„Bedarf höher als vor Corona“Hiobsbotschaft für das Kölner Jugendzentrum Anyway
Köln – Das queere Jugendzentrum Anyway protestiert dagegen, dass im Entwurf für den städtischen Haushaltsplan 2023/24 nicht vorgesehen ist, seine Beratungsstelle weiter zu fördern. Dies sei eine „Hiobsbotschaft“.
Motiviert durch das Jugendamt, sei die Stelle Anfang 2020 geschaffen worden, weil der Beratungsbedarf gestiegen sei. Schwerpunkt sei die Beratung von Jugendlichen, bei denen es wie im Fall von Transpersonen um Fragen der geschlechtlichen Identität gehe.
„Die Streichung der Stelle ist aus fachlicher Sicht unbegreiflich“, sagt Jürgen Piger, Leiter des Anyway. Der Bedarf sei „höher als vor Corona.“ Jugendliche mit ihren Nöten würden im Stich gelassen. „Auch in Zeiten der Haushaltskonsolidierung braucht es eine Jugendpolitik, die Minderheiten und ihre Strukturen bedarfsgerecht fördert.“
Anyway übt Kritik an Kölner Politik
Der Wegfall der Stelle widerspreche der „Zusage“ von Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die im September 2020, kurz vor der OB-Wahl, in einem Interview mit Jugendlichen vom Anyway gesagt habe: „Sie können sich darauf verlassen, dass ich keine Strukturen zerschlage, die wir aufgebaut haben und wo der Bedarf wirklich da ist. Und dazu gehört diese Struktur.“ Außerdem beruft sich das Anyway auf den Bündnisvertrag, den die Ratsfraktionen von Grünen, CDU und Volt geschlossen haben und in dem es heißt: „Das bestehende queere Jugendzentrum werden wir stärken.“
Daran knüpft das Motto „Stärken statt streichen“ der Demonstration an, zu dem das Anyway für Dienstag, 6. September, aufgerufen hat. Beginn ist um 19 Uhr auf dem Alter Markt. Überdies hat die Jugendeinrichtung eine Petition gestartet. Der Protest gegen den Wegfall der Beratungsstelle ist das Eine, die Forderung nach einer Stärkung der „Grundstruktur“ das Andere.
Die „unzureichende Grundförderung“ bringe eine ständige Arbeitsüberlastung mit sich, sagt Piger. Zur Sicherung der Arbeit brauche das Anyway über die bisherige Förderung hinaus eine finanzielle Unterstützung für Geschäftsführung und Verwaltung in Höhe von rund 85 000 Euro. Nur so könnten die vielen Aufgaben, deren Zahl stetig gewachsen sei, koordiniert werden. Dazu gehören beispielsweise die Schulaufklärungsarbeit, der Betrieb des neuen Treffs in Mülheim, ein Angebot für Geflüchtete, ein Mentoringprogramm sowie Medien- und Kulturprojekte.
Bestehende Strukturen sollen gesichert werden
Seit 1998 hat sich das hauptamtliche Team von zwei auf 13 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit Stellen von unterschiedlichem Umfang vergrößert. Zuschüsse kommen laut Piger von der Stadt, dem Land und Stiftungen. 2021 habe der Träger des Anyway für die Jugendeinrichtung eine Fördersumme von rund 265.000 Euro erhalten, und im laufenden Jahr werde „mindestens“ der gleiche Betrag gezahlt, teilt die Stadt mit.
Hinzu kämen circa 31.000 Euro für das Schulaufklärungsprojekt „Wir – Wissen ist Respekt“ und 75.000 Euro für die neue Maßnahme „Fachberatung LSBTI“. Die Mittel, zu denen die jährlich 58.000 Euro für die Beratungsstelle gehören, seien im Rahmen eines sogenannten politischen Veränderungsnachweises bewilligt worden. Die Politik habe sie „explizit für die Jahre 2020 und 2021 zugesetzt, nicht jedoch darüber hinaus“. Darüber sei im Jugendhilfeausschuss mit einer Mitteilung frühzeitig informiert worden.
Im November soll der Stadtrat über den Haushaltsplan entscheiden. Zum Entwurf der Verwaltung sagte Lino Hammer, Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, am Montag: „Es ist klar, dass wir als Politik nachsteuern müssen.“ Dabei gelte es, „bestehende Strukturen zu sichern“.Niklas Kienitz, Fraktionsgeschäftsführer der Christdemokraten, bezeichnete die Arbeit des Anyway als „immens wichtig für eine gelebte Vielfalt in unserer Stadt“. Der Haushaltsentwurf befinde sich derzeit in den politischen Beratungen. „Da ist sicherlich noch Spielraum. Wir werden uns dafür einsetzen, dass der Status quo des Anyway beibehalten wird.