Streitbar, engagiert, furchtlosKölner Pfarrer Hans Mörtter wird entpflichtet
- „Ich werde nicht verabschiedet, ich werde entpflichtet.“
- Nach dem Tod seines Bruders und einer Freundin stand sein Glaube auf dem Prüfstein.
- Mörtter studierte Theologie, um Psychologie-Vorlesungen hören zu können.
- Im Bürgerkrieg in Kolumbien lernte er, keine Angst zu haben.
Köln – Das kleine Karo ist Hans Mörtters Sache nicht. Der Südstadt-Pfarrer denkt immer XXL. Und das bleibt so, auch wenn er am 4. September Abschied nimmt von seiner Tätigkeit als Pastor in der Lutherkirche. Abschied? Da kann Mörtter nur milde lächeln.
„Ich werde nicht verabschiedet, ich werde entpflichtet.“ Das bedeutet, dass er sich ab dann ausschließlich selbst in die Pflicht nimmt. Und das natürlich in Mörtter-Manier. Ändern wird sich eigentlich nur, „dass ich mich dann nicht mehr mit dem ganzen Verwaltungskram herumschlagen muss“.
Nachfolge für Kölner Pfarrer Hans Mörtter gibt es nicht
Und er hat viel vor. Ein lang gehegtes Vorhaben soll in Kürze Wirklichkeit werden: Mörtter lässt an der Ecke Bonner Straße/Schönhauser Straße ein Haus bauen mit 30 Housing-First-Wohnungen für Obdachlose. „Die Finanzierung steht, die Baugenehmigung haben wir in Kürze.“ Und auch sonst vergeudet Mörtter seine Zeit nicht mit Ruhestand. Natürlich wird er weiter im Vorstand des Vringstreffs arbeiten, den Gottesdienst vor der Party in der Lutherkirche an Karnevals-Samstag feiern, an Veilchendienstag den Südstadt-Zug anführen und spät abends vor dem Filos die Trauerrede auf den Nubbel halten.
Mit den Vorbereitungen des Nachbarschafts-Festes auf der Merowinger Straße im nächsten Jahr beginnen Mörtter und Mitstreiter in diesen Tagen.
Wird nicht leicht für den Nachfolger oder die Nachfolgerin, oder? „Es gibt im Moment keine Nachfolge. Kann sogar sein, dass die Stelle an der Lutherkirche nicht mehr besetzt wird“, sagt der Pfarrer achselzuckend.
Glaube des Kölner Pfarrers stand auf dem Prüfstein
Die Austrittszahlen und damit verbunden die sinkenden Steuereinnahmen zwingen die Evangelische Gemeinde Köln, zu der auch die Luthergemeinde der Südstadt gehört, die Zahl der Pfarrstellen zu reduzieren. Ein bisschen was in Richtung Ruhestand will Mörtter sich aber auch gönnen. Er wird zwei Bücher über das Sterben und den Tod schreiben. Eines für Erwachsene mit dem Titel „Tod to go“ und eines für Kinder.
Woher kommt die Affinität zum Thema? „Durch meinen Bruder“, sagt Mörtter und wirkt sichtbar angefasst, als er über den „Super-Gau meines Lebens“ spricht. „Wir waren wie siamesische Zwillinge. Hatten die gleichen Ansichten und kämpften für eine gerechtere Welt.“
Mörtters Bruder ist in der Nähe von Siegburg erfroren. Der 21-Jährige, vier Jahre jünger als Hans, hatte sich in einer Winternacht mit einem Freund mit dem Auto im Schneetreiben auf einem Feldweg festgefahren. Nach vergeblichen Versuchen, den Wagen wieder flott zu bekommen, entschied sich Mörtters Bruder, Hilfe zu holen.
„Später hat man rekonstruiert, dass er lange im Kreis gelaufen ist. Völlig entkräftet hat er sich auf einen Stein gesetzt. Dort ist er gestorben“, berichtet der Pfarrer über die Umstände des Todes. Als dann noch eine Freundin von ihm vergewaltigt und ermordet wurde, war das ein echter Glaubensprüfstein für den Theologie-Studenten.
„Verstehen geht nicht. Es geht um die Antwort auf die Frage, wie man mit dem Erlebten überleben kann. Da ist mir klar geworden, dass da einer an meiner Seite ist, der mir Kraft gibt.“ Seine Mutter hat ihm „eine Art Bauernfrömmigkeit“ mit auf den Weg gegeben. „Da ist jemand, der meint es gut mit uns.“
Engagement seit der Kindheit
Mörtter wurde 1955 in Bonn geboren. Sein Vater besaß eine Metzgerei. Schon als Gymnasiast machte Hans als „ewiger Klassen- und Schülersprecher“ mehr mit dem Engagement für andere als mit dem Einsatz für die Verbesserung der eigenen Noten auf sich aufmerksam.
Eigentlich wollte Mörtter Psychologie studieren. Dem stand aber der Numerus Clausus im Weg. Also schrieb er sich für Theologie ein, um Psychologie-Vorlesungen zu hören. Bei den Theologen hörte er dann in einer der ersten Veranstaltungen den Satz, „der voll reinhaute“.
Der Professor erklärte: „Gott ist der, der in die Freiheit führt.“ Endgültig für den Pfarrberuf und nicht in die wissenschaftliche Arbeit an der Uni, die ihm offen gestanden hätte, begeisterte Mörtter im Vikariat sein Mentor Peter Pollmann in der Gemeinde Bonn-Beuel. „Der hat gesagt, dass ich in eine Gemeinde gehöre und nirgendwohin sonst. Würde ich was anderes machen, würde er kein Wort mehr mit mir sprechen. Das wollte ich natürlich unbedingt vermeiden.“
Sein Weg in die erste Pfarrstelle führte Mörtter nach Bogota. Die hat sein Leben nachhaltig geprägt. „Dort habe ich Straßenkinderprogramme organisiert. In Kolumbien habe ich Freundschaften begründet, die bis heute halten.“ Eine Nacht pro Woche hat er Ärzte und Ärztinnen begleitet, die Kinder medizinisch behandelt haben. „Da war ich der Spaßvogel.“
Gelernt keine Angst zu haben
Mörtter war zu schlimmsten Bürgerkriegszeiten in Kolumbien. Anschläge waren an der Tagesordnung. „Man lernt, mit dem Terror zu leben. Wenn es einen Anschlag gegeben hatte, ging man am nächsten Abend dort in der Nähe aus. Zwei Abende hintereinander einen Anschlag am gleichen Ort hielt man für unwahrscheinlich. Spätestens dort habe ich für mein Leben gelernt, keine Angst zu haben. Keine faulen Kompromisse einzugehen.“
Nach der Rückkehr verbrachte Mörtter eineinhalb eher unglückliche Jahre im Saarland, bevor er den idealen Ort für sein Wirken fand: Die Lutherkirche in der Südstadt. „Bevor ich mich beworben habe, bin ich zu Fuß jede Straße der Südstadt abgelaufen. Danach wusste ich: Das ist es.“ Seit 30 Jahren ist er jetzt Pfarrer in einem der kölschesten aller Veedel.
Ein Buch würde nicht ausreichen, um zu erzählen, was er angestoßen hat. Bei seiner Einstiegspredigt stellte Mörtter einen Ventilator auf die Kanzel. Die Botschaft war eindeutig: Frischer Wind. Der ihm aber nicht selten ins eigene Gesicht wehte.
Moral kann anstrengend sein. Eine moralische Instanz erst recht. Es gibt in der Südstadt einige, denen der allgegenwärtige Pfarrer gehörig auf die Nerven geht. Der Mann polarisiert. Aber auch das gehört zum System Mörtter. „Ich bin der Stachel im Arsch der Südstadt beim Kampf für eine gerechtere Welt.“
Frau und Tochter haben ihm den Rücken gestärkt
Den führt er nach der Entpflichtung weiter. Dazu wird er den Verein „Hans sucht das Glück“ gründen. Damit ist er weiter in der Lage, Spenden entgegenzunehmen. „Es geht alles nur in Bündnissen. Ohne schafft man nichts.“
Und die Gemeinde? Mörtter setzt auf das urprotestantische „Priestertum aller Gläubigen“. Auf der Suche nach Nachfolge ist er in Gesprächen mit vielen. „Die KG Ponyhof zeigt, dass es Engagement gibt im Veedel. Wir müssen aus der Gemeinde ein System aufbauen mit vielen, die Verantwortung übernehmen.“ Viel davon lag bislang auf seinen Schultern. „Das alles ging ja nur dank der Unterstützung von meiner Frau Sonja und meiner Tochter Johanna“, weiß Mörtter um die Menschen, die ihm bedingungslos den Rücken gestärkt und frei gehalten haben.
Am Sonntag beginnt nun also wie immer um 11.15 Uhr ein Gottesdienst in der Lutherkirche. Diesmal wird es ein ganz besonderer sein. Pfarrer Hans Mörrter wird von Superintendentin Susanne Beuth entpflichtet. Danach wird es ein Fest geben. Um dessen Programm macht der Pastor ein Geheimnis. Eines ist sicher: Die Party wird XXL.
Mensch und Pfarrer
Hans Mörtter wurde im Juni 1955 in Bonn geboren. Nach dem Vikariat arbeitete er 1984/85 als Pfarrer in Bogota. Seit 1987, also seit 35 Jahren, ist er Pfarrer an der Lutherkirche in der Südstadt. Er ist bekennender Karnevalist, Nubbelredner, Fortuna-Köln-Pfarrer, Ehemann und Vater einer Tochter. Und diese Liste ließe sich nahezu endlos verlängern. (rah)