Janines LeidenswegVon der Leistungssportlerin zur Zwangsprostituierten
- Für unsere Serie „Köln im Rotlicht“ sind unsere Reporter in die Rotlicht-Szene eingetaucht, haben mit Prostituierten, Freiern, Zuhältern und Bordellchefs gesprochen.
- Folge 4: Als Teenager gehörte Janine in ihrem Sport zur deutschen Spitze – bis sie dem Druck nicht mehr standhalten konnte und erst zu Joints und dann zu härteren Drogen griff.
- Dann „verkaufte“ ihr Freund sie an einen Kumpel. In den vergangenen 15 Jahren hat sie überall in Köln gearbeitet.
- Lesen Sie hier das ausführliche Gesprächsprotokoll über ihren Leidensweg.
Köln – Janine (Name geändert) kommt zum Gespräch ins Verlagshaus. Sie ist Anfang 40 und arbeitet seit 20 Jahren als Prostituierte – fast immer mit Zuhälter, oft unter brutalem Zwang. Während des Gesprächs bittet sie zweimal um eine Pause, um auf Toilette zu gehen. „Sie braucht zwischendurch was“, sagt der Mann an ihrer Seite. Ihre Geschichte veröffentlichen wir als Protokoll. -> Hier: Alle 20 Folgen der Serie „Köln im Rotlicht“ im Überblick!
Ich war Leistungssportlerin, mit 15 gehörte ich in meinem Sport zur deutschen Spitze. Nach der Schule habe ich jeden Tag trainiert, am Wochenende ging es auf Wettkämpfe. Der Druck war ziemlich groß – abends habe ich irgendwann angefangen, Joints zu rauchen.
Meine Leistungen wurden schlechter, ich hörte gegen den Willen meiner Eltern auf mit dem Sport. Fing an, Alkohol zu trinken, täglich zu kiffen und Pillen zu nehmen. Das Abitur habe ich geschafft, es war alles mehr oder weniger im Rahmen, und danach eine kaufmännische Ausbildung begonnen.
Aber es wurde mehr mit den Drogen – seit ich 18 war, war ich auf Schore. Das kam vor allem über meinen damaligen Freund, dessen Kumpels alle drauf waren.
Ich habe mehrere Entzüge gemacht, zwischendurch auch mal wieder mit dem Sport angefangen – bin aber immer wieder rückfällig geworden. Die Lehre habe ich im letzten Jahr abgebrochen.
Mit 23 habe ich mich verliebt – in meinen Dealer. Ich war oft knapp bei Kasse, obwohl ich noch im Büro gearbeitet habe. Irgendwann sagte mein Freund mir: Hey, wenn Du mit meinem Kumpel einen Abend verbringst, kriegst Du 80 Euro.
Ich habe mich mit dem getroffen – natürlich wollte er Sex, ich hatte das nicht kapiert. Meinem Freund habe ich danach eine geknallt. Aber danach weitergemacht, weil ich verliebt in meinen Freund war – und es immer jedem Recht machen will.Fürs erste Mal habe ich 40 Euro bekommen – gespürt habe ich nichts, ich war drauf. Wie danach fast immer.
In den vergangenen 15 Jahren habe ich überall gearbeitet: Im Pascha, Mondial, anderen Laufhäusern, auf der Geestemünder Straße, auch in einem Wohnwagen am Kölnberg. Ich habe mal 800 Euro an einem Tag verdient und mal gar nichts. Im Pascha ist es korrekter als im Mondial, aber die Zimmermiete ist hoch – und einen Luden hat da auch fast jede.
Es gibt auch Frauen, die halten Ausschau nach labilen Frauen – und führen sie einem Zuhälter zu. Ich hatte damals auch einen Stenz – bis ein reicher Kunde kam und sich in mich verliebt hat. Der hat den Stenz mit 5000 Euro ausgelöst, ich habe dann eine zeitlang mit dem Typen zusammen gelebt. Aber er wollte mich ganz für sich, war eifersüchtig und gewalttätig.
Am Kölnberg zu arbeiten, war am schlimmsten: Man ist dort komplett ungeschützt, zweimal bin ich dort vergewaltigt worden - wenn man merkt, dass ein Typ ausflippt und Gewalt anwendet, hat man keine Chance und lässt das über sich ergehen – ich habe mich einmal gewehrt, zurückgeschlagen, und kam irgendwann im Krankenhaus wieder zu mir.
Als ich am Kölnberg war, hatte ich einen Rocker als Freund – der auch sieben oder acht andere Freundinnen hatte. Wenn ich genug Geld verdiente, behandelte er mich gut. Wenn nicht, dann nicht. (Jetzt unterbricht Janine und überlegt – wir wollen wissen, ob auch er sie geschlagen oder genötigt hat)Ja, Schläge, das kam vor.
Einmal hatte ich nur 20 Euro im Portemonnaie, da ist er ausgerastet. Mein Gesicht war zugeschwollen, er hat mich für die nächsten Tage in eine Wohnung eingesperrt und mir einmal am Tag Essen reingeworfen. Als ich wieder einigermaßen aussah, musste ich wieder zum Kunden – er fährt mich zu Kunden in private Wohnungen.
Das ist meistens besser als im Laufhaus, ich mache auch selten mehr als drei Kunden pro Tag. Aber man weiß halt nie, was einen in der Wohnung erwartet.
Ausstieg? Nein, denke ich nicht mehr so richtig dran. Wie sollte das gehen? Ich habe Schulden bei meinem Typen – und denke nicht eine Sekunde drüber nach, ihn anzuzeigen. Würde ich das tun, dann wäre ich wahrscheinlich ein paar Tage später tot.
Glossar
Agisra
Die „Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung“ in Köln ist seit 1993 eine Beratungs- und Informationsstelle für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen. Agisra unterstützt zum Beispiel Frauen, die von Gewalt, Sexismus oder Rassismus betroffen sind, die Sozialarbeiterinnen reden mit Frauen auf dem Straßenstrich, am Eigelstein und in Bordellen. Der Verein sitzt in der Bolzengasse in der Altstadt, Telefon 0221/124019.
Escort
Begleit-Agenturen oder Escort-Agenturen vermitteln Frauen, seltener auch Männer, gegen Honorar für eine vereinbarte Zeit. Die Agenturen dienen als Dienstleister und kassieren eine Provision von den Frauen, die oft zwischen 25 und 35 Prozent liegt. Die Preise für die meistens auch sexuellen Dienstleistungen schwanken, liegen aber nur selten unter 200 Euro pro Stunde und 1500 Euro pro Tag. Viele ihrer Mitarbeiterinnen seien Studentinnen, berichtet eine Kölner Agentur-Chefin. Eine vom Studienkolleg zu Berlin veröffentlichte Umfrage ergab, dass 3,7 Prozent aller Berliner Studierenden als Sexarbeiter im weiteren Sinne tätig sei. Verbände und Behörden gehen davon aus, dass der Großteil der im Escort-Bereich tätigen Frauen freiwillig dort arbeitet.
Hurenpass
Im Juli 2017 ist bundesweit das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten. Seitdem müssen Prostituierte einen speziellen Ausweis bei sich tragen, den so genannten Hurenpass. Diese Anmeldebescheinigung, die regelmäßig verlängert werden muss, ist mit Namen, Meldeadresse und einem Foto versehen. Viele Sexarbeiterinnen weigern sich, ihre Anonymität aufzugeben und den Pass zu beantragen – sie fürchten unter anderem Repressionen in ihren Heimatstaaten, in denen Prostitution unter Strafe steht.
Laufhaus
In einem meist mehrstöckigen Laufhaus mieten Prostituierte Zimmer an. Wenn sie auf Freier warten, stehen ihre Türen offen. Der Kunde streift durch die Flure und kommt mit den Frauen ins Gespräch, die vor oder in ihren Zimmern sitzen. Welche Leistungen sie anbieten und welche Preise sie dafür verlangen, bestimmen die Frauen selbst, nicht der Laufhaus-Betreiber. Er kassiert von ihnen nur die tägliche oder monatliche Miete. Der Eintritt in ein Laufhaus ist meistens frei. Wie viele der Frauen tatsächlich selbstbestimmt arbeiten und wie viele ihre Einnahmen an einen Zuhälter abtreten müssen, ist unklar.
Loverboys
Zuhälter, die vor allem Minderjährige und junge Frauen in Clubs und im Internet ansprechen. Sie täuschen ihnen die große Liebe vor, entfremden sie aber tatsächlich von Freunden und Familie und zwingen sie in die Prostitution. Laut Polizeierkenntnissen sind Loverboys in aller Regel Einzeltäter, die oft mehrere Frauen parallel haben, ohne dass die Opfer voneinander wissen.
Menschenhandel
Eine Straftat, auf die zwischen sechs Monate und zehn Jahre Gefängnis steht. Unter Menschenhandel versteht das Gesetz jede Form des Anwerbens, Transports oder Beherbergens von Menschen, um sie auszubeuten – zum Beispiel in der Prostitution, durch Bettelei oder Zwangsarbeit.
Poppers
Slang für eine flüssige, nicht verbotene Droge, die in kleinen Ampullen vertrieben wird und beim Öffnen ploppt. Poppers sollen stark gefäßerweiternd, aphrodisierend, muskelentspannend und schmerzhemmend wirken – und damit helfen, den Geschlechtsverkehr zu verlängern. Werden in fast allen Bordellen verkauft. Können zu Herzrasen, Übelkeit, Erbrechen und Sehstörungen führen, blutdrucksenkende Potenzmittel verstärken die Wirkung.
Prostituiertenschutzgesetz
Seit 1. Juli 2017 ist ein neues Prostituiertenschutzgesetz in Kraft. Es beinhaltet unter anderem die Verpflichtung eines so genannten „Hurenausweises“. Betreiber von Bordellen benötigen eine Erlaubnis und dürfen sich zuvor nicht im Bereich Menschenhandel/Prostitution strafbar gemacht haben. Das Gesetz sieht auch eine Kondompflicht für Freier und eine Gesundheits- und Ausstiegsberatung für Sexarbeiter/innen vor. Sexarbeiterinnen dürfen seit Inkrafttreten des P. nicht mehr in dem Raum schlafen, in dem sie ihre Dienstleistungen anbieten – Bordellbetreiber müssen getrennte Schlaf- und Waschräume anbieten. Das Gesetz soll Sexarbeiter/innen vor Zwangsprostitution, ungeschütztem und gewalttätigem Sex schützen. Interessenverbände und Beratungsstellen kritisieren das Gesetz: Die meisten Prostituierten, die nicht freiwillig arbeiten, würden weiterhin nicht erreicht. Die Sorge, mit einem Hurenausweis identifiziert werden zu können, treibe viele Frauen in die Illegalität.
Das Gesetz hat für Prostituierte in NRW auch positive Effekte, resümiert die Prostituierten-Beratungseinrichtung Kober. So habe sich die Hygiene in vielen Häusern verbessert, auch die Rückzugsmöglichkeiten, Aufenthaltsräume und Beratungen wurden von vielen Frauen als hilfreich beschrieben. Die in vielen Sprachen abrufbare Lola-App unterstützt demnach viele Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, um sich besser über ihre Rechte, Krankenversicherung, Prävention und Beratungsangebote zu informieren.
Saunaclub/FKK-Club
Die Gäste bewegen sich im Handtuch oder Bademantel durch den Club. Im Eintrittspreis enthalten sind oft Getränke und Speisen. Neben Sauna und Dampfbad gibt es meist eine Bar und separate Bereiche, in denen männliche Besucher mit Prostituierten ins Gespräch kommen. Die Einnahmen werden zwischen der Frau und dem Clubbetreiber aufgeteilt. Die Frauen sind entweder festangestellt, oder sie arbeiten auf eigene Rechnung beziehungsweise für einen Zuhälter, der sie häufig zum Club bringt und wieder abholt. Insider gehen davon aus, dass ein Großteil der Frauen in den Clubs nicht unabhängig von Zuhältern arbeitet.
Sexarbeit/Prostitution
Sexarbeit und Prostitution sind nicht dasselbe. Sexarbeit ist der neutralere Begriff, er beinhaltet keine negative Bewertung. Eine Sexarbeiterin ist eine Dienstleisterin, die einen sexuellen Service anbietet, um damit Geld zu verdienen. Das Wort Prostitution ist negativ belegt: Im Lateinischen bedeutet es, etwas „nach vorne zu stellen“ – sich preiszugeben oder auszustellen. Prostitution wird verbunden mit einem patriarchalen System – Bordellen, Zuhältern und Freiern, die die Regeln diktieren. Bei einer Frau, die auf den Straßenstrich geht, um ihre Drogensucht zu finanzieren, würde man eher von einer Prostituierten sprechen, bei einer Frau, die sich mit Escort-Service ihren Lebensunterhalt verdient, eher von Sexarbeiterin. Bei einer jungen Frau aus Osteuropa, die im Bordell Sex anbietet, ist die Unterscheidung schwieriger – wenn sie dort arbeitet, um die Existenz ihrer Familie zu sichern, spräche man von Sexarbeit, würde sie von ihrem Vater oder Bruder unter Druck gesetzt, anschaffen zu gehen, von Prostitution.
Sozialdienst katholischer Frauen (SkF)
Anlaufstelle im Caritasverband für Frauen und Familien in Not. Seit mehr als hundert Jahren engagiert sich der SkF in Köln für Prostituierte, informiert sie über Rechte und Pflichten, unterstützt sie bei Sorgen in Familie und Partnerschaft und hilft den Frauen beim Ausstieg, wenn sie das wünschen. Die Geschäftsstelle ist am Mauritiussteinweg in der Innenstadt, Telefon 0221/12695-0.
Verrichtungsbox
Garagenähnliche Boxen auf dem Straßenstrich an der Geestemünder Straße in Niehl. Das fußballfeldgroße, eingezäunte Gelände eröffnete im Oktober 2001. Freier fahren dort zunächst durch eine Kontaktzone und dann mit den Frauen in eine der acht Boxen, die in einer alten Scheune untergebracht sind. Es gibt auch Container für Fußgänger oder Radfahrer. In jeder Verrichtungsbox ist ein Alarmknopf an der Wand. Während der Öffnungszeiten sind Sozialarbeiter auf dem Gelände anwesend, Ordnungsamt und Polizei kontrollieren das Gelände regelmäßig.
Weißer Ring
Hilfsorganisation für Menschen, die in Deutschland Opfer von Kriminalität geworden sind. Die ehrenamtlichen Betreuer beraten auch immer wieder Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution, unterstützen sie bei der Suche nach spezialisierten Rechtsanwälten, bei der Beantragung einer lebenslangen Opferrente oder mit der Zahlung einmaliger Soforthilfen bis zu 300 Euro. Zentrale Anlaufstelle auch für Menschen in Köln ist das Landesbüro in Düren, Telefon 02421/16622.
Zwangsprostitution
Eine besondere Form der Ausbeutung und seit 2016 ein eigener Straftatbestand neben dem Menschenhandel. Vor 2016 war der Begriff rechtlich nicht definiert. Bei Verurteilung drohen dem Täter zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Haft. Die meisten Opfer stammen aus Deutschland sowie aus Ost- und Südosteuropa. Häufig werden die Frauen angeworben, indem der Täter ihnen eine legale Arbeit etwa in der Gastronomie oder Hotellerie verspricht.