Köln – Im Fall von Horst Backes präzise zu sein, ist gar nicht so leicht. Ihn schlicht als „Hauseigentümer“ zu bezeichnen, wäre zu kurz gegriffen; ihn „Turmherr“ zu nennen, klänge abgehoben, was er definitiv nicht ist. Korrekt wäre, von ihm als künftigem Turm-, Haus- und Denkmalbewohner zu sprechen, denn mit der Unterschrift unter der Notar-Urkunde ist in der Tat mehr als ein übliches Eigenheim in den Besitz des 49-Jährigen gelangt.
Allerdings auch eins, das manch anderen Interessenten zum sofortigen Umdrehen veranlasste; etwa mit der Begründung, dass der Grundriss dieser am Konrad-Adenauer-Ufer befindlichen Immobilie doch etwas eigentümlich sei, oder dass die vorhandene Schrankwand da leider nicht reinpasse.
Zu dumm aber auch, dass die Turmbauer im 14. Jahrhundert nicht berücksichtigt haben, dass spätere Möbelsysteme wie Billy oder Pax gerade Wände erfordern. Horst Backes ist zum Glück jemand, den die fehlenden 90-Grad-Winkel eher fasziniert als abgeschreckt haben. Wieder und wieder streicht der 49-Jährige mit einer fast ehrfürchtigen Geste über das Turmgestein, als könne er noch immer nicht glauben, dass dieses uralte Gemäuer nun ihm gehört. Er selber empfindet es ohnehin ein wenig anders: „Ich habe die Weckschnapp nur von Köln adoptiert.“
Dem sei allerdings eine mehr als einjährige Zitterpartie vorausgegangen, berichtet der Kölner, dem in Hürth eine Firma für Haustechnik gehört. Dabei sei es weniger um Geld gegangen oder darum, „dass sich Interessenten finanziell überboten hätten“, sondern primär um juristische Hindernisse wie etwa die Frage, ob das inzwischen abgelaufene Erbbaurecht noch einmal verlängert werden würde.
Zunächst mussten Stadt Köln, Liegenschaftsamt und Denkmalpflege der erneuten privaten Nutzung dieses historischen Stücks zustimmen. Das dauerte. Letztlich ist Backes, wie er betont, durch seine Beharrlichkeit und durch das Engagement von Stefan Maaß, einem Mitarbeiter von Greif & Contzen, zum Zuge gekommen – und nicht etwa, weil er einem Karnevalsverein angehöre oder über Vitamin-B-Quellen verfüge.
Am 31. Januar dieses Jahres war es jedenfalls so weit, dass Anna Backes ihrem Mann nicht nur zu dessen 49. Geburtstag, sondern auch zum Kauf des neuen – pardon: uralten Eigenheims beglückwünschen konnte. Damit seien sie beide „die meines Wissens nach einzigen Privatleute, die einen historischen Turm im Stadtgebiet bewohnen“; übrigens einem, dem der Volksmund zu Unrecht eine grausame Geschichte andichtet. Der Turm, in dem hungernde Gefangene nach einem aufgehängten Brot, einem „Weck“, schnappten und dann durch eine Falltür in den Rhein rutschten, war ein anderer.
Grausame Legende
Im Weckschnapp-Turm wurden der Legende nach Gefangene ausgehungert. Als einzige Chance auf etwas Essbares konnten sie versuchen, ein an der Decke hängendes Brot (Weck) zu schnappen. Dann tat sich unter ihnen eine Falltür auf, und sie fielen durch einen messerbestückten Schacht in den Rhein. Nur ein einziger, besonders dünner Gefangener soll das überlebt haben.
Es spricht viel dafür, dass sich die Sage auf einen Teil der im Rhein stehenden Befestigungsmauer bezog. Die sogenannte Ark wurde beim großen Hochwasser von 1784 zerstört. (she)
Bevor der neue Eigentümer selbst sein erstes Weckchen mit Blick auf Rhein, Tanzbrunnen oder Severinsbrücke zu sich nehmen kann, ist allerdings noch viel zu tun. Zunächst gilt es, jenen Bodenbelag zu entfernen, den Backes gern „das Wildschwein“ nennt; eine in den 60er Jahren geradezu revolutionäre Errungenschaft im Bereich der Raumausstattung und eine schöne Erinnerung an den Architekten Martin Kratz, der den Turm 1956 erwarb und viele Jahre mit seiner Familie bewohnte. Dank des heute noch existierenden dunkelroten Anbaus, der in zwei Schritten erfolgte, kann man durch ein großes Fenster direkt auf den Rhein und die Bastei schauen.
Innen wird noch renoviert
Backes versucht, die unter den struppigen Teppichplatten verborgenen Holzdielen freizulegen, wird sich ferner – wenn auch schweren Herzens – von der zurückgelassenen Miele-Küche trennen, die bereits über einen Backofen mit integrierter Mikrowelle verfügt, was in der Zeit des Einbaus ähnlich revolutionär gewesen sein muss wie die etwa zeitgleich erfolgte erste Mondlandung.
Apropos Mond: Kann man sich in Köln eine schönere Position zur Betrachtung des Himmelszelts vorstellen als diese Jahrhunderte alte Dachterrasse mit nur fünf Metern Durchmesser? Obwohl vom inzwischen verstorbenen Ehepaar Kratz die Behauptung stammen soll, dass die steile Verbindung vom Dach zum Schlafzimmer in Form einer leiterartigen Holztreppe auch nach ausgiebigerem Weingenuss zu bewerkstelligen sei, wird Backes sie durch eine weniger halsbrecherisch anmutende Wendeltreppe austauschen, was ihm die zu erwartenden Hundertschaften an Besuchern bei den nächsten Kölner Lichtern gewiss danken werden.
Ferner wird er sämtliche Fenster gegen wärme- und lärmdämmende austauschen und bei der Gelegenheit auch die farblich unpassenden weißen Fensterrahmen dem Turm anpassen. Sämtliche Eingriffe würden „behutsam“ erfolgen, betont der neue Eigentümer mehrfach, „und natürlich in Absprache mit dem Denkmalamt“. „Ein Stück Kölner Geschichte und auch noch an erster Position!“ So viele frei stehende Einfamilienhäuser gebe es am Konrad-Adenauer-Ufer nämlich nicht, stellt der neue Hausbesitzer fest, ohne auch nur ansatzweise protzend zu klingen. Na ja, es ist ja auch kein Schloss, nicht mal eine Burg. Im Grunde ist es lediglich ein Altbau mit 162 Quadratmetern Wohnfläche, die sich auf einen sehr verwinkelten Grundriss verteilen.
87 Stufen hoch zum Turm
Mutmaßungen, der neue Eigentümer habe für die Immobilie Millionen hinblättern müssen, sind im Übrigen genauso angedichtet wie die Turmlegende. Jeder, der bei Günther Jauch alle 15 Fragen richtig beantwortet, hätte mehr als das Dreifache dessen in der Tasche, was tatsächlich zu berappen war.
Nun hat die Weckschnapp also jemand weggeschnappt, der sich als „Kölner mit Leib und Seele“ bezeichnet. Da ihre Kinder bereits auf eigenen Füßen stehen, werden Anna und Horst Backes die Immobile nach der Renovierung alleine bewohnen und viel für ihre Fitness tun, um die insgesamt knapp 87 Stufen noch möglichst lange erklimmen zu können. Denn eines ist klar: Für einen Aufzug oder Treppenlift fehlen im Gemäuer die räumlichen Voraussetzungen. Und Rapunzelzöpfe, um sich gegenseitig hochzuziehen, sind bei beiden Eheleuten nicht vorhanden.