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Neuer HöchststandKnapp jedes zehnte Kind an Kölner Schulen hat sonderpädagogischen Förderbedarf

Lesezeit 4 Minuten
Eine Junge im Rollstuhl in einem Klassenzimmer.

An den Kölner Schulen sind Plätze im Gemeinsamen Lernen Mangelware.

Warum Fehlanreize dafür sorgen, dass die Zahlen steigen und die Inklusion in Köln stagniert.

Die Zahl der Kölner Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist im vergangenen Schuljahr auf einen neuen Höchststand gestiegen: Derzeit lernen 8395 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 1 bis 10 entweder als Inklusionskinder im Gemeinsamen Lernen an Regelschulen oder an Kölner Förderschulen. Das ist eine Steigerung um nochmal 166 Kinder gegenüber dem Höchststand im vergangenen Jahr. Damit wird neun Prozent aller Kölner Schülerinnen und Schüler der Primar- bis Mittelstufe sonderpädagogischen Förderbedarf attestiert und damit eine Lernbehinderung.

Dabei ist der Anstieg signifikant: Betrachtet auf die letzten acht Jahre stieg der Anteil der Förderschüler um knapp 50 Prozent. Betrachtet auf die letzten drei Jahre betrug die Steigerung ein Drittel. Eine Entwicklung, die nicht nur in Köln, sondern bundesweit zu beobachten ist. Mit 77 Prozent wird dem weit überwiegenden Teil der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine Lernstörung oder eine Störung der emotionalen und sozialen Entwicklung attestiert.

Falsche Anreize im System erhöhen die Zahl der Kölner Förderschüler

Experten fragen sich, woher dieser signifikante Anstieg bei der Zahl der Förderschüler kommt. Ein Ansatz ist, dass immer mehr Kinder angesichts multipler Krisen und schwieriger sozialer Familienbedingungen den Lernanforderungen nicht mehr gewachsen sind. Zumal es eine klare Korrelation gibt zwischen Armut und Lern- und Entwicklungsbeeinträchtigungen.

Eine weitere zentrale Ursache wird aber auch in einem falschen Anreizsystem gesehen: Wenn Schulen mehr diagnostizierte Schüler mit Förderbedarf melden, erhalten sie nämlich auch mehr Personal für ihre Schule, um die Kinder zu fördern. In einer Lage akuten Personalmangels gerade an den Grundschulen, kann so die knappe Ressource über das Ausmaß der festgestellten Förderbedarfe erhöht werden. Die Kölner Verwaltung spricht hier in ihrem Inklusionsbericht von einer „Fehlsteuerung“.

Die stetig wachsende Zahl von Inklusionskindern hat wegen des Schulplatzmangels in Köln gravierende Folgen: Einerseits platzen die Förderschulen aus allen Nähten. Auf beiden Rheinseiten herrscht an den vier Kölner Schulstandorten der Förderschulen für den Schwerpunkt Geistige Entwicklung großer Mangel. Gleichzeitig gibt es auch einen akuten Mangel an wohnortnahen Plätzen des Gemeinsamen Lernens an den weiterführenden Schulen.

Es ist zynisch, wenn im Schulausschuss festgestellt wird, dass der Elternwille wieder mehr zur Förderschule geht und zwei neue Förderschulen beschlossen werden. Nach dem Warum fragt keiner.
Eva-Maria Thoms, Vorsitzende des Vereins "mittendrin e.V."

Eine weitgehende oder vollständige Beschulung von Lernenden mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Gemeinsamen Lernen sei unter den gegebenen Rahmenbedingungen in der Stadt Köln auf absehbare Zeit nicht möglich, erklärte die Verwaltung im Schulausschuss. Daher ist im gerade aktualisierten Schulentwicklungsplan der Neubau von zwei Förderschulen vorgesehen: eine soll im neuen Stadtteil Kreuzfeld entstehen, die andere im Rechtsrheinischen.

Für den Kölner Verein „mittendrin e.V.“, der sich für Inklusion einsetzt, ist es eine Bankrotterklärung in Sachen Inklusion, dass neue Förderschulen gebaut werden, statt an den Regelschulen ausreichend Plätze für Gemeinsames Lernen zu schaffen. Erst Ende August hatte der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Deutschland die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention überprüft, in der seit mehr als zehn Jahren das Recht auf Inklusion festgeschrieben ist.

Als ein Hauptmangel wurde dabei benannt, dass in Deutschland ein Förderschulsystem fortbesteht und keine Transformation hin zu einem inklusiven Schulsystem stattfindet. In Köln werden derzeit immer noch 45 Prozent der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf – also knapp die Hälfte – an Förderschulen und nicht im Gemeinsamen Lernen unterrichtet. Seit zwei Jahren konnte die sogenannte Inklusionsquote nicht mehr verbessert werden.

Eva-Maria Thoms, die Vorsitzende des Vereins „mittendrin“ bezeichnet es als „zynisch, wenn im Schulausschuss festgestellt wird, dass der Elternwille wieder mehr zur Förderschule geht und zwei neue Förderschulen beschlossen werden. Nach dem Warum fragt keiner“, kritisiert sie. Angesichts viel zu knapper Plätze im Gemeinsamen Lernen an den Gesamtschulen wurden dort nämlich in den letzten Jahren bis zu einem Drittel der Inklusionskinder abgelehnt. Kindern, die doch einen Platz bekamen, wurden oft weit entfernte Schulplätze zugewiesen, die diese aufgrund ihrer Beeinträchtigung ohne die Eltern nicht zurücklegen konnten.

Kölner Eltern müssen ihre Kinder jeden Tag zur Schule fahren

Für die Eltern bedeutet das nicht selten täglich bis zu drei Stunden Transport der Kinder quer durch die Stadt und zurück – über die gesamte Schulzeit. Anträge auf Transport werden – anders als bei den Kindern an den Förderschulen – in der überwiegenden Zahl der Fälle abgelehnt, wie „mittendrin“ ermittelt hat. Eltern, die das aufgrund von Berufstätigkeit zeitlich nicht leisten können, melden dann auf der Förderschule an, obwohl sie eigentlich eine inklusive Beschulung für ihr Kind möchten.

Der Verein kämpft seit Jahren vergeblich darum, dass die Stadt Köln die Beförderungsrichtlinie großzügiger auslegt, um dieses Handicap bei der Inklusion zu beseitigen. Dabei sind die Lasten der Inklusion an den Regelschulen sehr unterschiedlich auf die Schulen verteilt. Bei den Grundschulen bieten noch die Hälfte Gemeinsames Lernen an. Danach übernehmen vor allem Haupt- und Gesamtschulen die Beschulung. Die Hälfte aller förderbedürftigen Schüler lernt an den Gesamtschulen, zwanzig Prozent an den Hauptschulen.

Während alle Gesamt-, Haupt- und Realschulen Inklusion anbieten, sind es mit dem Geneveva-Gymnasium, dem Albertus-Magnus-Gymnasium und dem Elisabeth-von-Thüringen-Gymnasium nur drei Gymnasien. Zum neuen Schuljahr sollen nun mit dem Maximilian-Kolbe-Gymnasium in Porz und dem neuen Gymnasium in Nippes zwei weitere Gymnasien hinzukommen. Wenn im kommenden Jahr wieder massive Engpässe entstehen, hat die Stadt schon jetzt angekündigt, dass sie die Einrichtung von Gemeinsamem Lernen auch an weiteren Gymnasien geprüft werde.