Gerhart Baum zu Kölner Edelweißpiraten„Es wurde verdrängt, was geschehen war“
Köln-Ehrenfeld – Am 10. November 1944 hängte die Gestapo in Ehrenfeld dreizehn Widerständler, sechs davon waren zwischen 16 und 18 Jahre alt. Die Ermordung der Kölner Edelweißpiraten blieb noch jahrzehntelang ein Politikum, auch deswegen, weil die Stadt sich weigerte, an die Hinterbliebenen Wiedergutmachung zu leisten. Sie pochte mit Hinweis auf die Gestapoakten darauf, dass es sich bei der Ehrenfelder Gruppe um Kriminelle gehandelt habe. 1984 wurden drei von ihnen, Jean Jülich, Wolfgang Schwarz und Barthel Schink, in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt – während ihnen in Köln weiterhin die Anerkennung als Widerständler gegen das Nazi-Regime versagt blieb.
Der Sülzer Journalist Peter Finkelgruen recherchierte seit Anfang der 80er-Jahre zu dem Thema und hat ein Buch mit dem Titel „Soweit er Jude war…“ darüber geschrieben. Das Manuskript schlummerte lange in seiner Schublade. Vor einem Jahr ist es erschienen. Der frühere Bundesinnenminister und Südstädter Gerhard Baum, hat zwei Vorworte dazu verfasst. Anlässlich des gerade stattfindenden Edelweißpiratenfestivals haben wir mit ihm über das Buch, das Thema Kölner Edelweißpiraten und seine Bedeutung gesprochen.
Was verbindet Sie mit dem Thema Kölner Edelweißpiraten?
Zum einen eine jahrzehntelange Freundschaft zu dem Autor Peter Finkelgruen und das Wissen um das Schicksal seiner Familie als Juden unter der Nazidiktatur, zum anderen mein Zorn darüber, wie wir nach dem Krieg mit der Nazibarbarei umgegangen sind. Das Schicksal der Edelweißpiraten ist ein Musterbeispiel dafür, dass Naziopfer nicht rehabilitiert wurden. Viele Täter waren wieder in Amt und Würden und wehrten sich gegen eine Erinnerungskultur, wie sie im Lauf der Zeit dann doch entwickelt wurde.
Wie erklären Sie sich, dass es so lange gedauert hat, bis man die Kölner Edelweißpiraten als solche anerkannt hat?
Das war diese Schlussstrich-Mentalität. Diese Haltung: Wir wollen davon nichts mehr hören, wir haben nichts gewusst, wir wollen nur in die Zukunft blicken. Die gab es auch in Köln – es wurde einfach verdrängt, was geschehen war. Es wurde wieder Karneval gefeiert, aber niemand wollte an den widerlichen Antisemitismus im Rosenmontagszug erinnert werden. Und so nahm man auch lange hin, dass diese jungen Menschen nicht mit ihren politischen Motiven anerkannt, sondern als Kleinkriminelle abgestempelt und einfach ermordet wurden. Es ist Finkelgruens Verdienst, für ihre Rehabilitierung gekämpft zu haben.
Gerhart Baum, Innenminister A.D.
Gerhart Rudolf Baum ist am 28. Oktober 1932 in Dresden geboren. Nach der Bombardierung Dresdens in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 floh seine Mutter mit ihm und seinen sechsjährigen Zwillingsgeschwistern zunächst an den Tegernsee, wo er das Gymnasium besuchte. 1950 zogen sie nach Köln um. Der Vater starb in sowjetischer Gefangenschaft. Nach dem Abitur studierte er Rechtswissenschaften in Köln und absolvierte das erste und zweite Staatsexamen. Seit 1954 ist er Mitglied der FDP. Baum gehört dem von ihm gegründetem linksliberalen Freiburger Kreis an. Im Juni 1978 wurde er Bundesinnenminister. Seit 1994 arbeitet er wieder als Rechtsanwalt.
Das Schweigen der Nachkriegszeit war also insgesamt für Sie ein wichtiges Thema?
Das war eine Motivation für mich, politisch tätig zu werden. Wir wollten am Aufbau einer Demokratie mitwirken. Es herrschte eine bleierne Stimmung. Wir Jüngere wollten sie aufbrechen. So haben wir einmal ein Kölner Kino gemietet, um einen Film über KZ-Gräuel zu zeigen. Wie lange hat es gedauert, bis das NS-Dokumentationszentrum gegründet wurde?
Ist Widerstand in der heutigen Welt denn noch ein wichtiges Thema?
Ja, in vielen Staaten-weltweit. Das ist auch das Ziel des jährlichen Gedenkens an die Edelweißpiraten , nämlich zu Widerstand gegen Freiheitsgefährdungen zu motivieren – auch in einer Demokratie ist er notwendig.
Wie bedroht ist denn die Demokratie heute?
Die größte Gefahr ist natürlich der Rechtsextremismus, der in die Mittelschicht eingesickert ist. Da gibt es Minderheitenverachtung, Systemverachtung der Demokratie, religiöse Intoleranz, Antisemitismus, eine nostalgische Erinnerung an die Nazizeit, völkisches Denken, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus. Der sichtbare Ausdruck ist die AfD, aber es gibt auch einen unsichtbaren Rechtsextremismus von Leuten, die nicht auf die Straße gehen, aber so denken. Und deshalb sage ich, das ist ein Hauch von Weimar, wo das Bürgertum versagt hat.
Hat sich das Bürgertum in der Weimarer Republik verführen lassen?
Ja, im Grunde ist sie nicht an Extremen gescheitert, sondern am mangelnden Widerstand des Bürgertums. Es genügt nicht, eine Demokratie zu leben. Man muss sie auch aktiv verteidigen.
Worauf führen Sie zurück, dass der Rechtsextremismus wieder zugenommen hat?
Ich habe mich nach dem Krieg viel mit dem Verhältnis der Deutschen zur Freiheit beschäftigt. Das war nicht immer eine ungetrübte Freundschaft. Wir hatten nie eine Revolution, jedenfalls keine erfolgreiche. Der Irrationalismus ist ein deutsches Phänomen. Den gab es auch bei der RAF, diesen Weltverbesserungsimpetus. „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.“
Sie beschreiben in Ihrem Vorwort zum Buch, dass sie während der Bedrohung durch die RAF vergebens versucht haben, auf die gleichzeitig existierende rechtsextreme Gewalt aufmerksam zu machen…
Es war damals leicht, eine Zustimmung im Kampf gegen Linksextreme zu bekommen-schon angesichts der RAF-Gewalt. Der Feind stand damals eben links. Das war besonders die Sowjetunion als ein ernstzunehmender Gegner. Man konzentrierte sich auf dessen Abwehr, und zwar so stark, dass die Entspannungsbemühungen der neuen Ostpolitik auf heftigen Widerstand stießen.
War der Kalte Krieg die Ursache?
Die Sicherheitsorgane wussten ganz genau, dass starke rechtsextreme Strömungen da waren, und ich war deren verantwortlicher Minister. Es gab während der RAF-Zeit rechtsextreme Morde, so der bekannte Mord an dem Verleger und Rabbiner Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin. Das Oktoberfest-Attentat 1980 wurde auch von einem Rechtsextremen begangen, mit den meisten Toten, die es je bei einem Attentat in Deutschland gab.
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Glauben Sie denn, dass unsere Demokratie heute ähnlich gefährdet ist wie zu Zeiten der Weimarer Verfassung?
Nein. Ich glaube, dass sie stabil ist. Sie ist aber Herausforderungen ausgesetzt. Blicken wir einmal auf den kommenden Wahlkampf. Der ist bereits verloren. Den Menschen wird ein Wohlgefühl vermittelt. Dabei sind die großen Fragen ungelöst. Die Klimafrage sowieso, aber auch die Frage, wie wir bei einem ständig wachsenden Durchschnittsalter die Renten sichern. Ich kann nicht sehen, dass das ein Wahlkampfthema ist. Wie sichern wird den Arbeitsmarkt? Wie gehen wir mit der Weltpolitikkrise um, mit der Weltfinanzkrise? Was machen wir mit der Situation, die zum Himmel schreit, dem Auseinanderdriften von Arm und Reich in Deutschland? Das ist ein Sprengsatz. Das ist ein Freiheitsthema. Das Grundgefühl im Wahlkampf ist: Es geht so weiter. Tut es aber eben nicht.Das Edelweißpiratenfestival tourt derzeit durch die Stadt: Die nächste Station macht es am Sonntag, 1. August, am Platz an der Eiche in der Südstadt.