telefon, weil wir sie nicht nehmen können“, sagte die Mitarbeiterin eines Pflegedienstes für Senioren.
- Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten vonseiten der Stadtverwaltung, die Misere zu lindern, sagen Kölner Experten. Alle Zahlen und Fakten auf einen Blick.
Köln – Köln steuert derzeit auf eine deutliche Unterversorgung im Bereich der stationären Pflege zu.
Schon bis zum Jahr 2025 werden laut Stadtverwaltung knapp 900 Plätze in stationären Einrichtungen fehlen. Für das Jahr 2040 beziffert nun Terranus, eine Beratungsgesellschaft für Sozialimmobilien, in einer Studie den Fehlbedarf auf 3.900 Plätze. „Konkret bedeutet das, in Köln müssten in den nächsten 20 Jahren mehr als 50 neue Pflegeheime gebaut werden“, sagt Terranus-Geschäftsführer Markus Bienentreu.
Die Zahlen hat Terranus in seinem „Bedarfskompass“ unter anderem aus Daten zur demografischen Entwicklung der Stadt errechnet. Dazu passen die Daten der Kölner Sozialverwaltung: Denen zufolge wird die Stadt bis 2040 um mehr als 100.000 Einwohner wachsen. Die Zahl der Menschen, die dann älter als 80 Jahre alt sein werden, erhöht sich um 14.000 auf 77.500, die der Pflegebedürftigen um 14.000 auf 44.000. Kapazitäten haben die Pflegeeinrichtungen in der Stadt aber schon jetzt nicht mehr: Derzeit liegt die Auslastung der 96 Pflegeeinrichtungen, die über knapp 7.800 Pflegeplätze verfügen, bei fast 97,8 Prozent.
Steuert die Stadt nicht gegen, wird der Pflegenotstand wohl schon viel früher kommen: Laut Verwaltung müssten bis 2025 etwa 1.100 Pflegeplätze eingerichtet werden. Gebaut werden derzeit aber nur drei Heime in Wahn, Zündorf und Riehl mit insgesamt 225 Plätzen. Dabei scheint für die Experten der Ausbau von Pflegeheimplätzen dringlich: Terranus kommt zum Ergebnis, dass bereits heute schon in manchen Stadtteilen eine Unterversorgung vorhanden sei.
„Die Situation in den Pflegeheimen spitzt sich jetzt schon zu“, sagt auch Detlef Silvers, Caritas-Geschäftsführer im Bereich Alter und Pflege. Schon heute komme es zu Engpässen, die Wartezeiten betrügen einige Wochen, manchmal auch Monate. Ältere Menschen könnten nicht damit rechnen, in ihrem Viertel einen Heimplatz zu erhalten. „Wenn es schlecht läuft, landet man sogar in der Eifel.“
Für Silvers ist vor allem die Landesregierung Schuld an der Misere. Diese habe in den vergangenen Jahren die Standards für Seniorenheime heraufgesetzt. So sollen Senioren möglichst in Einbettzimmern untergebracht werden, es gibt eine Quote von 80 Prozent. Für Neubauten sind Mehrbettzimmer in der Regel sogar untersagt. Zudem wurde per Gesetz geregelt, dass ältere Menschen mehr Platz und über ein eigenes Bad verfügen sollen. „Fachlich ist das alles richtig, aber man hat den zusätzlichen Aufwand nicht zusätzlich vergütet“, kritisiert Silvers. Mit anderen Worten: Die Träger blieben auf den Kosten sitzen.
Die Stadt fordert er auf, die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Das Verfahren für das Pflegeheim der Caritas in Wahn habe 18 Monate gedauert. „So etwas kann man auch in sechs Monaten machen.“
Soziale Träger haben bei den Grundstückspreisen schlechte Karten
Weitere Probleme sehen die sozialen Träger bei den Grundstücken. „Wir bekommen einfach kein Bauland“, sagt Elisabeth Römisch, Fachbereichsleiterin der Arbeiterwohlfahrt. Im Wettbewerb um freie Areale seien soziale Träger den Immobilienfirmen, die Mietwohnungen oder Einfamilienhäuser errichteten, finanziell nicht gewachsen. Römisch fordert daher mehr Unterstützung von Stadt und Land. Gebiete sollten für Seniorenheime eigens ausgewiesen und Fördergelder an soziale Träger aufgestockt werden, die Heimplätze einrichten. „Wenn nichts passiert, steuern wir auf eine Katastrophe zu“, befürchtet Römisch.
Ähnlich sieht man das bei der Beratungsgesellschaft Terranus. Geschäftsführer Bienentreu appelliert an die Stadt, Grundstücke für Pflegeheime zur Verfügung zu stellen. Heime müssten in zentralen Lagen entstehen, damit die Senioren möglichst mobil seien. Aber bei Quadratmeterpreisen von 1.330 Euro in Top-Lagen hätten soziale Träger schlechte Chancen sich auf dem Markt im Wettbewerb um Grundstücke durchzusetzen. Es werde gebaut, was am lukrativsten sei.
Weiterhin zu wenige Fachkräfte
Bei der Stadt habe man das Problem erkannt, sagt Regina Steinfeld, Fachbereichsleiterin für Senioren und Menschen mit Behinderung. „Die Aufgabe ist schwierig, aber es ist wichtig, jetzt etwas zu tun.“ Im Jahr 2020 soll dass Projekt „Zukunft in der Pflege“ starten, dass Betreiber von Pflegeeinrichtungen, städtische Ämter und Seniorenvertreter an einen Tisch bringen will. Es soll in den kommenden Monaten Gespräche mit Trägern geben, damit diese Einrichtungen errichten oder erweitern. In Neubaugebieten sollen Flächen für Heime ausgewiesen werden.
Fraglich ist allerdings, ob diese Maßnahmen rechtzeitig greifen. Zusätzlich will die Stadt die ambulante Pflege ausbauen. Dort arbeiten die Dienste aber heute schon am Anschlag, weil es viel zu wenige Fachkräfte gibt. „Wir sind absolut zu“, sagt AWO-Bereichsleiterin Römisch. Anders als in Pflegeheimen könne man in der ambulanten Pflege nicht mit Hilfskräften arbeiten beziehungsweise mit Fachkräften aus dem Ausland, die nur wenig deutsch sprechen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Denn während in Pflegeheimen Hilfskräfte unter der Aufsicht von ausgebildeten Schwestern und Pflegern stehen, seien die Mitarbeiter in der ambulanten Pflege oft auf sich alleine gestellt. Für die Pflegebedürftigen bedeutet der Engpass lange Wartezeiten, bis sie einen Platz im ambulanten Bereich erhalten. „Es gibt Menschen, die weinen bei uns am Telefon, weil wir sie nicht nehmen können“, sagte eine Mitarbeiterin eines Dienstes, die namentlich nicht genannt werden möchte. Ein Bericht der Kölner Sozialverwaltung prognostiziert den Fachkräftemangel auf 1.100 Fachkräfte in ambulanten und stationären Bereichen.