Die Genossenschaft Kölner Friedhofsgärtner veranstaltet eine Führung durch die Rechtsmedizin am Melatengürtel.
Rund 3000 Leichen pro JahrLeichengeruch und abgründige Geschichten – So sieht der Alltag im Institut für Rechtsmedizin aus
Es sind harte Bilder, die Institutsleiter Markus Rothschild an die Wand wirft. Eine Frau hat sich Schnittverletzungen an Bauch und Brust zugefügt, ein Kleinkind wurde am Rücken malträtiert, der Hals eines Toten verrät, dass der Mann stranguliert wurde. Fälle wie diese gehören zum Alltag im Institut für Rechtsmedizin an der Uniklinik Köln. In einem Waschbetonbau aus den 1970-er Jahren gehen Experten Todesumständen oder außergewöhnlichen Verletzungen auf den Grund.
Rund 3000 Leichen pro Jahr aus Regierungsbezirk Köln und Aachen
Trotz Leichengeruchs und abgründiger Geschichten: Wenn die Genossenschaft Kölner Friedhofsgärtner zur Führung durch die Räume der Rechtsmedizin einlädt, ist die Nachfrage regelmäßig größer als das Platzangebot. In diesem Jahr waren es 50 Besucher, die sich im Sektionssaal, im Kühlzellenbereich oder in der Leichenannahme umschauen durften. „Faszinierend und unheimlich zugleich“, beschrieb Teilnehmerin Samira Ellmann ihren Eindruck.
Das Institut ist für Lehre, Forschung und forensische Dienstleistungen zuständig. Die Ermittlung von Todesursachen im Auftrag von Polizei oder Staatsanwaltschaft ist ein wichtiger Teil der Arbeit. Pro Jahr werden rund 3000 Leichen aus den Regierungsbezirken Köln und Aachen in das Gebäude am Melatengürtel direkt neben dem Melatenfriedhof gebracht, etwa 1000 davon werden obduziert. Ob ein verstorbener Mensch in die Rechtsmedizin kommt oder nicht, hängt vom ersten Arzt ab, der den Toten zu Gesicht bekommt. „Wenn der Arzt einen natürlichen Tod attestiert, bleibt der Todesfall Privatangelegenheit“, so Rothschild. Sobald „ungeklärt“ oder „nicht natürlich“ auf dem Totenschein angekreuzt wird, kommt die Polizei ins Spiel, die ein Todesermittlungsverfahren einleitet: „Das ist ein normaler Ablauf, der pro Tag Hunderte von Malen in Deutschland vorkommt.“
Gearbeitet wird nach festgelegten Schemata. „Wir öffnen immer Kopf, Brust und Bauchhöhle“, erklärt der Institutsdirektor etwa die innere Beschau einer Leiche. Zur Sicherheit würden Blut-, Urin- und Leberproben entnommen und aufbewahrt: „Weil wir nie wissen, in welche Richtung ein Fall geht.“ Äußere etwa ein Angehöriger erst später einen Mordverdacht, könne die Staatsanwaltschaft auch im Nachhinein Untersuchungen beauftragen.
Eines stellt Markus Rothschild klar: Todeszeitpunkte könnten in der Realität nicht so exakt eingegrenzt werden wie in vielen TV-Krimis. In günstigen Fällen sei dies nur auf wenige Stunden genau möglich. Ein Parameter dazu sei die elektrische Erregbarkeit der Muskulatur: „Das geht nur in den ersten vier Stunden nach dem Tod.“
Drogenfunde und Haarproben werden analysiert
Die Bandbreite der Dienstleistungen ist groß. Zur Abteilung Forensische Morphologie kommen die Forensische Molekulargenetik und die Forensische Toxikologie. Drogenfunde und Haarproben werden analysiert und genetische Fingerabdrücke erstellt, um etwa verwandtschaftliche Beziehungen zu klären. Wer sich selbst verletzt, um die Versicherung zu betrügen oder eine Straftat vorzutäuschen, kann von den Experten ebenso überführt werden wie Autofahrer, die leugnen, am Steuer gesessen zu haben, wenn sie in eine Radarfalle geraten sind. Fotovergleiche, bei denen Körpermaße vermessen werden, lassen hier Rückschlüsse zu.
Auch alkoholisierte Autofahrer müssen sich warm anziehen, wenn sie sich etwa nach einem Verkehrsunfall vom Ort des Geschehens entfernt haben. Werden sie später aufgegriffen, sind die Rechtsmediziner nicht nur in der Lage festzustellen, wie viel konsumiert wurde, sondern auch wann und welche Getränke.
Seit fünf Jahren können sich Kinderärzte an das Institut mit Befunden wenden
Seit fünf Jahren können sich Kinderärzte an das Institut mit Befunden wenden, die auf Misshandlungen schließen lassen. Das „Kompetenzzentrum Kinderschutz im Gesundheitswesen“ bietet Beratung bei der Diagnostik an und hilft beim weiteren Vorgehen. Die Vielzahl der Fälle „lässt uns erahnen, welche Dunkelziffer es früher gegeben haben muss“, so Markus Rothschild.
Viel zu tun haben die Experten auch mit Knochenteilen, die bei Grabungen gefunden werden. In Köln sind es zwar oft Überreste aus fernen Jahrhunderten, „aber es könnte ja sein, dass jemand vor fünf Jahren Bestattungskosten sparen wollte“, so Rothschild. Zunächst werde dann das Alter bestimmt. Haben die Gebeine schon Jahrzehnte gelegen, wird die Baustelle wieder freigegeben. „Es sei denn, es werden Mordmerkmale gefunden“, so Rothschild: „Das kommt aber selten vor.“
Schon seit Jahren arbeiten die Genossenschaft Kölner Friedhofsgärtner und die Rechtsmedizin zusammen. Die Friedhofsgärtner pflegen auf dem Melatenfriedhof ein Grab, in dem eingeäscherte Organ- und Gewebeteile aus der Rechtsmedizin beigesetzt werden, wenn sie als Beweismittel nicht mehr gebraucht werden. Im Gegenzug finden die Führungen statt. Bei der diesjährigen Hausbesichtigung bekamen die Teilnehmer blitzblanke Präparationstische, Kühlzellen für Leichen und einen Computertomographen zu sehen, der den immer schwerer werdenden Menschen kaum noch gewachsen ist.