AboAbonnieren

Nicht schuldfähigKölner Gericht spricht Angeklagten nach Attacke auf Café-Gäste frei

Lesezeit 2 Minuten
Gericht_RUST (14)

Das Land- und Amtsgericht in Köln

Köln – Die Uhr des Überwachungsvideos zeigt 14.27 Uhr, als ein hochgewachsener Mann am letzten Junisamstag 2018 das Café in Kalk betritt. Das Lokal mit fast ausschließlich kurdischen Stammgästen ist gut besucht, sämtliche Tische sind besetzt. Der neue Gast zieht bereits am Eingang zwei Schlagstöcke aus der Hosentasche, dann schlägt er wahllos zu: erst auf die Köpfe der Menschen, danach auf das Mobiliar. Es fallen Worte wie „Kanaken, scheiß Ausländer“ – ein fremdenfeindlicher Anschlag scheint nicht ausgeschlossen. „Das war der pure Hass“, beschreiben Zeugen die brutale Vorgehensweise. Aber schnell steht auch die Frage einer psychischen Erkrankung des Angeklagten im Raum.

Der Täter wird schließlich überwältigt, die Polizei stellt die Personalien fest – und dann geschieht erst einmal nicht viel. Denn Nikolas T. (30, Name geändert), ein Angeklagter mit russischer und deutscher Staatsbürgerschaft, flieht nach Polen und kehrt erst über ein Jahr später, im September 2019, zur Mutter nach Köln zurück. Wenige Wochen später begibt er sich freiwillig in stationäre psychiatrische Behandlung.: „Was ich getan habe, hat mir Angst gemacht. Ich hatte Sorge, dass es sich wiederholt, ich wollte gesund sein“, sagt T.

Angriff auf Arbeitskollegen

Auf der Anklagebank gibt sich der 30-Jährige verschlossen. Die Ärzte aus dem Alexianer-Krankenhaus hat er nicht von der Schweigepflicht entbunden. So steht das Gericht am Beginn der fast neunstündigen Verhandlung vor der Entscheidung: „Hier ist ein Freispruch ebenso möglich wie eine Haftstrafe, eine Bewährung oder eine dauerhafte Einweisung in die Psychiatrie.“

Wenige Wochen vor dem Anschlag auf das Café hatte T., der nach einem abgebrochenen BWL-Studium als Lagerarbeiter in einer Spedition jobbte, Arbeitskollegen attackiert. Einem Kollegen brach er den Kiefer, einem anderen schlug er drei Zähne aus. Erst als der Chef hinzueilte, hielt T. inne. Die Gutachterin wertete diese Reaktion als Beweis dafür, dass T. zumindest damals teilweise noch schuldfähig war. Bei dem Überfall auf das Café schloss die Sachverständige jedoch eine völlige Schuldunfähigkeit nicht aus. Er sei „emotional sehr belastet“ gewesen, sagt T. in der Verhandlung, die Tat sei „nicht in Ordnung“ gewesen. „Meine Reaktion war nicht angemessen, ich entschuldige mich in aller Form dafür.“

Die Psychiaterin hält eine „paranoide Schizophrenie“ für möglich, daher sei eine völlige Schuldunfähigkeit im zweiten Fall nicht auszuschließen. Für den Anschlag auf das Café wird er deshalb freigesprochen. Für den gewaltsamen Ausbruch gegenüber den Arbeitskollegen erhält er eine einjährige Bewährungsstrafe. Von einer zwangsweisen Unterbringung sieht das Gericht auf Anraten der Gutachterin ab.