Als einer der letzten Auschwitz-Überlebenden ist Danny Dattel am 13. Februar in Köln gestorben – sein Film soll Ende des Jahres kommen.
Der zweifach VerfolgteNachruf auf Dany Dattel – einen der letzten Auschwitz-Überlebenden
Sein größter Wunsch war es, an den Ort des Grauens zurückzukehren. Dieser Ort war Auschwitz. Noch einmal wollte Dany Dattel dort sitzen auf den Treppen des Blocks 10 im Stammlager, von wo aus er als Kind Kiesel in den Staub warf. Bei sengender Hitze im Sommer und bitterer Kälte im Winter. Gleich nebenan, an der Todeswand, wurden vor seinen Augen Tausende Menschen erschossen, ihre Leichen zu Haufen aufgetürmt. „Mein Spielplatz war ein Ort des Massenmords“, hatte Dattel später gesagt. Mitgefangene nannten ihn „Das Maskottchen von Auschwitz“, weil er es gewagt hatte, mit einer komödiantischen Einlage eine Aufseherin beim Morgenappell zu imitieren.
Kölner Dany Dattel – Unter 8000 Kindern der einzige Überlebende
Der Kölner Dany Dattel nannte sein Leben das einer zweifachen Verfolgung. Denn die Nazis blieben nicht die einzigen, die ihn wegen seiner jüdischen Herkunft demütigten und erniedrigten.
Am 28. Juni 1943 wird die Familie eingepfercht in einen Viehwagon mit dem 39. Ost-Transport von Berlin nach Auschwitz deportiert. Dattel war damals ein kleiner Junge, knapp vier Jahre alt. Mit seiner Mutter Ruth wurde er in Block zehn untergebracht, wo an Frauen Sterilisationsexperimente durchgeführt wurden.
Der kleine Junge mit den blonden Haaren wurde nur deshalb nicht ins Gas geschickt, weil einer der SS-Kommandanten einen Narren an ihm gefressen hatte. Als die russische Armee sich Auschwitz am 18. Januar 1945 nähert, müssen alle Häftlinge das Lager verlassen. In eisiger Kälte beginnt der so genannte Todesmarsch gen Westen. Seine Mutter Ruth setzt den kleinen Dany auf einen Transportwagen, erst 1947 wird sie ihn wiedersehen. In Berlin wird er als einziges überlebendes von 8000 nach Auschwitz verschleppten Kindern empfangen.
Zweite Verfolgung in Köln
Von Berlin zogen Mutter und Sohn nach Israel und dann nach Köln. Trotz all der Gräueltaten war Dattel bereit, sich mit dem neuen Deutschland auszusöhnen und ihm eine Zukunft in Toleranz und Zugewandtheit zuzutrauen, nur um als erwachsener Mann inmitten des bis dahin größten Bankenskandals der deutschen Nachkriegsgeschichte ein zweites Mal kollektiver antisemitischer Hetze zum Opfer zu fallen. Dattel wird es seine zweite Verfolgung nennen.
Er wollte immer Schauspieler werden, aber die Mutter sagte, er solle etwas „Anständiges“ lernen. Also macht Dattel eine Lehre bei der Kölner Herstatt-Bank und wurde 1970 Chef des Devisenhandels. Die Privatbank verdient gutes Geld, von seinen Chefs wird Dattel wie ein Star hofiert.
Doch dann kommt die Ölkrise, die Devisengeschäfte laufen schlecht, die Herstatt-Bank wird zwangsgeschlossen, viele Menschen verlieren ihr Erspartes. Die Geschäftspraktiken ruft die Staatsanwaltschaft auf den Plan. Sein Chef, so schildert es Dattel später, tritt mit der ungeheuerlichen Bitte an ihn heran, die Schuld auf sich zu nehmen. Denn – so der perfide Plan – einen Auschwitzüberlebenden würde man nicht wagen, vor Gericht zu bringen.
Dattel weigert sich. Obwohl er mit den Beamten umfassend kooperiert, lässt man ihn im Urlaub plötzlich festnehmen, legt ihm Handschellen und Fußfesseln an, steckt ihn in einen Gefangentransport nach Köln und anschließend in U-Haft. Dattel erlebt eine Retraumatisierung, bereits 1965 wurde bei ihm das KZ-Syndrom nachgewiesen und doch verlangt das Gericht immer wieder neue Gutachten. In der Presse verbreiten seine Chefs derweil antisemitische Narrative. Bei der Familie zu Hause werden Fensterscheiben eingeschlagen, anonyme Telefonanrufer fordern die „Vergasung“. Erst 1982 wird sein Verfahren endgültig eingestellt.
Einer der letzten Überlebenden von Auschwitz – in Köln gestorben
Trotz all der Demütigungen blieb Dattel in Köln, wohnte bis zuletzt zurückgezogen in einem Haus in Köln-Lindenthal. Zu seinen größten Freuden gehörten die Spiele des 1. FC Köln.
Im Oktober 2022 hat sich Dany Dattel begleitet von einem Filmteam seinen letzten großen Wunsch erfüllt. Er sitzt auf der Treppe von Block 10 des Stammlagers Auschwitz, in den Händen ein Bild des Vaters, den die Nazis ermordet hatten. Es ist noch früh am Morgen, fast menschenleer, die Besuchergruppen haben noch keinen Zutritt. Sonnenstrahlen brechen an den Gebäuden aus roten Ziegeln. Warmer Wind streicht durch die Birken, die die Wege des einstigen KZ säumen.
Dattel lässt seine Blicke schweifen. Dieser Ort, Auschwitz, wirkt auf ihn plötzlich so friedlich. Kein Morden, keine Folter, keine Erniedrigungen. Dattel steht auf und sagt: „Es ist nicht der Ort, der grausam ist. Es waren die Nazis, die ihn grausam gemacht haben.“ Es scheint, als hätte er für einen kurzen Moment seinen Frieden gefunden.
Dany Dattel ist am 13. Februar im Alter von 83 Jahren als einer der letzten Überlebenden von Auschwitz in Köln gestorben. Er wird auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt. Der Film über sein Leben soll Ende des Jahres im Fernsehen laufen.