„Die Menschheit fehlt“Folgen der Corona-Krise treffen Alleinerziehende besonders hart
- Was für alle Familien in der Corona-Zeit schwierig ist, wird für Alleinerziehende zur besonderen Zerreißprobe.
- Spielplätze und Kitas sind geschlossen, Großeltern besuchen ist gefährlich – Für viele Mütter gibt es aktuell keine Auszeiten.
- Wir haben mit fünf Betroffenen gesprochen, die von ihrem derzeitigen Alltag erzählen.
Köln – Spielplätze und Kitas sind geschlossen, Sport in Vereinen nicht möglich, Großeltern besuchen gefährlich, Kindergeburtstage feiern ausgeschlossen, Einkaufen mit Kindern unerwünscht, wie es mit der Schule weitergeht für die meisten Klassen unklar.
Was für alle Familien in der Corona-Zeit schwierig ist, wird für Alleinerziehende zur besonderen Zerreißprobe. Weil die Kinder fast immer zu Hause sind, es keine Auszeiten gibt, die Mutter mehr einkaufen muss, Angst vor der nächsten Stromrechnung hat, keine freien Jobs mehr machen kann und sich sorgt, was das Distanz- und Vermummungsgebot mit den Kindern macht. Kölner Alleinerziehende berichten aus ihrem derzeitigen Alltag.
„Das Schwierigste ist die Distanz“
Jana May (35) mit Tochter Mila (5): Ich lebe gerade in einer Mutter-Kind-Blase. Das ist schön, weil wir intensive Gespräche führen und uns sehr nahe sind: Gestern hat mir Mila gesagt, dass ihr „die Menschheit fehlt“, wir sprechen auch über Leben und Tod. Das Fehlen der Begegnungen, die Regel der Distanz, macht mir auch Sorgen: Was macht das mit Kindern, dass sie jetzt ständig aufpassen sollen, sich nicht nahe zu kommen? Obwohl das doch natürlich und wichtig ist, um Vertrauen zu gewinnen?
Mila möchte sich nicht mehr mit ihrer Lieblingstante treffen, weil das nur auf Distanz ginge. Wenn wir zusammen einkaufen und vor dem Laden steht „Kaufen Sie bitte allein ein“, dann fühlt man sich seltsam. Meine Tochter spielt gern mit dem Nachbarjungen, sie ist da immer rüber gelaufen, jetzt fragt sie: Darf ich draußen mit ihm spielen? Ohne anfassen? Und dann die Hygiene: Dreck, das war für mich immer gut. Mit Viren und Bakterien in Kontakt kommen: wichtig, um das Immunsystem zu stärken. Jetzt sollen die Kinder klinisch sauber aufwachsen.
Jobmäßig wollte ich mich gerade neu orientieren: Mit meinem Mann haben wir einige Jahre in Chile gelebt, hatten dort ein Restaurant. Ich habe Kunstgeschichte studiert und immer alle möglichen Jobs gemacht: Von Spanisch-Deutsch-Übersetzung über Kellnern bis zu Hochzeitstorten backen und Illustrationen für Künstler und Kinderbücher. Ohne Kita könnte ich nur nachts arbeiten. Das ist schwierig gerade. Das Schwierigste aber ist die Distanz, die fehlenden Begegnungen – und die Unsicherheit, was das mit den Kindern macht.
„Ich habe Angst, den Verstand zu verlieren“
Fatimah (46) mit Joshi (14) und Ricarda (13) (Namen geändert): Ich habe im Moment ein bisschen Angst, den Verstand zu verlieren. Die Kinder haben nichts und dürfen nichts – dabei sind sie in einem Alter voller Kraft und Ausdauer. Mein Sohn spielt sonst fünfmal pro Woche Fußball, er möchte Profi werden, meine Tochter ist auch sehr aktiv. Ich kann ihnen bei den Schulaufgaben wenig helfen, weil ich selbst eine schlechtere Schulbildung habe als sie. Ich bin mit Anfang 20 aus einem afrikanischen Land nach Deutschland geflohen, weil ich als Kindersoldatin arbeiten musste. Meine Kinder sollen alles erreichen hier – und ich fühle mich gerade hilflos.
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Sorge bereitet mir noch mehr die Situation in meiner Heimat Somalia: Dort lebt ein Teil meiner Familie auf sehr engem Raum zusammen und darf nicht raus. Meine Mutter hat große Angst vor Corona – wenn das Virus dort ausbricht, gibt es eine richtige Katastrophe. Ich hoffe, dass wir aus der Krise lernen, dass alle Menschen gleich sind. Dass es nichts bringt, wenn die einen viel Geld haben und die anderen nichts. Dass wir zusammenhalten müssen. Wir müssen etwas ändern: Das Wichtigste im Leben sollte es sein, ein guter Mensch zu sein und für andere da zu sein. Ich möchte meinen Namen nicht öffentlich machen, weil ich nicht will, dass die Leute über mich reden.
„Ich bin froh über jeden Tag, den wir zusammen schaffen“
Mareike Goldbach (36) mit den Töchtern Celine (13), Ashley (9) und Rachel (9): Es ist extrem hart. Allein die Schule zu Hause. Die eine kriegt Hausaufgaben per Mail, die andere per Whatsapp, bei der dritten hole ich sie ab. Eines meiner Kinder hat ADHS. Dreimal pro Woche gibt es eine Videokonferenz mit der Schulbegleiterin.
Wir beginnen um 8 Uhr mit den Hausaufgaben, zweieinhalb bis drei Stunden sollen sie jeden Tag machen. Vor allem die Große muss ich antreiben manchmal. Bis Corona kam, haben meine Kinder nie davon gesprochen, dass sie die Schule vermissen. Jetzt sagen sie das täglich.
Ich kann nicht das auffangen, was normalerweise die Lehrer machen. Vielleicht sollte man die Sommerferien kürzen. Man wird ja eh kaum was machen können. Ich selbst arbeite eigentlich für 21 Stunden in der Mensa der Schule. Jetzt bin ich in Kurzarbeit. Finanziell habe ich zum Glück bislang keinen Nachteil. Wenn das noch käme? Keine Ahnung. Ich bin froh über jeden Tag, den wir zusammen schaffen.
„Es gibt keine Ablenkung – und keine richtige Aussicht“
Patricia Kreuels mit Sohn Vito (6) und Tochter Alessia (10): Mein Sohn hat Asthma, meine Tochter eine Herzkrankheit. Alessia soll nächste Woche wieder in die Schule, Alessia ist ein schlaues Mädchen, im Sommer soll sie aufs Gymnasium. Wegen ihrer Erkrankung stelle ich einen Antrag, dass sie noch nicht wieder in die Schule geht – das würde mich verrückt machen. Wobei mich die Situation auch jetzt verrückt macht: Allein die Hausaufgabenbetreuung. Ich weiß jetzt, dass Lehrer einen harten Job machen. Vito ist Fußballer, Alessia geht Tanzen – beides können sie im Moment nicht. Sie sind nicht ausgelastet und haben keine Lust, jeden Tag nur in den Park zu gehen, mit dem Rad zu fahren oder Rollschuh zu laufen.
Für mich ist es anstrengend, keine Stunde am Tag für mich zu haben. Das belastet, macht Stress – aber das erzählen meine Freundinnen, die mit ihrem Mann zusammen sind, auch … Meine Kinder können ihren Geburtstag nicht feiern, ich kann keine Freunde treffen. Es gibt keine Ablenkung – und keine richtige Aussicht. Aber es geht natürlich darum, bestmöglich für die Kinder da zu sein.
Was mir Sorge bereitet, sind die Kosten: Die Kinder essen zu Hause mehr, ich wasche mehr, wir verbrauchen mehr Strom, weil wir immer in der Wohnung sind. Ich frage mich oft, ob das Geld bis zum Ende des Monats reicht und muss noch sparsamer sein als sonst. Ich wünsche jedem, Kindern, Eltern und Alten, dass sie die Kraft haben, diese Zeit durchzustehen. Dafür bete ich zum lieben Herrn.
„Hoffentlich machen die Spielplätze bald wieder auf“
Nicole Minwegen (34) mit Gabriel (11), Dilara (8) und Deniz (2): Man funktioniert die ganze Zeit, weil man funktionieren muss, stehenbleiben, setzen, das geht eigentlich erst, wenn die Kinder abends im Bett sind. Eins meiner Kinder hat ADHS, es ist jetzt besonders unausgelastet – Wald und Wildpark reichen nicht.
Wir basteln und backen sehr viel – das merke ich auch am Portemonnaie. Ich bin sehr froh, dass Pfarrer Meurer uns einmal pro Woche eine Kleinigkeit schickt: Stifte, Süßigkeiten oder ein Spiel.
Der Große kommt im Sommer in die Fünfte, deswegen geht er jetzt wieder zur Schule – ich bringe ihn, weil er den Weg noch nicht allein schafft, zusammen mit den beiden anderen. Ich denke lieber nicht daran, wie das in den kommenden Monaten weitergehen soll: Die Freibäder werden wahrscheinlich geschlossen bleiben, die Ferienfreizeit Höviland, auf die sich meine Kinder das ganze Jahr freuen, fällt wohl auch aus. Hoffentlich machen zumindest die Spielplätze bald wieder auf.