„Weil's halt mein Leben ist“Allein unter Männern auf den Dächern von Köln
- Gina Ixkes ist eine von fünf Frauen aus NRW, die im vergangenen Jahr ihren Meister als Dachdeckerin gemacht haben.
- Ihre Eltern waren skeptisch, ihre Großeltern erst Recht. Eine Frau auf dem Dach, das geht doch nicht! Am Ende spendierten Oma und Opa trotzdem ein echtes Dachdecker-Tattoo.
- Wir haben Ixkes begleitet. Sie erzählt, warum sie ihren Job liebt, wie es ist, in einer Männerwelt zu arbeiten – und wie es war, als sie einmal vom Dach stürzte.
Köln – Über den Dächern von Sülz mischt sich der Rauch der Schornsteine mit weißem Zigarettenrauch, pafft in kleinen Wolken hinauf und verschwindet dann im milchig-trüben Morgenhimmel. Gina Ixkes, breiter Stand, braune Augen, blonder Pixie, steht auf dem Flachdach eines Kölner Altbaus an der Sülzburg Straße und raucht. Während ihr Blick über die umliegenden Dächer des Viertels wandert, dreht sich eine Ecke weiter ein Kran hinter den Reihenhäusern um die eigene Achse. Hier oben hat man freie Sicht auf eine Welt zwischen Wachstum und Wolken. Strukturwandel aus der Vogelperspektive.
Ixkes – 26 Jahre alt und Dachdeckermeisterin – steht an der Dachkante, Arbeitshose, grauer Strickpullover, schwarze Zunftweste. Sieben Knöpfe hat die Weste, jeder steht für eine Stunde Arbeit am Tag. Neben ihren Füßen liegt ein roter Ziegel. Das letzte Überbleibsel des alten Dachs. Der Rest ist bereits abgerissen, auch hier soll alles neu gemacht werden. Ein privater Auftrag: Der Hausbesitzer will die Wohnung herrichten, den Dachstuhl dämpfen und das Dach neu decken lassen. Eine klassische komplette Sanierung, sagt Ixkes: „Alt weg, neu drauf.“
Tattoo von den Großeltern geschenkt bekommen
Wo früher die roten Ziegel waren, sollen jetzt Schieferplatten hin. „Die Königsdisziplin der Dachdecker“, sagt Ixkes. Wer das noch könne, sei ein richtiger Handwerker – auch wenn man die Platten heute natürlich nicht mehr freihändig schlage, sondern mit einer Schuppenschablone. Bevor der Schiefer drauf kann, muss noch das Gerüst zusammengezimmert werden. Ixkes nimmt zwei Schraubenköpfe in den Mund, drückt dann mit einer
Bohrmaschine so lange gegen eine dritte Schraube, bis diese im Balken versunken ist. Als sie ihren rechten Ärmel hochkrempelt, kommt auf dem Unterarm ein Tattoo zum Vorschein: Ein Schieferhammer, gekreuzt mit einem Ziegeldeckhammer und einem Zirkel – das Zunftzeichen der Dachdecker. Darunter ein Löwe – ebenfalls Symbol für die Zunft. Warum der Löwe? Löwen seien halt die Könige. Auf sie schaue keiner hinab. Genau wie auf die Dachdecker über der Stadt.
Das Tattoo hat Ixkes von ihren Großeltern bezahlt bekommen. Ein Geschenk zu ihrer abgeschlossenen Dachdecker-Ausbildung. Obwohl sie sich doch sonst so dagegen wehren würden. Gegen Tattoos. Und eigentlich auch gegen die ganze Dachdeckerinnen-Sache. Eine Frau auf der Baustelle? Das gehe doch nicht.
Studium? Abgebrochen.
Ixkes Großeltern hatten andere Pläne für ihre Enkelin. Genau wie ihre Eltern. Ixkes hat es darum nach ihrem Abitur 2012 erst einmal mit einem Studium versucht: „Kommunikations- und Multimediamanagement.“ Sie lacht, als sie das Wort ausspricht und sich dabei verhakt. Dass das Studium nicht das richtige sei, habe sie ziemlich früh gemerkt. Das viele Sitzen habe sie gestört. Nach einem Jahr bewarb sie sich stattdessen für ein Praktikum bei einer Dachdeckerfirma. Den Vorstellungen ihrer Familie zum Trotz. „Weil’s halt mein Leben ist“, sagt sie und zuckt mit den Schultern.
163 Schüler haben laut dem Westdeutschen Handwerkskammertag im vergangenen Jahr ihre Meisterprüfung als Dachdecker bestanden. Fünf davon waren weiblich. 522 Männer und fünf Frauen konnten 2018 ihre Gesellenprüfung abschließen. Von 4310 Dachdecker-Unternehmen in NRW hatten 66 weibliche Inhaber. Der Blick auf die Statistik zeigt: Frauen auf Dächern sind in NRW eine Seltenheit. Für Gina Ixkes ist das verständlich. Baustelle, Dixie-Klos – das ist nicht was für jede. Man brauche eine große Klappe. Anfangs jeden Tag Muskelkater, Müdigkeit rund um die Uhr. „Und dann hast du auf der Berufsschule auch noch so Halbstarke, die immer nur Sprüche klopfen.“
Frauen in Zunfthosen für Alt-Gesellen oft ein Problem
„Schau mal, das ist hier wie in so Action-Filmen.“ Gina Ixkes legt sich auf das Satteldach und rutscht mit dem linken Arm gestreckt ein Stück herunter. Unten wartet Juri Marcenko auf dem Flachdach. Er ist Zimmermann, 36 Jahre alt, blaue Augen, schwarzer Filzhut, Zigarette im Mundwinkel. Zwei Monate sollen Ixkes und Marcenko auf dem Dach in Sülz arbeiten, zusammen mit zwei weiteren Kollegen.
Das Dach hat viele Ecken und Winkel, das kostet Zeit. Während unten ein Kran aufgebaut wird, bereiten sie und Marcenko oben weiße Müllsäcke für den Transport vor. Die Säcke müssen runter, Dämmmaterial soll hoch. Ixkes und Marcenko strecken ihre Arme in die Höhe, lassen ihre Finger kreisen. Anweisungen für den Kranfahrer. Ein paar Versuche, dann passt alles neben den Schornstein.
So wie hier, sagt Ixkes, sei sie noch nie in einem Betrieb aufgenommen worden. Ein oder zwei Kollegen habe man sonst immer dabei, die ein Problem mit Frauen in Zunfthosen hätten. Gerade unter den Alt-Gesellen. „Wenn sie aber dann merken, dass ich das wirklich will, sind sie am Ende doch meine besten Freunde“, sagt Ixkes. Anders sei das bei den jungen Kollegen. Da sei am Anfang immer alles super. Und dann – wenn Ixkes etwas besser könne, als die anderen – plötzlich nichts mehr.
Vom Dach gefallen – „Da wird einem anders“
Vom Dach soll es jetzt in den Dachstuhl gehen. Das Geländer vor der Fassade wackelt bei jedem Schritt, die Löcher im Boden des Gerüsts geben den Blick frei auf das Pflaster der Straße. Ixkes und Marcenko sollen den Dachstuhl mit Holzfaserpaletten dämmen. Dämmen, um Energiewerte zu erreichen und Fördermittel vom Staat zu bekommen, sei mittlerweile einer der wichtigsten Aufträge für Dachdecker, sagt Ixkes. Besonders bei Altbauten sei die Arbeit gefragt. Für Dachdecker eine gute Aussicht. Die Mieten, sagt Ixkes, würden dadurch aber natürlich auch nicht billiger werden.
Mit einer Kreissäge schneidet Ixkes die Dämmpaletten in Streifen. Es wird warm, Ixkes zieht den Pullover aus. Ein zweites Tattoo wird sichtbar. „Opa“ steht auf dem Unterarm. Die Liebe zum Handwerk, sagt sie, die komme von ihm. Auch er sei Dachdecker gewesen. Von klein auf sei sie Leitern hochgeklettert, habe auf Gabelstaplern und mit einem Werkzeugtisch gespielt.
Trotzdem: Ihr Opa habe am allerwenigsten gewollt, dass sie Dachdeckerin werde. „Er wurde ein paar Mal operiert, seine Schulter war kaputt. Und irgendwann kannst du nicht mehr“, sagt Ixkes. Auch sie sei schonmal heruntergefallen. Auf einmal seien die Füße weg gewesen. Da werde einem schon mal kurz anders, sagt Ixkes.
Und Schmerzen habe man natürlich auch. Ixkes hat auch darum im vergangenen Jahr nach der Ausbildung noch den Meister gemacht. Damit sie, wenn sie älter ist, ins Büro kann oder in die Industrie. Marcenko lässt den Hammer fallen. 12 Uhr. Zeit für die Mittagspause.
Mittagspause mit Wurstbrötchen auf einem Schutthaufen
Ixkes sitzt auf einer Holzplatte in der Wohnung unter dem Dachboden, im Schneidersitz auf dem Schutt. Marcenko steht. Ein anderer Kollege hat sich auf einen Schutthaufen gelegt. Es zischt, als er die Dose eines Energy-Drinks aufmacht. Ixkes beißt in ein Wurstbrötchen. „Darf ich mal deinen Hut anziehen, Juri? Ich habe ja keinen.“ Juri Marcenko schüttelt den Kopf. „Sei doch nicht zickig“, sagt ein Kollege. „Vor allem ist der Juri ganz schön schmutzig“, sagt Ixkes und schaut auf die Holzfasern. „Ganz schön versaut.“ Marcenko lacht. „Genau das habe ich vermisst.“
Das mit Gina, sagt Marcenko, das sei richtige Gleichberechtigung. Er freue sich, dass er eine Kollegin habe, die einen Job habe, bei dem man sich schmutzig mache. Oft gehe es bei der Diskussion um Chancengleichheit ja nur um Führungspositionen. Die schönen Jobs im Büro. Marcenko ist das zu einseitig. Er habe ein paar Jahre Biologie studiert, war mit der Bundeswehr in Afghanistan. „So ein Manager-Job, bei dem man hunderttausende Euros verdient, da hätte ich ja auch nichts gegen“, sagt er und legt sich auf den Holzboden.
Tatsächlich, sagt Ixkes, hätten die Kollegen festgestellt, dass sie bei Privatkunden oft mehr Trinkgeld bekomme. Gerade die Kundinnen würden sich freuen, wenn sie dabei wäre. „Manche Frauen fühlen sich von Handwerkern einfach nicht ernst genommen. Die denken dann: Der Dachdecker meint doch, dass ich eh keine Ahnung habe. Die sind dann froh, wenn sie mal mit einer Frau sprechen können“, sagt Ixkes.„Lass mich jetzt mal deinen Hut testen“, sagt Ixkes. Diesmal reicht Marcenko ihr ihn. Sie setzt ihn auf die blonden Haare. „Und?“, fragt sie und schaut zu Marcenko. „Steht dir.“