Die Indie-Band spielt im April gleich zweimal in Köln. Sänger und Songschreiber Marcus Wiebusch darüber, ob politische Musik noch etwas bringt.
Indie-Band kommt nach KölnKettcar erklärt, warum politische Musik nicht sinnlos ist
Sieben Jahre ist es her, dass die Indie-Band Kettcar ihr letztes Album veröffentlicht hat – jetzt gibt es den von Fans sehnlich erwarteten Nachschub. Die Hamburger Band spielt auf ihrer aktuellen Tour außerdem zweimal in Köln. „Gute Laune, ungerecht verteilt“ ist ein politisches Album – für Sänger Marcus Wiebusch war klar, dass es keinen Wohlfühl-Pop geben wird.
„Jetzt ist einfach eine Zeit, in der ich keine gemütlichen Songs mehr schreiben kann wie in Ansätzen Anfang der Nullerjahre mit den ersten beiden Alben, die eher ums ‚Ich‘ kreisten“, sagt er im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
„Wenn ich mir den Zeitgeist anschaue, kann ich nicht nur Liebeslieder schreiben. Auch wenn natürlich trotzdem Liebeslieder auf dem Album sind. Aber wir wollen auch keine eindimensionalen Polit-Onkel sein“, sagt Wiebusch. „Ich will nicht sagen, dass Musik irgendetwas muss, aber für uns war es alternativlos, sich zu positionieren.“
Die Single-Auskopplung „München“ etwa dreht sich um Alltagsrassismus: „Sie fragen, wo ich geboren bin / Ich sag, ich bin geboren in /München-Harlaching“ heißt es im Refrain des Songs; oder in „Auch für mich 6. Stunde“: „Mittelmeer, Massengrab, so traurig hier, zynisch da /First-defense-Konferenzen, Zäune bauen, hoch die Grenzen / Kleingeister verachten, Bilder abgestumpft betrachten / Sandstrand, Junge tot, Netflix, Abendbrot“.
Kettcar: Politische Positionierung gehört zur Indie-Band
Kettcar spielten auch auf einer der Großdemonstrationen gegen Rechtsextremismus in Hamburg. Generell aber sieht der 55-Jährige, dessen Wurzeln in der Punkmusik liegen, Künstler und Bands nicht zwangsläufig in einer Verantwortungsposition: „Jeder sollte seinen eigenen Maßstäben und seinem Herzen folgen, und wenn er meint, er kann und will nur Liebeslieder schreiben, dann ist das völlig in Ordnung. Natürlich freue ich mich über jeden, der sich positioniert, sodass es eine breite Front zur künstlerischen Basis herunter gibt.“
Wiebusch textete schon in den Neunzigern politisch, als er noch Teil der Punkbands But Alive und etwas später Rantanplan war. „Es hat sich nicht viel verändert“, sagt er, es stellt sich die Frage: Was bringt politische Musik? „Musik, und das sehen wir auf allen unseren Konzerten, hat eine Kraft, Menschen das Gefühl zu geben, dass nicht alles verloren ist. Sie stiftet Gemeinsinn. Es macht allein schon etwas mit mir, wenn ich weiß, dass ich auf Tour vor tausenden Menschen stehe, die das auch so sehen. Das ist nicht Nichts“, sagt Wiebusch. „Ich bin in der privilegierten Stellung, Songs schreiben zu können, die den Leuten etwas bedeuten. Wie kann ich mir da anmaßen, zu sagen, dass Musik nichts bringt?“, fragt er.
Die Texte der Band, geschrieben von Wiebusch und Bassist Reimer Bustorff, gelten als lyrisch, tiefsinnig und komplex. Wiebusch beschreibt seinen Prozess: „Ich wache morgens auf, mache mir Kaffee und fange an zu lesen – eine Zeitung oder ein Buch. Und dann muss mich irgendetwas anspringen, es muss ‚Klick‘ machen. Dann schreibe und schreibe und schreibe ich, gehe ins Studio und versuche das, was ich geschrieben habe in einen Song zu gießen.“ Nur selten klappe das alles in einem Rutsch an einem Tag.
Kettcar: Eines der besten Konzerte war in Köln
„So vergehen meine Tage auf der Suche nach diesem einen Funken“, sagt Wiebusch, der laut eigener Aussage nie Gitarrenunterricht hatte, nie auf eine Musikschule ging und sich sämtliche Theorie selbst beibrachte. Musikalisch entwickelte sich aber auch Kettcar in den vergangenen knapp 23 Jahren seit der Gründung weiter, sagt er: „Wir sind viel reifer geworden und uns über Tricks und Strukturen in Songs bewusster. Wir probieren aber auch neues aus, auch auf dem neuen Album.“ „Gute Laune, ungerecht verteilt“ erscheint am 5. April.
Die Band spielt am 8. April im Luxor (wir verlosen Tickets: www.ksta.de ) und am 19. April im Palladium. Köln sei – nach Hamburg – die Stadt, in der Kettcar die höchste Popularität genieße, sagt Wiebusch. In Köln habe die Band außerdem eines ihrer besten Konzerte erlebt, sagt Wiebusch. Das sei in ganz frühen Zeiten von Kettcar gewesen, noch im Underground. „Es klingt pathetisch, aber da hatten wir zum ersten Mal das Gefühl: Alter Schwede, so kann es auch sein. Es war eine unfassbare Energie.“