AboAbonnieren

VerkehrswendeDas sagt Kölns dienstältester Fahrradkurier zum Straßenverkehr

Lesezeit 5 Minuten
Radkurier 1

Der Kölner Thomas Kehr in seiner Fahrrad-Zentrale.

  1. Der Kölner Thomas Kehr ist seit 34 Jahren als Fahrradkurier in Köln unterwegs.
  2. Mit seiner Firma Rapido sitzt er im Belgischen Viertel und hat 30 Jahre als Dienstleister überlebt.
  3. Wie stellt er sich eine Verkehrswende für Köln vor? Und warum aus seiner Sicht auch Radfahrer nicht zwangsläufig die besseren Menschen sind.

Köln – Seit 34 Jahren sitzt Thomas Kehr (63) fest im Sattel. 350. 000 Kilometer, so schätzt Kölns erster Fahrradkurier, habe er in dieser Zeit zurückgelegt. Alles erlebt und erlitten, was ein Radfahrer in Köln erleben und erleiden kann. Beinahe-Unfälle, Karambolagen, Zeitdruck. Aber auch immer wieder das Hochgefühl, mit dem Rad zu einer Einheit zu verschmelzen und vorbei an allen Staus durch die Stadt zu flitzen.

Doch kürzlich ist ihm etwas komplett Verrücktes passiert. Stillstand in Ehrenfeld – an der Kreuzung Innere Kanalstraße/Subbelrather Straße. „Ich habe das nicht glauben wollen, aber das war mein erster Fahrradstau. Da standen so viele vor mir an der Kreuzung, dass ich eine Grünphase verpasst habe.“ Das gab es früher nur in Peking.

30 Kilometer durch die Stadt – jeden Tag

Wir sitzen im Büro seines Kurierdienstes Rapido auf einem Hinterhof in der Maastrichter Straße – mitten im Belgischen Viertel. Eine der wenigen Oasen, die in einem der hippsten Viertel der Stadt noch nicht durchgentrifiziert sind. Rapido hat in den mehr als 30 Jahren alle überlebt, beschäftigt heute 19 Mitarbeiter, davon sieben Festangestellte und zwölf Minijobber. Heute verbringt Kehr mehr Zeit am Computer bei der Disposition der Fahrten. 30 Kilometer pro Tag fährt der Chef aber immer noch persönlich. Minimum.

Immerhin ein Anfang: Auf dem Habsburgerring sind Radfahrer seit kurzem auf einem neuen breiten Fahrradstreifen unterwegs.

Wie könnte eine Verkehrswende für Köln aussehen? Die erste Antwort überrascht. Kehr ist keiner von denen, die Radfahrer für die besseren Menschen halten und lobt die Stadt für das, was alles schon geschehen ist: „Viele Einbahnstraßen sind für uns inzwischen geöffnet. Da kann man nicht meckern. Früher waren wir die Rambos, die von den Taxifahrern gejagt wurden. Das ist schon viel friedlicher geworden.“

Natürlich habe das alles viel zu lange gedauert und ohne die drohenden Dieselfahrverbote würde Köln wohl weiter auf der Stelle treten, aber jetzt bewege sich doch vergleichsweise viel. „Ich war skeptisch, als die Stadt entschieden hat, die Radwege auf den Ringen auf die Straße zu verlegen. Wegen des ganzen Verkehrs, aber anscheinend hat der dadurch auch abgenommen. Das hat mich schon etwas überrascht.“

Kölner Stadtverwaltung sollte experimentierfreudiger werden

Dennoch sei die Stadtverwaltung in Köln einfach zu wenig experimentierfreudig. „Ich plädiere seit Jahren dafür, die Ringe abends ganz zu schließen“, sagt Kehr. Es müsse Schluss sein mit den Auto-Posern, „diesen komischen Typen, die unbedingt ihre tiefergelegten Autos zeigen müssen. Die braucht doch kein Mensch hier“. Auf den Ringen sollten die Menschen wenigstens abends zu Fuß gehen können.

Auch auf der Ehrenstraße hätten Autos nichts verloren und „dann sind wir auch ganz schnell bei der autofreien Innenstadt, was wir ja auch schon seit Jahrzehnten sagen. Das wäre für alle ein Gewinn.“ Auch wenn Kehr kein eigenes Auto besitzt – die radikale Abkehr hält er für unrealistisch. „Ich nutze seit vielen Jahren die Car-Sharing-Angebote und fahre gut damit.“ Das Netz in Köln sei sehr gut ausgebaut. „Wir haben uns in den Ferien sogar ein Auto geliehen und sind damit zu viert nach Kroatien gefahren. Auch das geht und ist allemal umweltfreundlicher als fliegen.“

Radkurier 2

Der Kölner Thomas Kehr (Geschäftsführer von Rapido) ist seit 34 Jahren als Fahrradkurier in Köln unterwegs. 

Kehr findet, man müsse die Verkehrswende nicht immer nur theoretisch betrachten, sondern die autofreie Innenstadt einfach mal ausprobieren, mit freien Zeiten für die Zulieferdienste, mit einer verbesserten digitalen Vernetzung, damit nicht jeder Paketdienst mit eigenen Autos in die Innenstadt fahren müsse. Es gehe zunächst nur um den inneren Ring. Hauptverkehrsachsen wie die Rheinuferstraße könnten frei befahrbar bleiben.

Nicht mit Berlin und Hamburg vergleichen, sondern etwas eigenes schaffen

Die KVB müsse bei den Ampelschaltungen noch mehr bevorzugt werden, in einem dichteren Takt fahren. In einer City ohne Autos sei das durchaus drin. Für die kürzeren Wege müsse es autonom fahrende Kleinbusse geben, die eine Art Shuttle-Funktion übernehmen. „Wir vergleichen Köln doch so oft mit Berlin und Hamburg. Dabei haben wir hier die Chance mit unserer kleinteiligen Innenstadt, so etwas viel leichter auf die Beine zu stellen. Da passiert einfach zu wenig. Die autonomen Kleinbusse werden in Monheim getestet. Warum eigentlich nicht hier?“, fragt Kehr.

Die Stadt müsse mehr Tempo machen, könne nicht länger ignorieren, dass die Zahl der Radfahrer deutlich zugenommen habe und weiter steigen werde. „Mittlerweile ist es doch so, dass es auf den Radwegen immer enger wird. Wir müssen oft auf die Straße ausweichen, auch wenn es dort keinen Radstreifen gibt, weil wir dort besser mitschwimmen können. Aber das macht es natürlich auch viel gefährlicher.“ Überdies seien auch deutlich mehr Lastenräder unterwegs. „Wir haben uns auch eines angeschafft.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Die Corona-Pandemie habe dem Radverkehr einen kräftigen Schub verliehen, aber Kehr ist überzeugt davon, dass spätestens im Herbst und Winter deutlich mehr Autos auf Kölns Straßen unterwegs sein werden: „Viele werden sich schon sagen: In meinem Auto bin ich doch geschützter als in der Bahn.“ Umso dringlicher sei, dass die Politik den Druck erhöhe. Sie müssen den Einfluss der Lobbyisten zurückdrängen. „Es gibt in Köln einfach zu viele einflussreiche Verbände, die auf der Bremse stehen“, sagt Kehr. Allen voran die Industrie- und Handelskammer. „Die wollen das einfach nicht. Deshalb passiert auch nichts.“

Die Verkehrswende komme nicht von allein, sie lasse sich auch nicht verordnen, sondern sei vor allem eine Frage der Alternativen. „Es gibt in Europa so viele Städte, die uns das vorgemacht haben“, sagt Kehr. Kopenhagen, Stockholm, Wien, Amsterdam. „Und die Innenstädte sind nicht daran kaputtgegangen. Im Gegenteil. Es macht viel mehr Spaß, sich dort aufzuhalten.“ Corona habe gezeigt, was möglich sei. Mehr Außengastronomie, auch wenn das auf Kosten von Parkplätzen geht, mehr Freiflächen, um Abstände einzuhalten. „Es geht viel mehr, aber es traut sich keiner. Den Pop-Up-Biergarten auf der Vogelsanger Straße hat die Verwaltung innerhalb von zwei Wochen genehmigt. Da wurde die Straße gesperrt und fertig. Beschwert hat sich keiner.“

Mehr Mut. Er hoffe, dass der neue Stadtrat nach der Kommunalwahl am 13. September die Verkehrswende voranbringt. „Corona hat das Fahrrad angeschoben. Der Klimawandel ist ein weiterer Treiber“, sagt Kehr. Einen Stadtrat für das Stadtrad. Den würde Kehr wählen.