Sein letztes großes Rennen80-Jähriger will bei Köln-Marathon noch einmal ankommen
- Karl-Ernst Rösner ist 80 Jahre alt. Er hat 509 Marathons und Ultraläufe in den Beinen. Das Laufen ist sein Leben.
- Am Sonntag startet er beim Köln-Marathon zum allerletzten Mal. Worauf er hofft?
- Dass das Ziel noch auf ist, wenn er den Dom erreicht. Die Geschichte eines Sportlerlebens.
Köln – Machen wir nicht viele Worte. Lassen wir Zahlen sprechen. Name: Karl-Ernst Rösner, Baujahr: April 1938, Größe: 183 Zentimeter, Gewicht: 85 Kilo, Schuhgröße: 44, Laufleistung: 135.000 Kilometer, Zustand: top gepflegt, Höchstgeschwindigkeit 2:58 Stunden auf 42,195 Kilometer, Verbrauch: Wasser, Bananen und selbst gebackener schlesischer Mohnkuchen (nach dem Training), Sonderausstattung: 509 Marathon- und Ultraläufe, Tüv-Plakette: unablaufbar, Preis: unverkäuflich.
Es sind Leute wie Rösner, die den Inneren Schweinehund zur bedrohten Tierart machen. 509 Marathon- und Ultraläufe – das ist ja zum Fürchten. Gute Freunde waren Rösner und sein Schweinehund noch nie. Dabei kann er selbst nicht so recht erklären, warum ihn das Lauffieber dermaßen erwischt hat. Mit 44 Jahren, wo manche damit beginnen, vom Ruhestand zu träumen. Vermutlich liegt es daran, dass Rösner keine halben Sachen mag. Was er macht, macht er gründlich. Nach reiflicher Überlegung.
„Irgendwann muss mal Schluss sein“
Aus diesem Grund wird der Köln-Marathon am Sonntag sein letztes Rennen sein. „Bei der Zeit, die ich mittlerweile unterwegs bin, kann man von Rennen nicht mehr reden.“ Rösner wird von Deutz zum Dom knapp sieben Stunden brauchen und sich schon aus diesem Grund in die erste Startgruppe mogeln müssen, damit er den roten Zielteppich auf der Komödienstraße erreicht, bevor der gesaugt und eingerollt wird. In Düsseldorf im April kam er nach 6:44:07 Stunden als Letzter ins Ziel. Auch in Köln wird der Besenwagen sein treuer Begleiter sein. Rösner ist das egal. Er muss sich nichts mehr beweisen.
Das Laufen ist sein Leben. Es hat ihm viel gegeben, es hat ihm geholfen, Schicksalsschläge zu überstehen wie den Tod seiner ersten Frau, die auch eine begeisterte Läuferin war und 1994 starb. Danach hat er sich in die Wettkämpfe gestürzt, in der Ultra-Laufszene Gleichgesinnte gefunden. „Da war ich fast jedes Wochenende unterwegs. Das sieht man an den Statistiken.“
Rösner schlägt ein Spiralheft auf. Dort sind alle Wettbewerbe aufgelistet. Erst auf der Schreibmaschine getippt, später am Computer. Sorgfältig laminiert, damit die Erfolge nicht vergilben und keine Eselsohren kriegen. Die drei letzten Jahre fehlen. Das muss er noch nachholen.
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„Irgendwann muss mal Schluss sein“, sagt Rösner und das klingt kein bisschen wehmütig. Als 80-Jähriger mit einer für einen Marathonlauf zu geringen Grundkondition sollte er das seinem Körper nicht mehr zumuten. Hat er beschlossen. Ein Comeback wird es nicht geben. Rösner macht keine halben Sachen.
Da hört er lieber auf. Der Schweinehund horcht auf. Aufatmen sollte er besser nicht, weil Rösner ihn weiter jagen wird. Nicht mehr ganz so intensiv, aber immer noch viermal pro Woche durchs Neandertal. Jeweils zehn Kilometer, mal allein, mal mit seinen Freunden vom Lauftreff beim TSV Hochdahl oder aus Gruiten. Die Tage dazwischen verbringt er in der Muckibude – beim Kraft-Ausdauer-Training.
Nicht die Strecke, die Geschwindigkeit tötet
Radieschen sind schön, solange man sie nicht von unten sieht. Genau das hat Rösner den mehr als 1000 Anfängern wieder und wieder gepredigt, die bei ihm laufen gelernt haben. Nach der immer gleichen Methode, die Anfänger vor Überforderung schützen soll. Zehn Minuten pro Kilometer, lange Gehpausen dazwischen. Damit kein Frust aufkommt, kein Japsen, Röcheln, Pulsrasen. Gerade so schnell, dass man nicht das Gleichgewicht verliert. Sagt er und schmunzelt. Nicht die Strecke, die Geschwindigkeit tötet. Das ist ein Kernsatz aus der Rösner-Bibel. Er selbst hat ihn immer befolgt, langsam loslaufen, nicht mitziehen lassen. Das Leben ist ein langer ruhiger Lauf. Auf den letzten Kilometern sammelst du alle ein, die sich abgehetzt haben.
Über die Jahre hat Rösner sich tief in die Materie eingearbeitet. Sein Job als Sportreferent beim Kreis Mettmann war dafür geradezu ideal. Am Ende wie maßgeschneidert. „Ich habe sofort zugesagt, als die Stelle geschaffen wurde. Das war eine Folge der Kampagne »Jugend trainiert für Olympia«, die Henri Nannen vor den Olympischen Spielen 1972 in München ins Leben gerufen hat. Damals habe ich nur ein bisschen Gymnastik gemacht.“
Rösner war ehrenamtlicher Lauftreffleiter beim TSV Hochdahl, hat als Lauftreffwart beim Deutschen Leichtathletik-Verband in NRW Lauftreffleiter ausgebildet. In der Liste der Deutschen mit den meisten Marathonläufen liegt er unter den ersten Zehn. Den Hunderter-Club hat er mitgegründet. Fast 40 Jahre habe sich alles nur ums Laufen gedreht. Je älter er wurde, desto mehr sei das Gemeinschaftserlebnis in den Vordergrund gerückt. „Gerade bei den Landschaftsmarathons. Da läuft man in Gruppen, tauscht sich aus. Dann diese Abendgespräche vorher, wenn man gemeinsam mit den anderen in einer Turnhalle übernachtet. Das ist eine ganz tolle Atmosphäre. Und man sieht sich regelmäßig immer wieder.“
Das alles wird Rösner dennoch nicht vermissen. Auf dem letzten Kilometer seines Wettkampflebens werden die beiden Enkelkinder ihren Opa ins Ziel begleiten. Zwillinge, beide 14. „Die freuen sich schon drauf.“ Allzu viel wird sich danach nicht ändern. Im Neandertal laufen, in die Muckibude gehen – und einmal in der Woche den Vorlese-Opa im Kindergarten geben. Karl-Ernst Rösner ist eben nicht nur gründlich. Sondern auch zuverlässig.