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Häftlinge arbeiten in GefängnissenGrill und Kickertisch sind „made in jail“

Lesezeit 4 Minuten

Eine Gefangene in der Werkstatt im Klingelpütz: In der „Arbeitstherapeutischen Maßnahme“ stellen die weiblichen Insassen vor allem Dekoartikel her.

Köln – Ein echter „Bösewichtel“ aus dem Kölner Klingelpütz kostet drei Euro und ist so begehrt, dass er beim jährlichen „Tag der offenen Tür“ im Gefängnis nach kurzer Zeit ausverkauft ist. Weibliche Gefangene basteln die kleinen Holzfigürchen mit den Sturmhauben aus schwarzer Wolle in der Gefängniswerkstatt.

Die sogenannte Arbeitstherapeutische Maßnahme sei eine Win-Win-Situation, berichtet Stefanie Wolff, Justizbedienstete und Betriebsleiterin in der Werkstatt: „Die Kunden nehmen ein Stück Knast mit nach Hause, für viele hat das einen gewissen Reiz.“ Und für die Gefangenen ist die Handarbeit Abwechslung und Therapie zugleich, fördert die Konzentration und bringt ein gewisses Maß an Struktur in den eintönigen Knastalltag.

Für erwachsene Häftlinge herrscht eine Arbeitspflicht

Nebenbei verdienen die Insassen in der Arbeitstherapie etwa 50 bis 60 Euro pro Monat. Vier Siebtel müssen angespart werden für die Zeit nach der Haftentlassung, vom Rest können die Häftlinge hinter Gittern einkaufen, etwa Tabak, Kaffee oder Cola.

Schwenkgrill aus der JVA Kleve für 293,90 Euro.

Grundsätzlich herrscht für erwachsene Häftlinge Arbeitspflicht. Wer sich als zuverlässig und leistungsstark erweist, kann zum Beispiel in der Holzwerkstatt eingesetzt werden, in der Wäscherei, als Friseur, Fräser oder Koch. In der Arbeitstherapie dagegen landen meist Gefangene, die wegen psychischer oder körperlicher Probleme wenig belastbar sind, für die es mitunter schon ein Erfolg sein kann, wenn sie morgens pünktlich an der Werkbank sitzen.

Turnierkicker aus der JVA Duisburg-Hambron für 398 Euro.

Eine von ihnen ist Vera Schulte (Name geändert), 39 Jahre alt, mehrfach verurteilt wegen Drogengeschäften. Gewissermaßen Stammgast im Klingelpütz. Die gebürtige Kölnerin gehört zu den geschicktesten und kreativsten Frauen in der Arbeitstherapie, lobt Betriebsleiterin Wolff – und scherzt: „In ein paar Wochen wird sie leider entlassen. Wir überlegen fieberhaft, wie wir sie irgendwie hierbehalten können.“

Lichterbogen der Stadt Köln aus der JVA Köln für 35 Euro.

Vera Schultes Spezialität sind Weihnachtskrippen, gefertigt aus Holz, Stein und Ton. Tagelang sitzt die 39-Jährige an einem Exemplar. Es wird für 45 Euro verkauft und wäre vermutlich ein Renner im „Knastladen“, dem Internetshop, in dem Produkte aus Nordrhein-Westfalens Gefängnissen angeboten werden (siehe Infobox). Arbeiten aus Holz gehören dort beständig zu den Bestsellern.

Sandale „Ich steh auf NRW“ aus der JVA Castrop-Rauxel für 15 Euro.

Aber gerade weil Artikel wie die Krippe oder die „Bösewichtel“ wohl Verkaufsschlager wären, werden sie über das Internet oft gar nicht erst angeboten, sondern nur intern an Bedienstete verkauft; auf der jährlichen Messe Creativa in Dortmund oder eben an die Besucher beim Tag der offenen Tür. „Wir machen vor allem in der Arbeitstherapie ganz bewusst keine Massenproduktion, weil wir die Gefangenen nicht überfordern wollen“, erklärt Hubertus Assion, stellvertretender Werkdienstleiter der JVA Köln.

Der Kickertisch kann erst nach mehreren Wochen geliefert werden

Und so muss der Kunde bei Produkten von „Knastladen.de“ mitunter mehrwöchige Lieferzeiten in Kauf nehmen. Manche Artikel werden nur auf Bestellung gefertigt – der Turnierkickertisch aus der JVA Duisburg-Hamborn etwa oder der „Schaukelelefant Fridolin“ aus Willich. Andere Waren wie das Brettspiel „Ohne Bewährung“ aus Moers-Kapellen oder die NRW-Sandalen aus Castrop-Rauxel sind sofort lieferbar.

Jeanstasche aus der JVA Köln für 25 Euro.

Die tägliche Beschäftigung in der Werkstatt, der Austausch mit anderen Gefangenen und der Stolz, „wenn Frau Wolff von der Creativa zurückkommt und uns sagt, dass sie alles verkauft hat“ – all das steigere auch ihr Selbstbewusstsein, sagt die Kölner Gefangene Vera Schulte. „Die Arbeitstherapie ist für mich lachen, weinen, seine Ruhe haben, Spaß haben und Sorgen loswerden – alles in einem.“

Herrenschuh „Dennis“ aus der JVA Remscheid für 43 Euro.

Auch in den Online-Knastshop hat Schulte es schon geschafft. Die 39-Jährige hat zwei eigene Geschichten zu einem Märchenbuch für Kinder beigetragen, das weibliche Gefangene im Rahmen ihres Computerkurses geschrieben haben: „Das Mädchen, das immer lächelte“ und „Tom, der kleine Grashüpfer“. Das Buch kostet 6,50 Euro und wird innerhalb von zwei Wochen geliefert. Schreiben, sagt Schulte, ihrer Fantasie freien Lauf lassen, das entspanne sie. Ein Gefühl, das im Gefängnis sonst eher die Ausnahme sein dürfte.

Mehr als 1000 Produkte aus NRW-Knästen verkauft das Land im Internet

Ob Schwenkgrill, Kinderspielzeug oder selbst geschnitztes Vogelhäuschen – im Internet auf www.knastladen.de präsentieren 28 der 36 Justizvollzugsanstalten in NRW Produkte, die in den Anstalten hergestellt werden. Das Sortiment umfasst mehr als 1000 Artikel aus völlig unterschiedlichen Bereichen.

Gesellschaftsspiel „Ohne Bewährung“ aus der JVA Moers-Kapellen für 32,50 Euro.

Mit dem Verkauf über „Knastladen.de“ werde die Arbeit der Gefangenen im Justizvollzug sichtbar, wirbt das Justizministerium NRW. Der Online-Shop leiste damit „einen wichtigen Beitrag zur Resozialisierung von Gefangenen“. Die Arbeit der Gefangenen stelle dabei keinen Teil der Strafe dar. Der Insasse solle vielmehr durch schulische und berufliche Ausbildung oder durch einen berufsnahen Arbeitseinsatz in die Lage versetzt werden, nach seiner Entlassung seinen eigenen Lebensunterhalt zu sichern. Mit der Arbeit hinter Gittern können sich die Gefangenen zwischen 9,41 und 15,69 Euro pro Arbeitstag verdienen.

Häkelmütze azs der JVA Düsseldorf für 18 Euro.

Im Vorjahr hat das Land etwa 1,6 Millionen Euro über den Online-Shop eingenommen. Das ist ungefähr so viel, wie das Land für die Versorgung und Unterbringung aller etwa 18000 Gefangenen in NRW aufwenden muss – pro Tag wohlgemerkt. Das Portal knastladen.de registrierte knapp 500 000 Besuche mit insgesamt mehr als 70 Millionen Zugriffen und hat 48 000 registrierte Kunden.

Schaukelelefant „Fridolin“ aus der JVA Willich I für 82 Euro.

Eine Halskette in den Landesfarben von NRW, die in der JVA Hamm (Stück für 20 Euro) gefertigt wird, hat Ex-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 2015 erstmals beim Empfang für den belgischen König Philippe in der Staatskanzlei getragen. Der Schreibtisch im Büro von Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) wurde in der JVA Münster geschreinert.