Bürgermeister Josef Wirges„Ehrenfeld ist kein Aushängeschild mehr“
- Ehrenfelds Bezirksbürgermeister Josef Wirges gilt vielen als „Separatist von Ehrenfeld“. Immer wieder wird er auch mit Heinz Buschkowsky verglichen.
- Dabei gehe es ihm um die Sache, wie er sagt. Bezahlbarer Wohnraum, Integration, Neuordnung der Stadtverwaltung.
- Notfalls will er das auf dem Klageweg einfordern: „Wir müssen ein Exempel statuieren.“
Ehrenfeld – Was soll man so einem Menschen sagen? Dass man von 270 Euro Rente leben kann? Josef Wirges (65), Sozialdemokrat, zuckt mit den Schultern. Auf dem Schreibtisch stapeln sich die Papiere, der Schlips hängt auf halb acht, das Jackett ist zerbeult, der Arbeitstag nach neun Stunden noch nicht zu Ende. „Der hat mir nicht erzählt, im Himmel ist Jahrmarkt. Ich habe die Bescheide alle gesehen. 270 Euro Rente! Da war er schon ein bisschen enttäuscht, dass ich ihm nicht helfen kann.“
Der Stuhl ist noch warm, auf dem der ältere Mann aus Mazedonien in dem festen Glauben gesessen hat, ein Bürgermeister müsse das doch klarziehen können. „Das ist für manche Menschen nicht erklärbar, die aus nichtdeutschen Landen kommen, dass wir hier nicht in Istanbul leben. Wo der Bezirksbürgermeister mal eben was unterschreibt, und dann ist das Ding gegessen.“
So. Erst mal ein Glas Sprudelwasser. So. Das sagt Wirges immer, wenn etwas nicht zu ändern ist. Auch nach 21 Jahren als Bezirksbürgermeister von Ehrenfeld geht ihm ein solches Schicksal nicht am Arsch vorbei. So. Das bringt ihn runter.
Gespräche wie diese hat er schon Hunderte geführt, Erwartungen enttäuschen müssen. Wirges könnte sie abwimmeln. Weil das Ergebnis ja vorher feststeht. Kein Termin frei. Danke. Das kommt für ihn nicht infrage. „Man ist Kümmerer für die Menschen, man möchte helfen, man will bestimmte Strukturen verbessern“, sagt er.
In seinem Büro mit den vergilbten Gardinen und dem abgewetzten Mobiliar spricht das Ehrenfeld vor, das draußen zwischen Hipstern und Veganern unsichtbar ist. Weggentrifiziert. In einem Tempo, das Wirges unterschätzt hat. „Ehrenfeld hat sich gewandelt. Es ist kein Aushängeschild mehr. Wir hatten die Kulturen hier mehr oder weniger gemixt. Jetzt kriegen wir Südstadt-Verhältnisse.“
„8,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter. Hallo! Das ist auch viel Geld.“
So. 640 000 Euro für eine Eigentumswohnung mit Dachgarten in der Hansemannstraße, wo vor zweieinhalb Jahren noch der bulgarische Arbeiterstrich war. Nicht dass Wirges dem hinterhertrauert, aber wenn der „kleine Feuerwehrmann sich hier keine Wohnung mehr leisten kann“, ist das ein Problem Selbst bei öffentlicher Förderung nicht. „8,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter. Hallo! Das ist auch viel Geld.“
Das alles klingt nach einem Genossen, der alten Zeiten hinterhertrauert, mit Arbeiterklasse, qualmenden Schloten und Toilette auf halber Treppe. Von wegen. Wirges war in den 1990er Jahren Vorsitzender des Sanierungsbeirats Ehrenfeld-Ost. Das ist das Gebiet zwischen Innerer Kanalstraße und Ehrenfeldgürtel, begrenzt durch die Subbelrather und die Vogelsanger Straße. „Das kann sich heute kein Mensch mehr vorstellen“, sagt er. „Bei jedem Haus hatte die Stadt ein Vorkaufsrecht. Da haben Menschen mit Migrationshintergrund das Geld zusammengekratzt, ihre Häuser gekauft und modernisiert.“ Und plötzlich setzte der Run der „bildungsnahen Schichten“ auf Ehrenfeld ein. „Die Studenten waren die ersten.“
„Bevor Erdogan nicht verschwunden ist, wird sich hier nichts ändern“
Wirges ist noch lange nicht fertig. Weder mit Ehrenfeld noch mit der SPD. „Ja! Ich mach’s noch mal 2020. Ich kandidiere“, sagt er. Ungefragt. „Weil bestimmte Punkte noch nicht zum Abschluss gekommen sind.“ Ein Wirges hat sich nicht umsonst alle 14 Tage bei der Mahnwache vor die Moschee-Baustelle gestellt, um sie gegen die „braune Soße“ zu verteidigen. Auch wenn „der Anteil unserer türkischen Freunde mit jedem Mal weniger wurde“, und er ist trotz des Erdogan-Desasters stolz auf dieses offenes Bauwerk. „Zum Schluss wäre so ein progressiver Entwurf wie der von Paul Böhm gar nicht mehr möglich gewesen.“
Am Tag der Offenen Moschee – eine Woche nach der Einweihung des Bauwerks durch den türkischen Staatspräsidenten, bei dem Wirges zwischen Wut und Enttäuschung durch sein Viertel hin und hertigerte und Fernsehteams aus aller Welt Interviews geben musste – hat er den Ditib-Funktionären die Leviten gelesen. „Was für ein Glück, dass wir hier auch ein Symbol des Wir-sind-Angekommen-Seins und dieser Offenheit haben. Das sagt jeder“, sagt er. „Aber was nützt mir so ein toller Bau, wenn die Betonköpfe das Sagen haben und abhängig sind von Herrn Erdogan? Bevor der nicht verschwunden ist, wird sich hier nichts ändern.“
So. Das Problem ist nur, dass sich der Wirges damit nicht abfinden will. Das kann er ganz schlecht – eigentlich gar nicht. Und deshalb wird er die Ditib-Funktionäre erneut einladen, an einem neuen Gremium teilzunehmen, das den Moschee-Beirat ersetzen soll. „Wir müssen eine neue Arbeitsebene finden. Ich lade Sie auch herzlich ein, zwei Vertreter zu entsenden“, sagt Wirges. „Das habe ich denen geschrieben. Und nach sechs Wochen eine ausweichende Antwort erhalten. Ich warte ein bisschen, dann schreibe ich noch einmal. Die werden mich nicht los. Definitiv nicht!“
Ehrenfeld hat nicht einmal eine Meldehalle
Es gibt nicht wenige, die Wirges wegen seiner kölsch-jovialen Art für ein schlichtes Gemüt halten. Das haben schon ganz andere geglaubt. Wirges will weitermachen, weil er das dickste Brett noch bohren muss. „Die Bezirke brauchen mehr Gewicht. Das Epizentrum muss Macht abgeben.“
Epizentrum – damit meint er den Stadtrat. „Für die sind wir nur ein Unruhefaktor. Die haben uns Stück für Stück die Bezirksverwaltung zusammengeschossen.“ Bürgeramt heiße das jetzt. Und deren Leiter seien allzu häufig abgeschobene Führungskräfte. „Die Bürgerämter sind Versorgungsanstalten oder Straflager. Mit mir nicht. Ich habe mir meine Dame selbst ausgesucht. Die ist freiwillig gekommen.“
Ehrenfeld habe nicht mal mehr eine Meldehalle oder einen Bezirksordnungsdienst. „Das war und ist eine Respektlosigkeit. Das muss sich ändern. Ein Stadtrat aus Porz kann sich nicht mit der Radwegeplanung an einer Ehrenfelder Kreuzung beschäftigen. Das ist doch irre!“ Köln sei so nicht regierbar. „Ich kämpfe seit Urzeiten für Veränderungen, so sind halt die Machtstrukturen innerhalb der gemeindlichen Organe.“
Wirges hat klare Vorstellungen davon, wie eine Großstadt mit 108.000 Einwohnern wie Ehrenfeld zu führen ist. Mit einem hauptamtlichen Bürgermeister, am besten direkt gewählt. „Vom Volk“, wie er sagt. Und anständig bezahlt. Mit einer Aufwandsentschädigung von knapp 1000 Euro vor Steuern und 70 Euro Fahrtkostenzuschuss sei der Job nicht zu machen. „Das ist ein Witz, eine Missachtung unserer Arbeit.“ So. Wirges hat um einen Termin mit der Kommunalministerin in Düsseldorf gebeten, kämpft um eine Lex Köln.
„Wir sind die zweitgrößte Stadt in der Bundesrepublik. Stadtstaaten wie Berlin und Hamburg zählen nicht, die haben einen Sonderstatus. „Wenn in Ehrenfeld ein Schulumbau ansteht, der 3,5 Millionen Euro kostet, ist das Sache des Bezirks. Das geht so nicht.“ Notfalls werde er den Klageweg beschreiten. „Wir müssen ein Exempel statuieren.“
Dass er bei Parteifreunden als „der verkappte Separatist von Ehrenfeld verrufen ist, ist für mich eine Ehrbezeichnung“. Das gefällt ihm deutlich besser, als mit Heinz Buschkowsky, dem Ex-Bürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln verglichen zu werden. „Ich bin auch gegen Parallelgesellschaften. Wenn es mit Prävention nicht geht, muss man repressiv handeln. Wir müssen uns aber auch fragen, ob wir Fehler gemacht, von Integration geredet, aber Assimilierung gemeint haben.“ Wer in Ehrenfeld lebe, „muss nicht ständig »Kölle alaaf« rufen und »Himmel und Ääd« essen“, sondern sich einbringen unter Wahrung der kulturellen Identität. „Der Buschkowsky hatte seinen Bezirk im Griff. Das habe ich auch. Aber ich bin keiner, der andere abkanzelt.“