Angeblich sprechen Fremde vor Schulen Kinder an – stimmt das? Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ ist den Hinweisen nachgegangen.
Warnung über WhatsappWie Gerüchte über Kindesentführungen Kölner Eltern aufschrecken
Zehn Tage nach dem kurzzeitigen Verschwinden der dreijährigen Helin abends aus einem Park in Köln-Kalk ist der Hintergrund nach wie vor rätselhaft. Das Kind war am nächsten Morgen in der Wohnung eines 70-jährigen Anwohners gefunden worden, offenbar wohlauf und unverletzt. Die Polizei verfolgt Hinweise, wonach der möglicherweise geistig beeinträchtigte Rentner das Mädchen irrtümlich für seine Enkelin gehalten haben könnte.
Auch oder gerade weil hier noch Vieles im Unklaren liegt, rührt dieser Fall auf, er verunsichert. Denn er kommt dem Albtraum aller Eltern nahe: Das eigene Kind wird von einem Fremden angelockt und entführt. Statistisch betrachtet geschieht das extrem selten. Gerüchte darüber verbreiten sich allerdings häufig rasend schnell – so wie zum Beispiel dieser Tage im Kölner Westen.
Köln: Polizei bestätigt einen Vorfall vor einer Schule in Braunsfeld
Über Whatsapp, Signal und Telegram leiten sich Eltern seit zwei Wochen beunruhigende Nachrichten weiter: Angeblich, so warnen sich die Väter und Mütter in verschiedenen Eltern- und Nachbarschafts-Chatgruppen, sprächen Fremde an Kölner Grundschulen Kinder an und forderten sie zum Mitkommen auf.
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Die Aufregung ist groß. Wer sich um Sachlichkeit bemüht und Fakten erfragt, wird teilweise von Anderen belehrt: Nein, das sei kein Fake, schreibt eine Mutter überzeugt, das gehe schon seit Wochen so. Natürlich stimme das, schreibt eine andere, sie kenne Betroffene eines ähnlichen Falls sogar persönlich – ob das richtig ist, bleibt unklar.
Was also ist wirklich dran an den Gerüchten? Um welche Vorfälle geht es? Was ist konkret geschehen? Was sagt die Polizei? Und wie sollten Eltern grundsätzlich mit solchen Hinweisen in Chatgruppen umgehen?
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ ist den Warnmeldungen nachgegangen, hat mit beteiligten Eltern, Schulleitungen, Ermittlern und einer Psychologin gesprochen – und zeichnet anhand dieses typischen Beispiels nach, wie sich eine Mitteilung über einen Vorfall an einer Grundschule in Braunsfeld in kürzester Zeit offenbar dramatisch verselbstständigt hat.
Worum genau geht es in den Eltern-Chatgruppen?
Den Anfang machte eine E-Mail, die die Leiterin der Gemeinschaftsgrundschule Braunsfeld am 30. April an die Eltern ihrer Schule geschrieben hatte. Ein Screenshot dieser Mail tauchte schnell in verschiedenen Chatgruppen auf. Die Schulleiterin schrieb: „Gestern ist ein Kind unserer Schule außerhalb des Schulhofs hinter dem Schultor angesprochen worden. Ihm wurden Süßigkeiten versprochen, wenn es mitkommen würde. Das Kind hat Nein gesagt und ist weggegangen. Wir bitten Sie, auch zu Hause mit Ihren Kindern über das Thema zu reden und diese darin zu stärken, Angebote von Fremden strikt abzulehnen.“
Kurz darauf taucht ein zweites Eltern-Informationsschreiben eines weiteren Grundschulleiters in den Chatgruppen auf, er schreibt: „Zur Zeit hören wir von Nachbarschulen, dass im unmittelbaren Umfeld der Schulen Kinder von Fremden angesprochen wurden. Diese sollten – zum Teil mit Versprechungen von Süßigkeiten – zum Mitkommen überredet werden. Alle angesprochenen Kinder haben gut und richtig reagiert und sich durch ein klares Nein der Situation entzogen.“
Und es gibt den Screenshot der Mail einer Fröbel-Kita an die Eltern dieser Einrichtung: „Zwei Fröbel-Kitas aus dem Kölner Westen (Lövenich und Widdersdorf) berichten, dass dort vor den Grundschulen Kinder angesprochen werden und mit fünf Euro in Autos gelockt werden. Bislang ist noch nichts passiert.“
Was sagen die betreffenden Schul- und die Kitaleitung dazu?
Katharina Huber leitet die GGS Braunsfeld, der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erreicht sie am Telefon. Ja, bestätigt sie, sie habe die Mail über den Vorfall am Schulhof gleich am Tag danach geschrieben. Und sie habe auch schon gehört, dass diese Mail inzwischen in Eltern-Chatgruppen die Runde mache. Dabei habe sie mit ihrem Schreiben Panik ausdrücklich vermeiden wollen, betont Huber. Ihr sei es aber wichtig gewesen, dass die Eltern zeitnah und von ihr persönlich von dem Vorfall erfuhren.
Der habe sich am 29. April ereignet. Eine Schülerin habe berichtet, sie sei am frühen Nachmittag über die hüfthohe Schulmauer von einer Frau angesprochen worden, erzählt Huber. Die Fremde, so schilderte es das Mädchen, habe ihm Süßigkeiten angeboten, wenn es herauskäme und in ein Auto steige. Weiter hinten habe noch eine zweite Frau gewartet. Das Mädchen berichtete, es habe sich sofort entfernt. Noch am selben Tag weihte es seine Eltern ein, die riefen die Polizei und informierten die Schule. Am folgenden Tag sensibilisierten die Lehrkräfte alle Schülerinnen und Schüler für das Thema.
Der Leiter der zweiten Grundschule, in dessen Eltern-Mail gleich von mehreren „Nachbarschulen“, von „Kindern“ und „Fremden“ die Rede ist, war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
Und die Pressestelle der Fröbel-Gruppe antwortet auf die Frage, an welchen Grundschulen denn konkret Kinder angesprochen worden sein sollen und woher die Information mit den fünf Euro und dem Auto stamme: „Erfahren haben unsere Beschäftigten diese Aussagen aus der Elternschaft.“
Was sagt die Polizei?
Ein Sprecher bestätigt die Angaben der Schülerin von der GGS Braunsfeld. Man nehme die Angelegenheit sehr ernst und habe einen Bericht dazu verfasst. Ein konkretes, strafbares Verhalten sei anhand der Schilderungen aber nicht erkennbar, daher sei auch keine Strafanzeige aufgenommen worden. Weitere, ähnliche Vorfälle an oder im Umfeld von Schulen oder Kitas im Kölner Westen seien der Polizei aktuell nicht bekannt. Im Internet gibt die Polizei Handlungsempfehlungen für Eltern sowie Hinweise zum Umgang mit privaten Warnungen in sozialen Medien.
Was sagt die Psychologin?
Die Kölner Psychologin Elisabeth Raffauf äußert Verständnis dafür, „dass Eltern sich sorgen, wenn sie von so etwas hören oder lesen“. Genau deshalb sei es auch nicht hilfreich, solche Meldungen in Chatgruppen zu verbreiten. „Das kriegt schnell etwas Hysterisches und kann Ängste schüren“, sagt Raffauf. Ähnlich wie beim Stille-Post-Spielen. „Es werden Emotionen mit eingebracht. Und plötzlich ist es nicht mehr das Bonbon, sondern fünf Euro und das Kind wird ins Auto gezerrt.“
Raffauf empfiehlt daher, solche Nachrichten nicht in Chatgruppen zu verbreiten, sondern lieber das persönliche Gespräch zu suchen, zum Beispiel bei der Schule anzurufen und sich zu informieren, was genau passiert ist.
Schulleitungen, sagt die Psychologin, befänden sich in der schwierigen Situation, „einerseits die Eltern schnell zu informieren und gleichzeitig diese Dynamik zu verhindern.“ Das aber sei fast nicht zu schaffen – „selbst wenn man das neutral und beschwichtigend formuliert“. In Fällen wie dem beschriebenen sei es wichtig, nur gesicherte Fakten zu transportieren, zu beruhigen und zu betonen, dass nichts Schlimmes passiert sei.
Besser noch als eine Mail, wenngleich kaum zeitnah zu organisieren, sei ein Elternabend, weil dort auch auf Fragen eingegangen werden könne. Grundsätzlich, sagt Raffauf, sei es wichtig, dass Eltern mit ihren Kindern besprechen, wie sie sich verhalten können, wenn Fremde sie ansprechen. „Klar ist, dass Kinder auf so etwas nicht eingehen dürfen und auch weglaufen und zum Beispiel ‘Feuer‘ schreien dürfen.“