AboAbonnieren

19-Jähriger gestorbenEltern suchen Schuldigen nach Tod in Kölner Polizeizelle

Lesezeit 6 Minuten
Laurents Mutter mit Hund Emmy am Grab ihres Sohnes Laurent auf dem Friedhof.

Laurents Mutter mit Hund Emmy am Grab ihres Sohnes Laurent.

Ein junger Mann nimmt Drogen und kommt ins Polizeigewahrsam. Am nächsten Morgen ist er tot. Die Eltern suchen nun einen Schuldigen.

Als er an diesem verhängnisvollen Freitagabend im Dezember raus in die Kälte geht, gibt Laurent seiner Mutter noch ein Versprechen. „Pass auf dich auf, mein Junge“, sagt sie ihm, als ahnte sie, dass es diesmal nicht gut ausgehen würde. „Versprochen, Mama“, antwortet er und fragt noch, ob seine Klamotten so in Ordnung seien. Er trägt Jeans, Pulli und Sneaker und wie immer sein Cappy, um zum Feiern nach Köln zu fahren. „Du siehst toll aus“, sagt sie und gibt ihm einen Luftkuss. Als Laurent die Tür öffnet, ruft sie ihm noch ein „hab dich lieb“ zu. Es sind die letzten Worte, die er von seiner Mutter hört.

Laurent mit Hund Emmy im Alter von 16 Jahren

Laurent mit 16 Jahren

15 Monate später fährt die Mutter mit ihrer Chihuahua-Dame Emmy, die Laurent so liebte, zu seinem Grab nach Bonn-Duisdorf. Eine Marmorplatte, eine Kerze und vier Büschel Heidekraut überwintern hier. Sie und ihr Ehemann wollten kein Geld, keine Entschädigung, kein Mitleid, sagt sie. „Wir wollen Gerechtigkeit für unseren Sohn. Dass derjenige, der ihn in die Arrestzelle gesteckt hat, dafür bestraft wird.“ Dort habe die Polizei ihn allein gelassen, obwohl sie ihn in seinem Zustand niemals hätte einsperren dürfen, sagt sie. „Mit allem, was er an Drogen genommen hat, hätte er ins Krankenhaus gemusst.“

Todesfall nach gefährlichem Drogencocktail in Köln

In Köln ist Laurent in dieser Nacht im Advent 2021 mit einem Freund verabredet. Die beiden werfen ein paar Pillen ein, trinken etwas Bier und Schnaps. Was in Wahrheit ein gefährlicher Cocktail ist, halten die beiden jungen Erwachsenen für den richtigen Mix für die Nacht. Offenbar enthemmt durch die Drogen randalieren die beiden am Eifelplatz herum. Ein Zeuge will gesehen haben, wie Laurent mit einem Messer hantiert. Polizeibeamte bringen die beiden Freunde ins Gewahrsam zum Präsidium in Kalk. Ein Messer finden sie nicht.

Er war naiv. Für sein Alter in der Entwicklung ungefähr zwei Jahre zurück
Laurents Vater über seinen Sohn

Die Geschichte von Laurent und den Drogen beginnt mit 17, kurz bevor die Pandemie hereinbricht. Die Songs, die Laurent mag, die Rapper, denen er zuhört, verherrlichen den Rausch, die Vernebelung das Gift. Irgendwann will er es selbst ausprobieren. „Laurent dachte, er hätte die Sache im Griff“, sagt sein Vater heute, „er war naiv. Für sein Alter in der Entwicklung ungefähr zwei Jahre zurück“. Aus den ersten Joints wird im harten Corona-Lockdown Kokain, dann Tilidin, schließlich recht schnell und regelmäßig „Benzos“, Beruhigungspillen wie Valium, sedierend, angsthemmend. Verschreibungspflichtig, aber illegal schnell und billig im Netz zu bekommen.

Die Gewahrsamszellen des Polizeipräsidiums in Köln-Kalk.

Die Gewahrsamszellen des Polizeipräsidiums in Köln-Kalk.

Alles zur gleichen Zeit kann sich gegenseitig so verstärken, dass es zu lebensbedrohlichen Atemaussetzern kommen kann, wie wenige Sekunden Online-Recherche ergeben. „Wenn Menschen 'Benzos' nehmen, kann es gerade in Verbindung mit Alkohol dazu kommen, dass sie einschlafen und die Substanzen danach weiterwirken“, sagt Henrik Rohner, Oberarzt der Psychiatrie der Uniklinik Bonn. „Dabei wird im schlimmsten Fall das Atemzentrum derart herunterreguliert, dass sie gar nicht mehr atmen und sterben.“

Bei Zweifeln muss Arzt über Ingewahrsamnahme entscheiden

Im Polizeigewahrsamsdienst (PGD) ist an einem Wochenendabend im Dezember 2021 gegen 22 Uhr üblicherweise viel los. Zwar lähmt die Pandemie noch die Feiermeilen, aber so langsam kehrt das Leben in die Stadt zurück – und mit ihm auch aggressive Menschen, die andere oder sich selbst gefährden. Viele von ihnen behaupten, Drogen genommen zu haben, um nicht in die Zelle, sondern bewacht ins Krankenhaus zu kommen. Bei einigen ist es eine Schutzbehauptung. Was Laurent aber sagt, stimmt. Dass er Epileptiker sei, Tilidin und „Benzos“ eingeworfen habe. Die Beamten beschließen, ihn in die Zelle zu schicken, aber alle 15 Minuten nach ihm zu schauen. Die Kontrollen vermerken sie auf einem Bogen. Außerdem ist Laurents Zelle wie alle anderen auch videoüberwacht. Ob dort aber jemand schläft, oder leblos liegt, ist kaum zu erkennen. Zuerst, so geben es die Polizisten zu Protokoll, soll Laurent immer wieder gegen die Zellentür schlagend seine Freilassung gefordert haben. Als sie androhen, ihn mit Handschellen zu fixieren, gibt er Ruhe und schläft ein.

Laut Gewahrsamsvollzugsverordnung NRW muss bei Zweifeln unverzüglich ein Arzt entscheiden, ob jemand in die Zelle oder ins Krankenhaus kommt. Zweifel sind demnach „insbesondere bei Personen angebracht, die stark unter Alkohol-, Medikamenten- oder Drogeneinfluss stehen oder Halluzinationen zeigen“. Die Beamten protokollieren bei der Festnahme, dass Laurent auf sie einen „stark alkoholisierten“ und „verwirrten“ Eindruck mache und „augenscheinlich unter Einfluss von Betäubungsmitteln“ stehe. Laurent habe gesagt, dass er „leichte Halluzinationen“ habe. Ein Atemalkoholtest ergibt 0,6 Promille. Einen Arzt rufen die Beamten nicht.

Köln: Junger Mann wird in Gewahrsamszelle reanimiert

Die Drogen verhageln Laurent in seinen letzten Monaten das Erwachsenwerden. In der Schule war er lange Zeit der Klassenclown, die letzten Monate aber schafft er nicht mehr. Wenn er Pillen eingeworfen hat, wird er immer häufiger aggressiv, hat sich nicht mehr unter Kontrolle. Seine heute anderthalbjährige Tochter muss er nach der Geburt zu Pflegeeltern geben. Laurent aber, sagen seine Eltern, will eigentlich wegkommen von den Drogen, geht mehrmals in die Entzugsklinik, hält manchmal auch tagelang ohne Stoff aus. „Er war nicht der klassische Junkie von der Straße“, sagt seine Mutter. Eines Nachts, ein paar Monate vor seinem Tod, kommt er zu seinen Eltern ins Bett, weint, zittert und sagt nur „Mama, ich habe Angst.“

Er war nicht der klassische Junkie von der Straße
Laurents Mutter

Noch um 2 Uhr nachts soll Laurent im PGD laut Protokoll „lautstark schnarchen“. Als er zehn Minuten später entlassen werden soll, soll Laurent „kreidebleich“ sein und „auch auf Berührung überhaupt keine Reaktionen“ zeigen. Laurent wird reanimiert und im Kalker Krankenhaus ins künstliche Koma versetzt. Die Ärzte dort schätzen, dass sein Hirn zehn Minuten ohne Sauerstoff war. Wenn die Schätzung und die Angaben der Zellenkontrolle stimmen, waren es genau die zehn Minuten zwischen dem letzten Kontrollgang um 2 Uhr und der geplanten Freilassung um 2.10 Uhr.

Hirnschaden wegen Sauerstoffarmut als Todesursache

Die Rechtsmedizin wird später einen Hirnschaden als Todesursache feststellen, ausgelöst durch zu lange Sauerstoffarmut. Aus Neutralitätsgründen beauftragt die Staatsanwaltschaft wie in solchen Fällen üblich die Bonner Polizei mit den Ermittlungen. Die zentrale Frage dürfte sein, ob Laurent mit den Angaben über seinen Drogenkonsum überhaupt in die Zelle hätte gebracht werden dürfen, selbst mit viertelstündlichen Kontrollen. Die Behörden erkennen auch nach mehreren Monaten Ermittlungsarbeit keine Anzeichen auf Fremdverschulden und stellen das Verfahren im August 2022 ein. Es habe sich offenbar um einen „Unglücksfall“ gehandelt, sagt Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn. Ein strafrechtlich relevanter Vorwurf sei „nicht zu begründen“. Aus dem angegebenen Drogenkonsum, dem geringen Grad der Alkoholisierung und dem Erscheinungsbild sei nicht erkennbar gewesen, dass der 19-Jährige womöglich nicht hätte in die Zelle kommen sollen. Die Ermittlungen richteten sich zu keinem Zeitpunkt gegen einen oder mehrere Beamte im PGD.

Es handelte sich offenbar um einen Unglücksfall
Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn

Noch in dieser Nacht im Dezember wird Laurent aus Kalk in die Uniklinik verlegt, wo die Ärzte seinen Hirntod feststellen. Sein Leben hängt nur noch an Maschinen. Zusammen mit Laurents Schwester kommen seine Eltern aus Bonn, um sich von ihm zu verabschieden. „Als ich seine Hand gehalten habe, hat sie leicht gezuckt“, sagt seine Mutter. Drei Tage später stellen die Ärzte die Geräte ab. Es gibt keine Hoffnung mehr. Dass niemand schuld sein soll am Tod ihres Sohnes, können die Eltern nicht ertragen und überlegen nun, wie sie doch noch gegen die beteiligten Polizisten vorgehen können. „Wenn wir normalen Menschen etwas falsch machen, werden wir sofort belangt. Aber die Polizei kommt damit durch“, sagt Laurents Mutter. „Wenn das ihr Sohn gewesen wäre, hätten die ihn dann auch in die Zelle gesteckt?“, fragt sie in Richtung der Beamten.