LiebeserklärungWarum der Köln-Marathon der beste Städte-Lauf der Welt ist
Köln – Mein lieber Köln-Marathon, ich kann es kaum glauben. Du wirst 20, bist immer noch ein echter Jungspund. Ich bin deutlich älter, aber Du hältst mich ganz schön auf Trab seit jenem Sonntag – es war der 5. Oktober 1997 – als wir uns das erste Mal über den Weg gelaufen sind.
Damals war ich 36 und hätte nie gedacht, dass wir es so lange miteinander aushalten. Wir haben aber auch verdammt viel erlebt in all den Jahren. Ich könnte unzählige Geschichten über Dich erzählen. Nach der Premiere habe ich nicht mehr gewusst, wie ich am Dom die Treppen zur U-Bahn runterkommen soll und später so viel Kölsch getrunken, dass an Laufen kaum noch zu denken war.
Unter vier Stunden. Im zweiten Jahr war ich 21 Sekunden schneller und hab’ gedacht, das geht jetzt immer so weiter. Von wegen. 1999 hast Du mir zum ersten Mal gezeigt, dass bei Kilometer 30 der Hammer hängt. Man darf Dich eben nicht unterschätzen. Du liebst halt die Überraschungen. Und du bist unberechenbar.
In einem Jahr hast Du zwei splitternackte Schönheiten vor eine Kneipe an die Brühler Straße gestellt, und alle mussten weiter rennen. Ich weiß gar nicht mehr, wann das genau war. Ich glaube 1999. Das war hübsch anzusehen. Das könntest Du ruhig noch einmal machen.
Du hast mich gezwungen, bei Kilometer 40 ein stilles Örtchen aufzusuchen, oder am Chlodwigplatz kurz anzuhalten , um mit Freunden erstmal ein Kölsch zu nehmen. So viel Zeit muss sein.
Einmal bist auf die verrückte Idee gekommen, wir könnten unsere Kleiderbeutel doch in einer Tiefgarage unter der Komödienstraße abholen. Den Benzingestank habe ich heute noch in der Nase.
2014 habe ich am Ebertplatz so gebettelt: „Mach’ endlich Schluss mit mir, ich will das nicht mehr.“ Da hast Du mir am Café Schmitz einen rettenden Engel auf einem Fahrrad mit einem kühlen Malzbier geschickt.
Warum einmal mitten im Lauf Schluss war
Eine Zeit lang war ich stinksauer auf Dich, weil Du es Dir zwei Jahre ganz leicht gemacht hast und wir die ersten 21 Kilometer das gesamte Rheinufer rauf und runter getrampelt sind.
Zweimal durch diesen verdammten Rheinufertunnel und raus bis auf die Boltensternstraße mit einer Spitzkehre, die einem die Schuhe auszieht. Ich habe gedacht, Du hast sie nicht mehr alle. Das war 2011 und ich so enttäuscht, dass ich am Neumarkt ausgestiegen bin. Mit mir nicht.
Aber jetzt ist alles wieder gut, meine geliebten Veedel sind wieder drin, das Ziel zurück am Dom, der Kurs seit Jahren unverändert. Und am Ziel auf der Komödienstraße rollst Du mir den roten Teppich aus – immer frisch gesaugt.
Überhaupt. Du bist einfach großartig. Und äußerst gnädig, wenn es mal nicht so läuft. Manchmal flüsterst Du mir zu: „Junge, dieses Jahr besser nicht. Mach’ einfach mal halblang.“
Ein paar Mal habe ich Deinen Rat schon befolgt, vor allem, wenn ich kurz zuvor fremdgegangen bin. So wie vergangenes Jahr in Berlin. Aber soll ich Dir mal was sagen? Du bist der ungekrönte König der Stadtmarathons. Einfach unvergleichlich. Dieser verwinkelte Kurs, diese wundervollen Details unterwegs. Das gibt es so nicht in Berlin. Das gibt es ja nicht einmal in New York.
Die Besonderheiten an der Strecke
Jedes Jahr freue ich mich auf den Alleinunterhalter vor dem Café Hirsch an der Dürener Straße in Lindenthal.
Oder auf den besonderen Versorgungsstand in Ehrenfeld. Linke Tür rein ins Traditionsgasthaus Scholzen, an der Theke vorbei, kurz Hallo sagen, und rechts wieder raus. Ja! Ich habe an der Theke auch mal ein halbes Kölsch getrunken. Ich weiß, ich weiß: Dafür müsste man mich disqualifizieren, weil ich die offizielle Strecke verlassen habe. Aber ich habe ja nicht abgekürzt. Im Gegenteil. Einfach nur ein paar Sekunden verschwendet. Bloß gut, dass der Halbmarathon auch durch Ehrenfeld geht.
Wie überhaupt ich das in all den Jahren gelernt habe: Du bist es wert, dass man Zeit an Dich vergeudet, um Dich so richtig zu genießen. Das ist das Schöne nach 20 Jahren. Bestzeiten sind nicht mehr drin; und wer schaut schon in die Altersklassen-Wertung?
Wenn ich mal schnell sein will – und sechs Minuten pro Kilometer sind für mich schon verdammt schnell – laufe ich im Frühjahr in Düsseldorf. In der verbotenen Stadt. Da ist man als Kölner ja immer froh, wenn man wieder weg ist.
Nicht so in Kölle. Es gibt keinen Grund, über die Ringe zu hetzen. Da muss man sich feiern lassen. Oder in Nippes. Bei all dem Remmidemmi. Besonders schön ist auch die Sülzburgstraße. Da ist man noch fit, ganz viele Familien mit ihren Kindern stehen am Straßenrand. Händchen abklatschen. Immer wieder Händchen abklatschen.
Wenn ich uns etwas wünschen könnte, dann noch einmal die glorreichen Zeiten um die Jahrtausendwende, als Du hoffnungslos ausgebucht warst. Im Sommer 2002 waren alle 22.000 Startplätze schon im August vergriffen, der Schwarzmarkt blühte, man bekam Champagner, Schnaps und unsittliche Angebote.
Halblang gab es da noch nicht. „Biete Dir, was Du Dir wünschst“, schrieb damals eine Christine und schickte noch ein Smiley hinterher. Und ein Lauffreund namens Sepp wurde noch deutlich: „Suche Startplatz, biete Ehefrau (blond, 33).“ Die wird nun auch schon 47 und ist vermutlich längst vom Lauffieber gepackt.
Damals hast Du noch davon geträumt, mal in der ersten Marathon-Liga zu spielen. Wie Berlin, New York, London oder Paris. Das hat nicht ganz geklappt, aber eigentlich ist es auch ganz schön so. Echt kölsch halt, heimelig und immer mit der Hoffnung, mal ein ganz Großer zu werden.
Bleib’ lieber so, wie Du bist. Freundlich, treu, stimmungsvoll und immer auch ein bisschen Karneval. Aber bitte nicht zu viel. So ist das mit Dir, mein alter Freund. Wer kann Dir schon widerstehen?