Viele Menschen sterben in Köln auf der Straße, weil sie nicht richtig versorgt werden. Der Stadt ist der Notstand bekannt.
Wohnungslosigkeit in KölnHilferuf der Notschlafstellen: „Kranke Obdachlose werden hier abgeladen“
Alfred kommt mit einem Krankenhausrollstuhl aus der Baracke der Notschlafstelle in der Ostmerheimer Straße. Fortbewegen kann er sich mit dem Gefährt nur trippelnd. „Es gibt hier viele Leute, die noch schlechter dran sind als ich“, sagt Alfred. Erst vor zwei Tagen habe ein Mann in seinem Zimmer nachts einen epileptischen Anfall gehabt. „Der lag in seinem Erbrochenen, das Personal war total überfordert. Das ist auch mit den vielen Drogensüchtigen, die psychisch krank sind und nicht zurechnungsfähig, so.“
„Kölner Stadt-Anzeiger“ erreicht Hilferuf: Pflegebedürftige werden vor Notunterkunft abgeladen
Alfreds Schilderung deckt sich mit einem anonymen Hilferuf aus der Notschlafstelle, die den „Kölner Stadt-Anzeiger“ wenige Wochen vorher erreichte: Regelmäßig würden schwerstkranke und pflegebedürftige Obdachlose von Krankenhäusern vor der Einrichtung „abgeladen“ – sie könnten weder laufen noch allein auf die Toilette gehen. Das Personal in der Notschlafstelle – Sozialarbeiter und Sicherheitsbedienstete – seien „komplett überfordert“. Und deprimiert, weil sie nicht leisten könnten, was die Menschen dringend bräuchten.
„Es passiert mehrmals im Jahr, dass Schwerstpflegebedürftige einfach vor einer Einrichtung ausgekippt werden“, sagt Schwester Christina Klein, Obdachlosenseelsorgerin der Erzbistums, bei einem Gespräch in der Gubbio-Kirche in der Ulrichgasse. „Die Krankenhäuser stehen unter großem Druck, weil sie zu wenig Plätze haben und die Behandlungen bei Menschen ohne Krankenversicherung nicht gegenfinanziert werden.“
Nicht nur die Anzahl der Wohnungs- und Obdachlosen in Köln – „auch die Zahl derjenigen, die körperlich und psychisch krank sind, ist stark gestiegen in den vergangenen Jahren“. Es gebe eine „riesige Versorgungslücke“ – mit der Konsequenz, dass „viele Menschen auf der Straße sterben – und das viel früher als es sein sollte“.
Plätze für die stationäre fehlen
Ähnliche Eindrücke schildert die Leiterin des Johanneshauses, der Notschlafstelle in der Annostraße. „Es kommt regelmäßig vor, dass aus dem Krankenhaus pflegebedürftige Menschen zu uns gebracht werden“, sagt Monika Scholz. „In den meisten einigen Fällen werden sie zurück ins Krankenhaus gebracht, weil wir sie hier nicht versorgen können. Sofern die Menschen keine Treppen steigen und nicht allein zur Toilette gehen können, können wir sie hier nicht versorgen.“ Zwar arbeite ein ambulanter Pflegedienst eigenes Pflegeteam im Haus und es gebe einige barrierefreie oder leichter zugängliche Zimmer, die seien aber sehr begehrt und eine stationäre pflegerische Versorgung sei nicht möglich.
Es fehlten Plätze für die stationäre Pflege – die vorhandenen seien immer belegt, die Wartezeiten lang. Menschen ohne Krankenversicherung sozialversicherungsrechtlichen Anspruch können in der Annostraße nicht versorgt werden. „Die Versorgungslücke ist in den vergangenen Jahren immer größer geworden – man merkt immer öfter, dass man den Bedarfen der Menschen nicht gerecht werden kann“, sagt Scholz.
8170 Menschen gelten in Köln als wohnungslos, die Stadt Köln spricht jahreszeitlich schwankend zudem von 300 Menschen, die auf der Straße leben – Streetworker und Menschen wie Schwester Christina glauben, dass es deutlich mehr sind. Es gibt 78 Plätze in Notschlafstellen und 135 Plätze für Menschen aus der EU ohne Zugang zu sozialen Sicherungssystemen – zum Beispiel in der Vorgebirgsstraße.
Allein dort würden aus Krankenhäusern „pro Jahr rund zehn bis 15 kranke, teils unheilbar kranke Menschen gebracht“, teilte die Stadt Köln auf Anfrage des Integrationsrats mit. Es sei vorgekommen, dass „nicht gehfähige, pflegebedürftige Personen mit dem Taxi aus dem Krankenhaus in die Vorgebirgsstraße gebracht und kommentarlos dort abgeliefert wurden, auch spätabends und in der Nacht“. Die Menschen könnten weder allein zur Toilette gehen noch duschen oder essen. Diese Fälle würden „vom Sozialdienst Katholischer Männer, der das Objekt betreibt und betreut“, per Ruf eines RTW zurück ins Krankenhaus vermittelt“. Schon aus Haftungsgründen könne der Betreiber die Menschen nicht aufnehmen.
Um Menschen zu pflegen oder palliativ zu versorgen, sei die Einrichtung ungeeignet. Immerhin bietet der Medizinische Dienst des Gesundheitsamtes seit Januar 2024 dreimal pro Woche eine Stunde lang eine medizinische Sprechstunde an – zuvor gab es diese Sprechstunde nur einmal pro Woche.
Pflegeplätze für Unversicherte wären teuer, ein Großteil der Kosten müsste die Stadt Köln tragen
Auf die Frage, wie die Stadt künftig die Versorgung schwerkranker Menschen ohne Versicherung gewährleisten wolle, verweist die Verwaltung darauf, dass „im Einzelfall das Angebot und die Kostenübernahme eines Krankentransports ins Heimatland“ gemacht werden könne. Eine Task Force für Humanitäre Hilfen hält eine Einrichtung mit mindestens zehn Plätzen für nötig, die eine Pflege und Sterbebegleitung für nicht versicherte Menschen garantiert. Ein Großteil der Kosten müsste die Stadt als freiwillige humanitäre Leistung tragen.
Bislang finanziert lediglich die Pace-e-Bene-Stiftung unter dem Dach der Caritas-Stiftung Hospizplätze für obdachlose Menschen. Eine Wohnung für im Sterben liegende Wohnungslose noch in diesem Jahr ist ein Ziel Stiftung. „Wir hoffen, schon bald zu einem Ergebnis zu kommen, das hilft, die Not der Menschen zu lindern“, sagt Schwester Christina.
Nach einer Studie des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales sagen rund zwei Drittel der Obdach- und Wohnungslosen von sich selbst, nicht gesund zu sein. Bei den Menschen, die auf der Straße leben, gaben das drei von vieren an. Viele von ihnen gaben an, multipel erkrankt zu sein.
Rat soll am 21. März über Konzept zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit entscheiden
Die Stadt Köln weiß um die Not – die Zahlen sind auch Teil eines Konzepts zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit, über das am 21. März der Stadtrat entscheiden soll. Über ein spezielles Fall-Management soll demnach künftig sichergestellt werden, dass alle Menschen, die krank und wohnungslos sind, erfasst werden – um ihnen dann nach Möglichkeit individuell zu helfen.
Darauf hofft auch Alfred. Obdachlos sei er, seit die Reederei, für die er auf See gewesen sei, pleite gegangen sei, erzählt er an einem kalten Februartag vor der Notschlafstelle. Er habe seit dem Unfalltod seiner Partnerin psychische Probleme vor vielen Jahren gehabt. „Als ich dann an Land war und keine Arbeit mehr hatte, habe ich einige Zeit in Ferienwohnungen gelebt, hatte aber wenig Erspartes. Irgendwie bin ich dann abgestürzt.“ Kurz vor Weihnachten 2023 sei er in Köln gelandet. Ein Sozialarbeiter der Oase habe ihn auf der Straße angesprochen und in die Notschlafstelle vermittelt.
Bei einem Autounfall vor einigen Jahren habe er sich schwer am Rücken verletzt, erzählt Alfred. Die Operation habe nicht gut funktioniert, seitdem sei er gehbehindert. „Für einen Obdachlosen ist das fatal – auch, weil man wehrlos ist“, sagt er. Er hoffe, bald in ein Hotelzimmer oder eine andere städtische Unterkunft umziehen zu können. „Wenn sie barrierefrei ist und ich noch einen normalen Rollstuhl bekomme, komme ich ohne Pflege und Betreuung klar“, sagt er.